Atef Abu Saif: "Frühstück mit der Drohne"

Tagebuch aus Gaza


51 Tagebucheinträge erzählen das Unvorstellbare

Gaza ist ein Landstrich, der den meisten Zeitgenossen nur aus den Medien bekannt ist und über den die wenigsten wirklich etwas wissen. Aber dieses Gebiet war seit mehr als hundert Jahren immer wieder ein Spielball der Weltpolitik und ist es auch heute noch - und dabei ein eher unbeachteter. Es gibt einfach so viele Krisengebiete in der Welt, nicht wahr?

Aber für die Menschen in den jeweiligen Krisengebieten ist das nicht ganz so einfach. Sie leben dort mit ihren Familien, Freunden und Arbeitskollegen schon seit Jahrzehnten und erleben dabei die Krise als Dauerzustand. In dem vorliegenden Tagebuch beschreibt Dr. pol. Atef Abu Saif sein Leben als Dozent, Journalist und Schriftsteller in Gaza, wo er mit seiner Frau und seinen fünf Kindern ansässig ist. Im Speziellen beschreibt es 51 Tage ab dem 7. Juli 2014, in denen Gaza von Land, See und aus der Luft unter Feuer gelegen ist.

Wie ist das, wenn man mit seinen Kindern und anderen Menschen, die einem am Herzen liegen, in einem Land lebt, in dem man sich nachts oder am späten Abend nicht auf die Straße traut, weil einen das ständige Sirren über dem Kopf, das zu dem lautmalerischen Namen "Zanana" geführt hat, daran erinnert, dass über dem eigenen Kopf eine ferngesteuerte Waffe fliegt und es nur an der Tageslaune und Form des jeweiligen Operators liegt, ob man die nächsten paar Schritte unbeschadet überlebt? Wenn man nicht an den Strand gehen und auch direkt am Meer kaum Fische kaufen kann, weil Kriegsschiffe vor der Küste liegen, die nicht nur Fischerboote, sondern durchaus auch im Meer Badende ins Visier nehmen? Und wenn man noch nicht einmal in seinen eigenen vier Wänden das Gefühl der Sicherheit haben kann, weil Kampfflieger - meist "F16"  - häufig auf Gebäude schießen. Oder auch Panzer, die vorbeikommen. Wenn die Menschen, die man trifft, wenn sie schon keine Gliedmaßen verloren haben, erblindet sind oder großflächige Verbrennungen aufweisen, zumindest aber die Vernarbungen ihrer Seelen in ihren Gesichtszügen tragen, ein Lebensmitteleinkauf zum Wettlauf mit Schrapnellen wird und Strom nur halbstündig am Tag zu haben ist? Kann man das adäquat beschreiben? Kann man Menschen, die in relativer Sicherheit leben, diese Gefühle vermitteln, ihnen die Lebensumstände anderswo vermitteln?

Atef Abu Saif, 1973 in Jabalia, im Gazastreifen, geboren, bemüht sich, dem Leser in einem vergleichsweise nüchternen und klaren Stil einen Eindruck von einem solchen Leben, das auf die eine oder andere Weise für einige palästinensische Familien generationenübergreifend ist, darzustellen. Dazu beschreibt er nicht nur das Leben - und Überleben - seiner Familie in diesem neuen Krieg, versieht auch alle erwähnten Toten mit ihren Namen und gelegentlich auch mit Netzadressen, wo man mehr über ihre Schicksale lesen kann; d.h., er nutzt die "neuen" Medien, um uns die anonymen Toten näher vorzustellen, die Verwundeten, die Zurückgelassenen.

Krieg ist die Hölle, immer und überall, und in Kriegen leiden Menschen. Dieses Buch erhebt keine direkten Anklagen; eher solche in leicht ironischen Tönen, wenn Dr. Saif über die Drohnen- und Kampffliegerpiloten schreibt, über die Kapitäne der Einheiten vor der Küste und über die Panzerbesatzungen. Er hofft. Hofft, dass es aufhört, dass die Menschen in und um Gaza zur Vernunft kommen, dass die internationale Gemeinschaft hilft. Dass bald für eine lange Zeit Frieden ist.

"Frühstück mit Drohne" ist ein überaus eindringliches Buch, das gerade durch seine eher zurückhaltende Art zu bewegen weiß. Wer über Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten und anderen Kampfzonen sprechen möchte, der sollte dieses Buch gelesen haben, das mehr als deutlich macht, warum Menschen in Scharen ihre jeweilige Heimat verlassen, um in friedlicheren Ländern endlich wieder - oder im Fall vieler palästinensischer Familien zum ersten Mal - ein friedliches Leben führen zu können.
Sehr zu empfehlen!

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 09/2015)


Atef Abu Saif: "Frühstück mit der Drohne. Tagebuch aus Gaza"
(Originaltitel "The Drone Eats with Me")
Aus dem Englischen von Marianne Bohn.
Unionsverlag, 2015. 224 Seiten.
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