Jan Assmann: "Exodus"

Die Revolution der Alten Welt


Ein Auszug und sein weltbewegendes Nachspiel

Die Erzählung vom Auszug der Hebräer aus der Sklaverei in Ägypten hat den Rezensenten schon als Kind als eine monumentale Befreiungsgeschichte fasziniert. Neben der Nächsten- und Feindesliebe sowie der Erzählung von Gottes Gerechtigkeit, für die Jesus im Neuen Testament steht, war sie nicht nur für seinen Glauben entscheidend, sondern auch für seine Berufswahl.

Diese Geschichte vom Auszug aus Ägypten ist eine der wirkmächtigsten Erzählungen der Menschheit, und der Rezensent hat sie deshalb auch keiner einzigen Grundschulklasse vorenthalten, die er in zwei Jahrzehnten unterrichtet hat. Der Exodus steht, wie Jan Assmann in seinem an sein umstrittenes Buch "Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus" und seine Kritik des Monotheismus anknüpfenden Buch zeigt, nicht nur für die Befreiung aus der Sklaverei, sondern ist auch immer wieder Quelle von Befreiungsbewegungen und Revolutionen quer durch die Geschichte und steht für die Geburt bzw. Erfindung des Monotheismus, des Glaubens an den einen Gott.

Die Schlüsselszenen im Buch Exodus sind bedeutsam für die Heilsgeschichte des Judentums, des Christentums und des Islam. Doch weit über die Ausbildung und die Entwicklung dieser drei monotheistischen, abrahamitischen Religionen hinaus haben die Erzählung und die Tradition vom Exodus, vom gottgewirkten Weg aus der Unfreiheit in die Freiheit in der Kunst und in der Literatur der Jahrhunderte, seitdem bis auf den heutigen Tag eine ungeheure Wirkung entfaltet.

Jan Assmann, 1938 geboren, Professor em. für Ägyptologie an der Universität Heidelberg und Professor für allgemeine Kulturwissenschaft an der Universität Konstanz, beschreibt in diesem ebenso lesenswerten wie informativen Buch, wie diese Geschichten entstanden sind, wie sie überliefert und im Pentateuch von den Theologen der Priesterschrift zusammengestellt wurden. Er geht den ägyptischen und altorientalischen Wurzeln nach und benennt das genuin Neue an ihnen.

 

"Die Nacht des Auszugs, in der die Israeliten zum Aufbruch gerüstet in ihren Häusern sitzen und das Opferlamm verzehren, mit dessen Blut sie ihre Türpfosten gestrichen haben, um verschont zu werden, während draußen JHWH durch Ägypten geht und alle Erstgeburt erschlägt, diese Nacht bildet die Urszene des Pessachfestes, die bis heute im Judentum in der Seder-Nacht nachgespielt wird und auch dem christlichen Osterfest als Subtext zugrunde liegt. Die eigentliche Plage, die Tötung der Erstgeburt, wird dann nach 28 Versen, die der Einrichtung des Pessach- und Mazzen-Fests gewidmet sind, in zwei Versen erzählt; zwei weitere widmen sich der Reaktion Pharaos, der endlich die Israeliten mit all ihrer Habe freilässt. Zu dieser Habe gehört auch Gold- und Silbergeschmeide, das sie sich vor ihrem Aufbruch noch von den Ägyptern schenken lassen (Ex 11,2 f.; 12,35 f.): ein wichtiges Motiv, das bereits Abraham (Gen 15,14) und Mose (Ex 3,21 f.) angekündigt wird. Aus diesem Gold wird später das Goldene Kalb gegossen werden, aber auch beim Bau des Tabernakels wird es eine Rolle spielen. (...)" (Aus dem Buch)

Weiters wird Assmanns nach "Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus" anno 2010 kontrovers diskutierte Monotheismustheorie und Monotheismuskritik erneut aufgenommen und fortgeführt.
Hauptfokus dieses Buches sind jedoch die enormen weltgeschichtlichen Folgen des Auszugs der Israeliten aus Ägypten bis in die heutige Zeit.
Insbesondere christlichen und liberalen islamischen Theologen kann man dieses Werk ans Herz legen. Auch kann es die jüdische theologische Debatte enorm bereichern.

Für Assmann ist der Auszug aus Ägypten die Gründungserzählung der modernen Welt, wie wir sie heute kennen.

(Winfried Stanzick; 02/2015)


Jan Assmann: "Exodus. Die Revolution der Alten Welt"
C.H. Beck, 2015. 493 Seiten mit 40 Abbildungen.
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Noch ein Buchtipp:

Jan-Heiner Tück (Hrsg.): "Monotheismus unter Gewaltverdacht. Zum Gespräch mit Jan Assmann"

Unter den Stimmen, die das Unbehagen am Gewaltpotenzial des Monotheismus artikuliert haben, verdient Jan Assmann besondere Aufmerksamkeit. Er hat die Auffassung vertreten, dass der biblische Monotheismus eine neue Form von Hass in die Welt gebracht habe - einen Hass, der durch religiöse Wahrheitsansprüche motiviert werde. Kein Geringerer als Papst Franziskus hat die akademische Theologie aufgefordert, sich mit Jan Assmanns These näher auseinanderzusetzen. (Herder)
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