Vaddey Ratner: "Im Schatten des Banyanbaums"


Ein sehr eindringliches Buch über eine von der Welt wohl weitestgehend vergessene Revolution

Mit vollem Namen heißt die Autorin Neak Ang Mechas Ksatrey Sisoawath Ratner Ayuravann Vaddey, was schon darauf hinweist, dass sie aus einer nicht ganz alltäglichen Familie stammt. Tatsächlich wurde sie als eine Prinzessin des ehemaligen kambodschanischen Könighauses geboren und verbrachte ihre Kindheit bis zu ihrem fünften Lebensjahr wirklich ziemlich sorgenfrei - bis auf Einschränkungen durch ein verkürztes Bein als Konsequenz einer Polio-Erkrankung kurz nach ihrer Geburt. Mit dem Einmarsch der Roten Khmer in die Hauptstadt Phnom Penh am 17. April 1975 sollte sich ihr Leben dann grundlegend ändern.

Dieses Buch beruht auf der Biografie der Autorin, jedoch hat sie, wie sie im Nachwort erklärt, einige Ereignisse und Entwicklungen gerafft dargestellt oder auch mehrere sehr ähnliche Erfahrungen zu etwas deutlicheren Einzeldarstellungen zusammengezogen.

Raami, die Ich-Erzählerin dieses Romans, ist beim Einmarsch der Roten Khmer ein wenig älter als die Autorin damals und hat bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur ein Leben in absoluter Liebe kennengelernt. Ihr Vater, den sie geradezu vergöttert, ist ein großer Freund der Literatur und der Menschen und kann sich mit den neuen, humanistischen Ideen der politischen Linken gut identifizieren, weswegen er die Revolution im eigenen Land zunächst begrüßt. Doch bald beginnt der sozialistische Umbau des Landes, die Adelsfamilie muss ihren Stadtpalast verlassen und wird durch das Land verfrachtet. Im Sinne der sozialistischen Umerziehung sollen die Städter lernen, das "reinere und bessere" Leben der Bauern zu leben - also Umerziehung durch Landarbeit, wie man sie auch in anderen Ländern in dieser Zeit gesehen hat.

Für Raami und ihre kleine Schwester, die beide sehr behütet und beeinflusst von den Erzählwelten ihres Vaters und dem Buddhismus gelebt haben, sind die Ereignisse überaus verwirrend und auch verstörend, denn die Revolutionäre gehen mit unglaublicher Grausamkeit gegen alles vor, was nicht revolutionär genug wirkt - und das kann sich dummerweise auch noch von Tag zu Tag ändern. Da die "Organisation", wie sich die Führung der Revolution nennt, für die Menschen an die Stelle der Familien treten soll und alle "alten Werte" bekämpft und ausgemerzt werden sollen, sieht Raami, wie ihre Familiengruppe immer kleiner wird. Und jeder Verlust nimmt ein Teil ihrer Kindheit fort.

Der Kalte Krieg ist mittlerweile für viele Menschen schon alte Geschichte, und die dazugehörigen Stellvertreterkriege geraten vor den aktuellen Kriegen und Krisen mehr und mehr in Vergessenheit. Kambodscha war neben Vietnam, genau wie Laos, bei einem Stellvertreterkrieg in den Augen einiger Betrachter eher ein Kollateralkrieg, was aber die Grausamkeiten der dortigen Revolutionen, in denen Nationalismus, Rassismus und überbordende Ideologie eine überaus unheilige Allianz eingegangen sind, in keiner Weise mindert.
Aus der Sicht und mit der Stimme eines langsam und dann immer schneller erwachsen werdenden Kindes zeigt die Autorin in "Im Schatten des Banyanbaums", wie erschreckend diese Situationen sind und wie grausam Menschen gegen ihresgleichen sein können. Nicht, dass ein Blick in die Nachrichten uns das nicht jeden Tag neu beweist, aber durch die Perspektive des Kindes kommt uns dies emotional wesentlich näher.

Dabei ist sie in der Erzählkunst und ihrer Sprachbeherrschung offensichtlich die Tochter ihrer beider literarisch stark geprägten Eltern, so dass die Geschichte den Leser mitnimmt und man selbst in den fürchterlichsten Momenten an die Buchseiten gefesselt ist.
Anders als Mo Yan oder andere asiatische Autoren, die sich mit den Schrecken der Revolutionsbewegungen befasst haben, verzichtet die Autorin dabei auf die Darstellung sexueller Übergriffe, was unrealistisch erscheinen mag - aber das Dargestellte ist sicherlich erschreckend genug, um zu zeigen, wie traumatisierend die Situation für alle Beteiligten gewesen sein muss.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2014)


Vaddey Ratner: "Im Schatten des Banyanbaums"
(Originaltitel "In the Shadow of the Banyan")
Aus dem Englischen von Stephanie von Harrach.
Unionsverlag, 2014. 381 Seiten.
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Vaddey Ratner, geboren 1970 in Kambodscha, gelangte im Jahr 1982 sie als Flüchtlingskind ohne Englischkenntnisse in die USA, 1990 schloss sie die Highschool als Jahrgangsbeste ab und studierte Südostasiatische Geschichte und Kunst. Ihr Debütroman "Im Schatten des Banyanbaums" war unter Anderem unter den Finalisten des "PEN/Hemingway Foundation Awards". Sie lebt in Potomac.

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