Christoph Peters: "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln"


Die Kartoffel zwischen Natto und Mettbrötchen

Christoph Peters scheint ein Faible für Japan und alles Japanische zu haben. Bereits sein vorletzter Roman hat sich eingehend mit der japanischen Esstradition beschäftigt. Nun, nach der Internatsgeschichte "Wir in Kahlenbeck", beschäftigt sich sein Roman "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln" wieder mit Japan. Allerdings spielen die im Titel angedeuteten Kartoffeln nur eine untergeordnete Rolle.

In erster Linie geht es um einen traditionellen japanischen Brennofen, der in der norddeutschen Provinz errichtet wird. Genauer gesagt, in Rensen, einem kleinen Dorf an der Ostsee, wo die aufregendsten Neuigkeiten im alkoholgeschwängerten Zustand in "Pit's Schollenkutter" aufgeschnappt werden können. Ein da ansässiger Keramikkünstler kommt nach einem Keramiklehrgang in Japan auf die Idee, sich in Rensen einen original nachgebauten japanischen Anagama-Ofen bauen zu lassen. Dafür muss ein japanischer Ofensetzer her, und der, den er von der Idee überzeugen kann, ist einer der bekanntesten japanischen Ofensetzer. Dieser reist dann mit Gefolgschaft (inklusive Köchin) an.

Diese Konstellation lässt Christoph Peters quasi für sich selbst arbeiten. Denn die Japaner beobachten die Deutschen und diese wiederum die Japaner. Dass da beiden Seiten einige Momente doch durchaus skurril erscheinen mögen, ist voraussehbar. Natürlich lernen beiden Seiten auch das Kulturverständnis des jeweils Anderen kennen und schätzen. Und Herr Yamashiro erweist sich bald als Liebhaber der deutschen Küche, Kartoffeln, Schinkenhänger, Schnitzel und Mettwurst ...
"Nach Suppe, Sesamspinat, eingelegtem Gemüse und Reis brachte Nakata Masami Fischfilets, für deren Zubereitung ihr Mann eigens draußen vor der Werkstatt den Holzkohlegrill angefeuert hatte. Sie verbeugte sich kurz und gab Herrn Yamashiro zwei besonders große Stücke, was dieser mit leisem Knurren beantwortete, ging dann reihum und tat den anderen auf."

Ausgangspunkt für diesen Roman ist eine wahre Begebenheit. Der Keramikkünstler Jan Kollwitz, Urenkel von Käthe Kollwitz, hatte vor ungefähr einem Vierteljahrhundert einen ebensolchen Keramikofen in Cismar an der Ostsee von einem Japaner (Tatsuo Watanabe) bauen lassen und für die Herstellung seiner Keramiken verwendet. Wie viel hier auf den Geschichten von damals basiert, ist schwer einzuschätzen.

Herausgekommen ist ein kurzweiliger, unterhaltender Roman, der sich nicht besonders um die sogenannte politische Korrektheit zu scheren scheint, der allerdings auch darunter leidet, dem Trivialen nicht ganz aus dem Weg gehen zu können. Der Leser lernt einiges über die japanische Handwerkskunst, während er sich bei der einen oder anderen Episode ein Schmunzeln wahrscheinlich nicht verkneifen wird können. Die komplementären Verhaltensweisen führen natürlich immer wieder zu Missverständnissen. Vorurteile sind dazu da, gelockert und gebrochen zu werden. Was im Dorf dann doch ganz gut funktioniert.
"In diesem Moment setzte Herr Yamashiro sich in seinem Bett auf und begann seinerseits zu reden: Er sei heute morgen aufgewacht, und schon auf dem Weg zur Toilette habe man auf eine derart rüde Weise mit ihm gesprochen, als hätte er sich eine schwerwiegende Entgleisung zuschulden kommen lassen. Er habe niemandem einen Grund gegeben, an ihm Anstoß zu nehmen, für ihn sei die plötzliche Feindseligkeit völlig überraschend, nachdem man gestern Abend noch einträchtig miteinander eine Sportveranstaltung im Fernsehen verfolgt habe.
'Es geht um den Mundschutz', sagte die Schwester ..."


"Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln" ist ein ansprechender Roman, bei dem der japanfremde Leser mit den grundlegenden Verhaltensweisen, Höflichkeitsregeln, dem Geschichtsverständnis und der Esskultur der Japaner in Berührung kommt, der sich auch ein wenig mit der deutsch-japanischen Geschichte beschäftigt, der am Ende aber leider doch eher an der Oberfläche bleibt.
 
Wer gut geschriebene Unterhaltung mit Annäherung an Japan sucht, der wird hier bestens bedient. Wer darüber hinaus will, der greife bei Christoph Peters zu "Wir in Kahlenbeck", "Ein Zimmer im Haus des Krieges" oder "Stadt Land Fluss".

(Roland Freisitzer; 02/2015)


Christoph Peters: "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln"
Luchterhand Literaturverlag, 2014. 224 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Digitalbuch bei amazon.de bestellen

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Wir in Kahlenbeck"

Es ist eine Welt für sich: das Collegium Gregorianum Kahlenbeck, ein streng katholisches Jungeninternat irgendwo am Niederrhein. Hier wächst der knapp fünfzehnjährige Carl Pacher Anfang der 1980er-Jahre heran. Kahlenbeck, das ist eine spartanische Welt voller Regeln und Verbote, durchdrungen von elitärem Geist, Askese und Weltverachtung. Gleichwohl gärt unter der Oberfläche der Geist pubertärer Rebellion und herrscht unter den Jugendlichen eine gnadenlose Hackordnung, in der schwächere Schüler und Außenseiter ungeniert gedemütigt, schikaniert und ausgegrenzt werden.
Von den inneren Widersprüchen des Collegiums ist Carl Pacher tief geprägt. Denn einerseits ringt der schwärmerische und manchmal bestürzend naive Junge um Selbstüberwindung und den rechten Glauben. Aber zugleich kann er sich gegen frühreife erotische Fantasien ebenso wenig wehren wie gegen die Sehnsucht nach der unbedingten Liebe. Lange verehrt er so heimlich das Küchenmädchen Ursula, das für ihn unerreichbar scheint, nicht zuletzt, weil es um einiges älter ist als er. Doch dann wird sein stilles Werben wie durch ein Wunder erhört. Dabei hat die Verbindung zu Ursula kaum eine Chance auf Dauer, aber das will Carl lange Zeit einfach nicht wahrhaben ...
Sowohl tiefgründig als auch aberwitzig und komisch, ist "Kahlenbeck" ein Pubertäts- und Internatsroman, wie man ihn lange nicht gelesen hat: ein beeindruckender Roman über Religion und Spiritualität, über Freundschaft und Rivalität, über das Fegefeuer der Pubertät und die Fallgruben der Liebe. Wie Christoph Peters diese Themen und Motive miteinander verknüpft, das ist höchste erzählerische Kunst. (Luchterhand)
Buch bei amazon.de bestellen

Digitalbuch bei amazon.de bestellen

"Stadt Land Fluss"
Ironisch, zärtlich und mit hintersinnigem Humor, in einer präzisen, zuweilen harten, immer poetischen Sprache, verfolgt "Stadt Land Fluss" die Geschichte der einzigartigen Liebe von Hanna und Thomas Walkenbach: den Weg der großen Gefühle durch die Banalitäten des Alltags, hinein in eine fatale Abhängigkeit, die für Walkenbach nur mit zunehmend raffinierteren Strategien des Selbstbetrugs zu bewältigen ist. Und zusehends treten die wahren Gründe für Hannas Abwesenheit zutage ... (btb)
Buch bei amazon.de bestellen