J. K. Rowling, John Tiffany, Jack Thorne: "Harry Potter und das verwunschene Kind"


Harry Potter auf der Bühne - zauberhafte Welten gehen eine gelungene Verbindung ein

Lange schien es, als hätte J. K. Rowling keinerlei Absicht, ihre vielgeliebte Geschichtenfolge um den Zauberer Harry Potter fortzusetzen - doch hier ist es nun unverhofft, das insgesamt achte Harry Potter-Buch, das erste mit Harry in den Mannesjahren, das erste auch, welches nicht als Roman, sondern zunächst als Theaterstück erschienen ist - "Harry Potter und das verwunschene Kind" wurde am 30. Juli 2016 in London uraufgeführt.

J. K. Rowling beweist für die Bühne eine gute Hand, die zauberhaften Welten Potters und des Theaters gehen eine gelungene Verbindung ein, es liegt eine kluge Auswahl von Szenen vor, die auf der Bühne gute Wirkung erzielen und in ihrer Abfolge eine spannende Handlung vorantreiben. Gewisse Nachteile gegenüber dem Roman sind klarerweise nicht zu vermeiden, so etwas wie eine Schulalltagsatmosfäre sucht man hier vergebens, fürs Legen falscher Fährten ist ebenfalls wenig Raum vorhanden, auch sonst keine Nebenschauplätze, keine längeren Beschreibungen, andererseits rücken die Hauptthemen umso stärker in den Vordergrund.

Wir befinden uns auf dem Bahnsteig Neundreiviertel, und wenn einem Dialoge aus der zweiten Szene bekannt vorkommen, liegt das daran, dass sie mit dem Epilog des letzten Romans, welcher somit nicht mehr ein wenig lose angehängt den Siebenteiler um Harrys Schuljahre abschließt, sondern auch Neues beginnen lässt und variierend wiederholt, ident sind. Zu Beginn also ins erste Hogwartsjahr von Rose Granger-Weasley und Albus Potter. James Potter, der ältere Bruder, überlässig wie der namensgebende jungverstorbene Großvater, sekkiert Albus, dieser werde bestimmt nach Slytherin, ins Haus der dunklen Magier, kommen. Scheinbar harmloser Kommentar, doch im Zug setzt sich Albus just (Magie der Erstbegegnung) zu einem unbekannten, sympathischen Kerl, der sich als Scorpius Malfoy, Sohn Dracos, des alten Harry-Gegenspielers, erweist. In weiterer Folge wird Albus vom Sprechenden Hut tatsächlich nach Slytherin gewiesen und zwischen Albus und Scorpius entwickelt sich eine unerwartete, sich durch das Stück ziehende Knabenfreundschaft. 

Es ist die Freundschaft zweier Außenseiter, nicht ohne entsprechende Posen (z.B. strikt abzulehnendes Quidditch), ebensowenig aber ohne gute Gründe: Scorpius macht das hartnäckige Gerücht schwer zu schaffen, er wäre nicht der Sohn Dracos, sondern des Oberbösewichts Voldemort. Albus wiederum scheint an einem Vaterkomplex zu leiden, Gefühle von Ungenügen und Ressentiments gegenüber seinem berühmten und in Familienangelegenheiten nicht immer den richtigen Ton treffenden Vater zu empfinden.

Von der Geschichte selbst sei nicht allzu viel erzählt. Albus möchte sich beweisen und möglicherweise auch ein wenig am Lack von Harry Potter kratzen. Da wird von letzterem in seiner Eigenschaft als Auror ein verbotener Zeitumkehrer beschlagnahmt und von der zuständigen Zaubereiminsterin (Hermine Granger-Weasley) erneut nicht besonders sicher aufbewahrt. Als Albus dann auch noch eine Verwandte Cedric Diggorys kennenlernt, die, obwohl einige Jahre älter als er, besondere Gefühle in ihm weckt und von der Idee beseelt ist, mit dem Zeitumkehrer dem Trimagischen Turnier von 1994 einen Besuch abzustatten und dort bzw damals zu verhindern, dass Cedric unnötigerweise ("Töte den Überflüssigen!" hatte Voldemort seinem Diener befohlen) zu Tode kommt, nehmen die Geschehnisse ihren Lauf, voll mit Abenteuern, unvermuteten Wendungen, Intrigen, täuschenden Verwandlungen, originellen Einfällen, Beweisen von Wagemut und Freundschaft und was sonst noch zu einer Pottergeschichte gehört. Bloß den Ausgang der Dementorenszene hätte man vielleicht etwas menschlicher lösen sollen.  

Hübsch gestaltet Rowling die Episoden mit dem Zeitumkehrer, die uns alternative Wirklichkeiten (mit teils längst Verstorbenen, Zaubertranklehrern zum Beispiel) humorvoll präsentieren und darauf hinweisen, wie sehr bestimmte einzelne Handlungen den Gang der Ereignisse sehr nachhaltig zu ändern vermögen. Recht überzeugend gestaltet sie auch den Vater-Sohn-Konflikt, eine durchaus schlüssige Entfremdung und Enttäuschung vom jeweils anderen, wie Rowling überhaupt Zustände und Bewegungen der Seele oft originell in ihrer magischen Welt auszudrücken weiß. Wie die Romane beinhaltet also auch das Stück Elemente, die über den Rahmen einer bloßen (wenn auch spannend und sehr fantasiereich erzählten und mit großer Sogwirkung versehenen) Unterhaltungsliteratur ein wenig hinausgehen und die Lektüre von "Harry Potter und das verwunschene Kind" auch als Theatertext zu einem großen Genuss machen.  

(fritz; 10/2016)


J. K. Rowling, John Tiffany, Jack Thorne: "Harry Potter und das verwunschene Kind"
(Originaltitel "Harry Potter and the Cursed Child")
Übersetzt von Klaus Fritz.
Carlsen, 2016.  300 Seiten. (Ab 14 J.)
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