Clemens Berger: "Im Jahr des Panda"


Schlafen, fressen, Runden drehen und einfach faul sein dürfen

Dem 1979 im burgenländischen Güssing geborenen Autor ist mit "Im Jahr des Panda" ein in jeder Hinsicht gewaltiges Werk gelungen. Nicht nur, dass das Buch dank des verwendeten Papiers und der für Luchterhand typischen, angenehmen Schrift einiges auf die Waage bringt, es wiegt mehr als ein neugeborener Panda und ist auch im literarischen Sinn ziemlich gewaltig.

Der Wien als Ausgangspunkt nehmende Roman führt seine Protagonistinnen und Protagonisten behutsam ein. Da gibt es das Paar Pia und Julian, die abends Geldautomaten befüllen. Beide sind jung, haben unterschiedliche Berufe und Betätigungen probiert, haben gescheiterte Beziehungen hinter sich und nun eine Tätigkeit gefunden, die ihnen das Leben ermöglicht. Sie stehen politisch links, Pia hat an den Demonstrationen gegen die schwarzblaue Regierung Wolfgang Schüssels teilgenommen, und Julian ist "Rapid Wien"-Anhänger. Ein treuer sogar, der ins Stadion geht und Pia von den dort erlebten Dingen berichtet.

Kasimir Ab ist Künstler, einer, der seine Bilder und Kunstwerke für viel zu viel Geld verkaufen kann, wie er selbst meint. Er hat diverse Störungen, die bei Künstlern oft beobachtet werden können, von einem stark ausgeprägten Narzissmus bis hin zu ähnlich schräg ausgeprägten Neurosen. Er hat viel Geld und kann sich damit mehr oder weniger alles leisten, was er will.

Dann gibt es noch Rita, die Pflegerin des Pandajungen im Schönbrunner Zoo ist. Sie existiert eigentlich nur für ihre Pandas und vor allem das Neugeborene, das "Fi Fo" genannt wird, opfert sich auf und lebt ihr Leben. Lange ahnt man nichts von der Beziehung des Pandas zu den anderen Protagonisten, bis die Kriminalpolizei in Schönbrunn auftaucht.

Ebenso gibt es einen "Unbekannten Künstler", der seine Botschaften und irritierenden Aktionen verstreut hinterlässt und so bald in aller Munde ist. In aller Munde ist natürlich auch "Fi Fo", weil es nur ganz selten Nachwuchs bei Pandas gibt, noch seltener in einem Tierpark, und dementsprechend alle Medien Fotos des Kleinen wollen.

Da Pia und Julian beschließen, dass sie doch einfach das Geld, das sie in Bankomaten unterbringen, auch selbst nehmen könnten, um irgendwo weit weg neu durchzustarten, und den Plan auch in die Tat umsetzen, sind auch sie bald in aller Munde. Hier schließt sich der Kreis zu Rita, weil die Kriminalpolizei deshalb den Zoo besucht, weil Pia Ritas Tochter ist. Allerdings ist das Verhältnis der beiden sehr reduziert auf den einen oder anderen Festtag im Jahr. Nicht mehr, nicht weniger. Die Erleichterung der Bank um eine halbe Million Euro ist auch der Punkt, der die erste Verbindung zu Kasimir Ab herstellt. Pia steckt ihm in der Annahme, er sei ein Sandler, einen Fünfhunderteuroschein zu, was dazu führt, dass Kasimir sich natürlich an ihr Gesicht erinnern kann, das er in den Nachrichten sehr bald entdeckt.

All das bedingt, dass sich die Lebenswege der Protagonisten rigoros verändern.
Pia und Julian sind auf der Flucht, zuerst über Slowenien nach Neapel, von dort nach Nordafrika und von dort nach Vietnam. Sie lernen, sich zu verstecken, kommen zu neuen Pässen und leben ihren Traum. Nichtsdestotrotz treten immer wieder fein eingeflochtene Risse auf. Risse, die darauf hindeuten, dass auch mit viel Geld nicht alles gelöst ist.

Kasimir Ab ist auch längst davon überzeugt, einem Irrsinn nachzulaufen und beginnt, sein Leben zu hinterfragen. Das führt dazu, dass er in einen gehörigen Strudel von Ereignissen hineingezogen wird, die ihn an den Rand des Abgrunds führen werden.
Geld, vor allem viel Geld, führt dazu, dass man in Versuchung gerät. Während Kasimir den gegenteiligen Weg einschlägt, ein "ORF"-Nachrichtensprecher sich auf Sendung während der "Zeit im Bild" plötzlich weigert, den Text über Banken und Wirtschaft fertig zu sprechen, aufsteht und geht, lässt sich der Schönbrunner Zoo dazu verführen, "Fi Fo" nach China zu verkaufen. Daher gerät Ritas Leben noch stärker ins Strudeln, als es seit Pias Tat schon gewankt hat.

Pia und Julian, inzwischen auf Umwegen in Vietnam angekommen, versuchen dort, ihren Traum vom Durchstarten lebendig werden zu lassen. Doch auch sie müssen erkennen, wie hoch die Verführungskraft von viel Geld ist. Dass dann am Ende doch einige Linien zwar kein glückliches Ende, aber zumindest die Aussicht auf eines vorfinden, ist dank des behutsamen Zugangs des Autors nur passend.

Clemens Berger hat mit seinem Roman extrem viel riskiert, ebenso viel in den Roman hineinzupacken versucht, von Politik bis Weltbild, Kunst, Krimi und viele Informationen über Pandabären. Auch stilistisch sind diese 670 Seiten äußerst bunt und abwechslungsreich, vom Umgangston bis hin zur feinen Klinge ist alles vorhanden. Der Autor scheut nicht einmal davor zurück, "Fi Fo" Tagebuch führen zu lassen. Das kommt einem auf den ersten Blick vielleicht recht eklektizistisch vor, funktioniert aber letztendlich perfekt, weil Clemens Berger offensichtlich nie die Übersicht über die vielen verschachtelten Stränge, Figuren, Schauplätze und Verbindungen verliert. Seine Figurenzeichnung ist auf bestechende Weise überzeugend und lässt den Leser deutlich aber nie offensichtlich jene Veränderungen spüren, welche die Protagonistinnen und Protagonisten durchmachen. Das trägt dazu bei, dass man, wenn man den etwas zähen Beginn überwunden hat, den zu überwinden es sich übrigens definitiv lohnt, im Buch festgehalten wird und erst mit den letzten Worten ernüchtert ausgespuckt wird.

"Im Jahr des Panda" ist, was bei der Fülle an Material nicht verwundert, nicht nur ein überzeugendes sozialkritisches Buch zu unserer so geldorientierten Zeit, in der Bankenrettung vor Sozialsystemen steht, das uns den Spiegel vor das Gesicht hält. Es ist auch ein fesselnder Abenteuerroman, ein kluger Entwicklungsroman, ein leidenschaftlicher, etwas chaotischer Liebesroman, ein inniger Mutter-Tochter-Roman und ein wirklich im besten Sinn des Wortes bezaubernder Roman über ein Wesen, das wie kein anderes den sehnlichsten Wunsch der Menschheit lebt: fressen, schlafen, Runden drehen und einfach auch faul sein dürfen.

(Roland Freisitzer; 09/2016)


Clemens Berger: "Im Jahr des Panda"
Luchterhand Literaturverlag, 2016. 670 Seiten.
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