Milan Kundera: "Das Fest der Bedeutungslosigkeit"


In vorgerücktem Alter, mittlerweilen näher bei neunzig als bei achtzig, hat Milan Kundera seinem Oeuvre etwas überraschend einen weiteren Roman hinzugefügt, wieder auf Französisch geschrieben, wieder hauptsächlich in Paris, seit Jahrzehnten Lebensmittelpunkt des Schriftstellers, spielend. Auch die Länge betreffend knüpft "Das Fest der Bedeutungslosigkeit" an den unmittelbaren Vorgänger "Die Unwissenheit" an, insofern es sich um einen Kurzroman, der seine 140 Seiten nur durch selbstbewusste Schriftgröße und bei dieser Kürze erstaunliche Erzählredundanz erreicht, handelt.

Im Zentrum stehen vier miteinander befreundete ("In meinem Wortschatz eines Ungläubigen ist ein einziges Wort heilig: Freundschaft.") Männer: Ramon, ein pensionierter Charmeur, gibt in seiner Manifestation des Eros in späteren Jahren wohl einige Züge Kunderas preis, Charles, in den mittleren Jahren, leitet ein Partyservice und träumt von einem Stück für das Marionettentheater, Caliban, ein etwas naiver, schon länger arbeitsloser Schauspieler, arbeitet in Charles' Unternehmen und mimt dabei, um in Übung zu bleiben, einen kein Wort Französisch verstehenden Pakistani, Alain, jung, feinsinnig und sanft wie sein Vater, spricht manchmal mit dem Foto der unbekannten Mutter, die ihn nicht wollte und ein paar Monate nach seiner Geburt aus seinem Leben verschwand.

Dieses Quartett ist es im wesentlichen, dessen Spuren während weniger Tage der Leser folgt. Seine aktuellen Gesprächsthemen fallen denn auch mit den Hauptmotiven des Romans zusammen, als da etwa sind: die Humorlosigkeit unserer Zeit, die Engel, Entschuldiger, die gute Laune, die Fortpflanzung, Stalin, die Bedeutungslosigkeit, die Lebensfreude etc. Kundera verknüpft sie mit geübter Hand und bringt sie im spärlichen äußeren Geschehen ebenfalls zur Geltung. Ein besonderes strukturelles Element seiner früheren Bücher war die Unterbrechung der Prosahandlung durch Einfügung längerer reflexiver Passagen, in denen er sozusagen als Milan Kundera das Wort ergriff und essayähnlich über Zeitgeschichtliches, ein Gedankenkonstrukt oder auch seine Situation als Autor räsonierte. Solche Reflexionen finden sich nicht mehr in der alten Form, sie fließen auf eine offensichtliche Art in die Gespräche der Freunde ein oder schlagen sich in kurzen Beobachtungen und Analysen nieder.

Beispiel: "Wenn ein Mann (oder eine Epoche) den Mittelpunkt weiblicher Verlockung im Hintern sieht, wie soll man das Besondere dieser erotischen Orientierung beschreiben und definieren? Er improvisierte eine Antwort: Brutalität, Frohsinn; der kürzeste Weg zum Ziel; ein umso erregenderes Ziel, als es doppelt ist."

In diesem Buch ist übrigens viel vom (vorzugsweise weiblichen) Nabel die Rede. Die Bemerkungen des Schriftstellers mögen etwas mit wenigen Worten auf den Punkt bringen oder glatt verfehlen, sie bringen dabei immer wieder eine erfrischend unkonventionelle Sicht der Dinge zum Ausdruck. Treu geblieben ist sich Kundera auch darin, gerne einmal die Grenzen der herrschenden Moral zu überschreiten. Dem schockierenden Mord einer Frau wird viel Raum gegeben, und der Stalin, der durch den Roman geistert (ausgehend vom Stalin der Chruschtschow-Memoiren, die den vier Freunden in die Hände fallen), ist weniger un- als amoralisch und spannt einen weiten Bogen von Abhöreinrichtungen zu einem "so fröhlichen, so freien, so unschuldigen, so rustikalen, so brüderlichen, so ansteckenden Lachen, dass alle Welt, gleichsam erleichtert, ebenfalls anfängt zu lachen."

Bei alledem darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich der Schriftsteller längst nicht mehr auf dem Höhepunkt seiner einstigen Schaffenskraft befindet. Nicht Kürze und einfache Sprache des Werks sind damit gemeint, diese sind der beabsichtigten Stimmung von Leichtigkeit und Gelöstheit durchaus förderlich. Jedoch wirken die Geschehnisse und Dialoge oft konstruiert, die Personen sind anspruchslos gezeichnet, bei der außerordentlichen Romankürze fallen redundante Stellen und solche geringer Dichte umso unangenehmer auf, die paar Male, wo sich der Autor unvermutet in die Erzählung einschaltet und direkt an den Leser wendet, wirken mehr selbstgefällig als originell, Kundera hat, obwohl es so naheliegend gewesen wäre, die sich hier bietende Gelegenheit zu eigner Nabelschau vorbeiziehen lassen, und insgesamt hat es den Anschein, als besäße der Künstler nicht mehr genügend Kraft, seinen Stoff noch ordentlich durchzukneten.

"Das Fest der Bedeutungslosigkeit" ist also sicher nicht sein bestes Buch und ist dabei doch ein echter Kundera mit fast allen Vorzügen. Und ein ganz besonderer: ein bisschen altersweise, ein bisschen altersschwach, mit dem Charme und der Melancholie des Spätwerks.

(fritz; 03/2015)


Milan Kundera: "Das Fest der Bedeutungslosigkeit"
(Originaltitel "La fête de l'insignifiance")
Übersetzt aus dem Französischen von Uli Aumüller.
Hanser, 2015. 144 Seiten.
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Milan Kundera, 1929 in Brünn geboren, lebt in Paris.
Milan Kundera starb am 11. Juli 2023 in Paris.