Thomas Bernhard: "Die Ursache"
Gezeichnet von Lukas Kummer
"Ich
verachtete diese Professoren, und ich haßte sie nurmehr noch
mit der Zeit, denn ihre Tätigkeit hatte für mich nur
darin bestanden, daß sie jeden Tag und auf die
unverschämteste Weise den ganzen übelstinkenden
Geschichtsunrat als sogenanntes Höheres Wissen wie einen
riesigen unerschöpflichen Kübel über meinem
Kopf ausschütteten, ohne sich auch nur den Rest eines
Gedankens zu machen über die tatsächliche Wirkung
dieses Vorgangs." (Thomas Bernhard)
Die erste autobiografische Skizze von Thomas Bernhard liegt nun als "Graphic
Novel" vor. Angesichts der Dichte und Präzision,
die Bernhards Sprache auszeichnet, muss es für den Illustrator
Lukas Kummer eine besondere Herausforderung gewesen sein, den
zeichnerischen Dialog zu führen. Das Ergebnis kann sich sehen
lassen. Die Bilder verdeutlichen die Einsamkeit, die Selbstmordgedanken
und die Angst des Kindes und Jugendlichen Thomas Bernhard, der in
Salzburg aufwachsend die Ausläufer des Zweiten Weltkrieges im
Internat erlebte. Dieses Internat hatte der Leiter im Griff, dessen
Härte die Zöglinge mit aller erdenklichen
Brutalität aushalten mussten. Mindestens vier Jungen hielten
es nicht aus und brachten sich um. Nach dem Krieg dann der Wechsel ins
streng katholische Johanneum, wo der Präfekt punkto Strenge
dem nationalsozialistischen Internatsleiter in nichts nachstand.
Für Thomas Bernhard gab es keinen Unterschied zwischen beiden
die Individualität zerstörenden Systemen.
Die Bilder scheinen sich oft zu wiederholen, doch es sind winzige
Nuancen, durch die sie sich voneinander unterscheiden. Die
Gleichförmigkeit, die vom System gewünschte
Konformität der zu erziehenden jungen Menschen, zieht sich
durch das Buch und ist manchmal nur schwer auszuhalten. "Die Ursache"
verweist darauf, wo die Denkmuster und literarischen Konzepte Thomas
Bernhards herrühren. Er war Zeit seines Lebens ein Unbequemer
und seine Wahrheit herausschreiender Schriftsteller. Es darf nicht
darum gehen, irgendwelche "Urteile" zu fällen, sondern Thomas
Bernhards Leben ein Stück weit aus seiner Autobiografie
verstehen zu wollen. Somit wird sichtbar, wie sehr er an der Welt, in
die er hineingeboren wurde, litt. Er wollte sich nicht
zerstören lassen und blieb dabei nicht unbeschadet. Sein
Schreiben war auch ein Anrennen gegen die zerstörerischen
Kräfte, mit denen er sich Zeit seines Lebens zu messen hatte.
Der 1988 in Innsbruck geborene Lukas Kummer studierte Illustration und Comic
in Kassel. Er hat bereits mehrere "Graphic Novels"
gezeichnet. Kummer nähert sich dezent dem Werk Thomas
Bernhards an und zeichnet buchstäblich einen weiteren Weg, dem
scheinbar unnahbaren Schriftsteller und Dramatiker ein Stück
weit entgegenzukommen. Ob es gelingt, muss der Betrachter und Leser
entscheiden. Der Rezensent ist den Weg mitgegangen und hat einen neuen
Zugang zu Thomas Bernhard gefunden, der einerseits darin besteht,
dessen Traumata und Bewältigungsstrategien verdichtet zu
verstehen und andererseits die immense Bedeutung seines
Großvaters als positiven Gegenpol zu erkennen. Das mag
vielleicht nichts Neues sein, ist es aber irgendwie doch, weil die
Dramatik des Lebens von Thomas Bernhard, wie sie ihn im Sinn der
"Ursache" bis zum Alter von 15 Jahren bestimmte, durch die
zeichnerische Begleitung seiner Texte wohl elementarer zum Ausdruck
gelangt.
(Jürgen Heimlich; 09/2018)
Thomas
Bernhard: "Die Ursache"
Gezeichnet von Lukas Kummer.
Residenz, 2018. 112 Seiten.
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Thomas
Bernhard: "Die Ursache. Eine Andeutung"
Zu Tode gedemütigt, ohne Hoffnung.
Die Ursachen waren zerstörend und verbrecherisch - sie
hinterließen unauslöschliche Spuren. Das Internat:
ein raffiniert gegen den Geist gebauter Kerker; die Stadt: eine
Todeskrankheit, ein Friedhof
der Fantasie und der Wünsche. Der
Krieg: die Stollen, in denen Hunderte erstickt und umgekommen sind; der
Großvater: der nur von Großem sprach, von Mozart,
Rembrandt
und Beethoven.
All diese Belastungen hat Thomas
Bernhard in diesem autobiografischen
Rechenschaftsbericht literarisch verarbeitet. (dtv)
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