Theo Buck: "Hans Joachim Schädlich"

Leben zwischen Wirklichkeit und Fiktion


Biografie und Werkanalyse zugleich

Am 8. Oktober 2015 kann Hans Joachim Schädlich, so es ihm denn vergönnt ist, seinen achtzigsten Geburtstag feiern. Ein guter Zeitpunkt, meine ich, diesen außerordentlichen Menschen und Autor durch eine Biografie zu würdigen. Der Germanist Theo Buck hat sich nun dieser verdienstvollen Aufgabe angenommen und diese auch souverän gemeistert. Mit den gängigen Machwerken des viel strapazierten Biografie-Genres hat dieses Buch allerdings nichts gemeinsam. Und das ist schon einmal gut so. Buck verzichtet weitgehend auf eine detaillierte Lebensbeschreibung und legt den Schwerpunkt seiner Ausführungen mehr auf die Werkbetrachtung. Bewusst umgeht Theo Buck das Weitschweifige so mancher dickleibigen Biografie, um sich auf das Wesentliche, das literarische Schaffen Hans Joachim Schädlichs, zu konzentrieren. Das unter Anderem kennzeichnet diese Biografie und erhebt sie über das Gros der Biografien hinaus, deren Autoren sich oft mit der Rolle eines Buchhalters zumeist verflossener Leben begnügen oder den Leser durch ihre umfangreichen genealogischen Betrachtungen langweilen.

Die Lektüre der vorliegenden Biografie hingegen bietet ein anregendes Lesevergnügen und mündet schon bald in den Wunsch, sich näher mit Hans Joachim Schädlichs Texten zu befassen. Schnell wird dem Leser gewahr, dass ein jeder, der an diesem Autor ungelesen vorbeigeht, sich damit ein schweres Versäumnis auflädt. Theo Buck bietet seinen Lesern hier eine gute Gelegenheit, sich die Texte dieses Autors neu zu erschließen oder ihn überhaupt erst einmal kennenzulernen. Bucks persönliche Bekanntschaft mit Hans Joachim Schädlich sowie die profunde Kenntnis seines literarischen Schaffens bilden die ideale Grundlage, auf welcher er das Gerüst dieser ersten Schädlich-Biografie aufbaut.

"Präzision, Knappheit, Röntgenblick auf die Wirklichkeit, dynamische Transformation des Faktischen, Parabelcharakter, Ironie und kritische Verve" sieht der Biograf als die wesentlichen Elemente von Schädlichs Schreibmerkmalen. Und Schädlich selbst nennt Äsop, Voltaire, Lessing, Hölderlin, Kafka und Beckett als seine wichtigsten literarischen Vorbilder. Den Kookaburra aber, einen sowohl seltenen als auch seltsamen, grotesk lachenden australischen Eisvogel, erklärt Schädlich bezeichnenderweise zu seinem Lieblingsvogel.

Schädlichs Texte sind keine einfachen Texte, es sind Texte, die man mehrmals lesen sollte, zumindest aber sorgfältig und gewissenhaft, um sie ganz durchdringen zu können. Nichts also für Schnellleser, die sich im Zeitraffertempo ihre Urteile und Meinungen bilden wollen. Theo Buck gelingt es in seinen kurzen Werkanalysen jedoch, dem Leser selbst schwer zu entwirrende Textstellen transparent zu machen. Durch reflexives Hinabtauchen auf den Grund seiner Prosa gelangt der Biograf an den substantiellen Kern der Schädlich-Texte und meißelt ihn mit der ihm gegebenen Präzision und Deutlichkeit für den Leser heraus. Und dabei gehen die zitierten Schädlich-Originaltexte und Bucks Kommentare eine perfekte Symbiose ein.

Theo Buck leistet hier Überzeugungsarbeit im allerbesten Sinne, Überzeugungsarbeit zugunsten eines vom breiten Lesepublikum bisher zu wenig wahrgenommenen Autors. Allein deswegen ist dieser Biografie eine möglichst weite Verbreitung zu wünschen.

(Werner Fletcher; 07/2015)


Theo Buck: "Hans Joachim Schädlich. Leben zwischen Wirklichkeit und Fiktion"
Böhlau, 2015. 280 Seiten.
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