Martin Mosebach: "Das Blutbuchenfest"


Die Putzfrau, die Reichen und der Krieg

Der deutsche Autor Martin Mosebach hat seinen Roman "Das Blutbuchenfest" in den neun Monaten, die er als Fellow an der Kölner Universität verbracht hat, geschrieben. Nichtsdestotrotz findet die Handlung des Romans zum größeren Teil in Frankfurt am Main und zu einem kleineren, jedoch gewichtigen Teil in einem kleinen Dorf in Bosnien & Herzegowina statt. Der Zeitrahmen, in dem dieser Roman passiert, ist die Zeit zwischen Mauerfall und Ausbruch des Bürgerkriegs im damaligen Jugoslawien.

Für seinen Roman "Das Blutbuchenfest" hat Martin Mosebach einen Haufen interessanter Charaktere erfunden, die den Löwenteil dieses faszinierenden, wenngleich auch formal betrachtet, etwas zerfahrenen Romans tragen.

Wereschnikow, ein Angeber sondergleichen, der offensichtlich nur dann funktioniert, wenn er im Rampenlicht steht und mit seinen Beziehungen zu Gott und der Welt prahlen kann. Er ist schamlos im Präsentieren der eigenen Person, keine Selbstinszenierung ist ihm peinlich. Wereschnikow plant einen Menschenwürdekongress in Bosnien, bei dem er sich bereits als großen Retter und Überbringer der Zivilisation ins Nichts sieht.

Der großkotzige Rotzoff, ehemals Leiter einer Werbeagentur, die er selbst aus reinem Unvermögen in den Sand gesetzt hat. Nach der Devise, Frechheit siegt, ist er genau dort frech und überheblich, wo er eigentlich die schlechtesten Karten hat. Im Restaurant von Merzinger, der wiederum nach dem Motto "nichts sehen, nichts hören, nichts sagen" lebt, lässt er anschreiben, weil er sich die großkotzigen Feinheiten der gehobenen Küche nicht leisten kann.

Frau Markies, eine unangenehme, böswillige Dame mit der Eigenschaft, überall ihre Ellbogen einzusetzen, ist eine weitere Figur dieses Romans, die eigentlich nicht besonders sympathisch ist, während der Erzähler selbst, Kunsthistoriker, sympathisch und eher erfolglos im Leben, von Wereschnikow  angeheuert wird und im Rahmen seines gigantomanischen Kongresses in Bosnien eine Ausstellung über den "Michelangelo Bosniens", den Bildhauer Mestrovic gestalten soll.

Das verbindende Glied, der rote Faden dieses Romans und zentrale Figur, ist allerdings Ivana, die aus Bosnien stammende Putzfrau, die bei allen putzt. Ivana ist eine besonders gelungene Figur, da sie einerseits die Beziehung zwischen "Chef/Chefin" und Putzfrau problemlos anerkennt, nichtsdestotrotz aber genügend Scharfsinn besitzt, um in Situationen, in denen ihre Vorgesetzten Schwäche und mangelnde Größe zeigen, hart zuzupacken und wenn möglich, kleine, feine Racheakte einfließen zu lassen. Unsentimental und erbarmungslos ist sie, die im harten Existenzkampf keine Zeit für diese Exzesse der Überflussgesellschaft hat. Großartig ist es Martin Mosebach gelungen, ihre Figur realistisch und überzeugend zu gestalten, trotz aller Widrigkeiten aber immer von einem Hauch Eigenwürde umgeben.

Die Überfluss- und Statuswelt der Reichen (oder Möchtegernreichen) in  Frankfurt wird so im Laufe des Buches der Bergwelt Bosniens gegenübergestellt, einer Welt, die Martin Mosebach in voller Härte zeichnet. Jene Kapitel, die in Bosnien spielen, sind die Kapitel, deren erzählerische Stringenz den bewusst intellektuell angehauchten und vielleicht etwas gestelzten Stil der Kapitel um die Herren Wereschnikow, Rotzoff und den Kunsthistoriker verdrängen und so eine Vielfalt an verschiedenen Stimmungen erlauben, dass man dieses polyphone Stimmengeflecht in voller Spannung weiterverfolgen kann.

Es sind die ewigen Gegensätze von Frieden und Krieg, Reich und Arm, Tragik und oberflächlicher Komik, die als Ausgangspunkte dieses sehr gelungenen Romans fungieren. Die Vorahnung des Krieges in Bosnien, die als mahnender Schatten über den Zeilen dieser Kapitel liegt, steht im krassen Gegensatz zu den fast frivol absurden Feierlichkeiten der Reichen in Frankfurt. Während Ivana dann beim abschließenden Blutbuchenfest in Frankfurt den Gästen Sekt serviert, hängt sie gleichzeitig in der Leitung ihres Mobiltelefons, über das sie mit ihrer Familie in Bosnien verbunden ist, und erfährt, dass ihr Bruder soeben den muslimischen Nachbarn erschossen hat. Ein Akt der Selbstverteidigung mit der Schrotflinte.

Martin Mosebach erlaubt sich in diesem Roman einige Anachronismen, wie zum Beispiel Mobiltelefone, (die es ja Anfang der 1990er-Jahre noch nicht wirklich gab...), und schreibt statt Sofa "Sopha". Der Rezensent gesteht, erst knapp vor Ende des Romans Frieden mit dem "Sopha" geschlossen zu haben. Die Anachronismen funktionieren als Freiheit des Autors sehr gut, da sie einzig und allein der Erzählung des Romans dienen. Zusätzlich hat Martin Mosebach den Ich-Erzähler dieses Romans mit der Fähigkeit ausgestattet, hin und wieder Dinge zu sehen und wissen, die er, als derjenige, der er ist, gar nichts wissen dürfte. Auch das gewöhnungsbedürftig zuerst, letztendlich doch überzeugend.

"Das Blutbuchenfest" ist ein interessanter, spannender, geistreicher Roman, der sich viel vornimmt und auch viel erreicht, der aber auch einige kleine Schwächen hat. Eine Art des Scheiterns im Kleinen, symbolisch vielleicht mit dem Scheitern der Persönlichkeiten im großen Kontext gleichzusetzen, die natürlich höchstwahrscheinlich bewusst von Martin Mosebach eingesetzt wird.

Starke Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 02/2014)


Martin Mosebach: "Das Blutbuchenfest"
Hanser, 2014. 445 Seiten.
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