John le Carré: "Der Taubentunnel"

Geschichten aus meinem Leben


Vor einigen Monaten erschien eine Biografie von John Le Carré, an der er und der Autor sehr intensiv gearbeitet hatten. Und am Tag der offiziellen Veröffentlichung teilte Le Carré dann seinem Biografen zu dessen Irritation mit, dass er nun noch seine Memoiren veröffentlichen möchte. Dieser war darob mehr als überrascht, hat diese Memoiren jedoch dann als eine emotionalere Variante seiner eher sachlichen Arbeit verstanden.

Sachlichkeit ist nun nicht unbedingt die Haupteigenschaft von Memoiren, und weil sich Le Carré ncht immer seiner Erinnerungen sicher ist - oder vielmehr eigentlich fast nie - beginnt das Buch mit einem entsprechenden Caveat, das sich ständig in der Folge wiederholt, was die Interpretation des Geschriebenen mehr als fragwürdig macht. In sehr loser Folge, mit ständigen mehr oder minder motivierten Sprüngen, erzählt Le Carré von seinem Leben unter Verzicht auf jede Form von Chronologie. Einen roten Faden sucht man auf diesen Seiten ähnlich vergeblich wie bei einem geistig nicht mehr ganz frischen Ururgroßvater auf einer Familienfeier, der ständig von Satz zu Satz zwischen dem Marktbesuch der letzten Woche, zu Kindheitserinnerungen und von da zu Erfahrungen in zwei unterschiedlichen Weltkriegen springt - mit allen möglichen Zwischenstopps mittendrin. Ermüdend, verwirrend und nur begrenzt fesselnd; besonders weil man merkt, dass sich der Vortragende seiner eigenen Erinnerungen eigentlich nicht sicher ist und den Leser unentwegt darauf hinweist.

Von Seite 317 bis Seite 381 geht der Autor auf seine Erfahrungen mit seinem Vater Ronnie ein, einem Hochstapler, Trickbetrüger und windigen Geschäftsmann, der im Leben seiner Kinder wohl in erster Linie Verwirrung angerichtet hat. Auch hierbei fehlt es leider an einer gewissen Chronologie, und auch hier bedient sich Le Carré in erster Linie seiner eigenen unsicheren Erinnerungen und liefert Kommentare aus zweiter oder dritter Hand. Man bekommt den Eindruck, dass hier eine wirklich interessante Geschichte verborgen liegt, aber sie scheint nur sehr zögerlich zwischen den Worten des Autors hindurch.

Einige der beschriebenen Begegnungen - etwa die mit Arafat -, sind ziemlich interessant, und auch die Wahrnehmung des Autors auf einigen seiner Recherchereisen zu seinen Büchern können kurzzeitig fesseln, aber zwischen diesen Passagen gibt es eine Menge eher zielloser Erzählung, Spekulation und Überlegung, welche die Lektüre dieser Memoiren zu einer anstrengenden und unergiebigen Erfahrung macht. Ebenfalls irritierend: Meistens sind Memoiren mit irgendwelchen Fotos angereichert, was in diesem Fall den Mangel an einer klaren Chronologie zumindest ein wenig hätte ausgleichen können. Leider wurde aber auch darauf verzichtet.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 09/2016)


John le Carré: "Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben"
(Originaltitel "The Pigeon Tunnel")
Übersetzt von Peter Torberg.
Ullstein, 2016.  383 Seiten.
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