A. J. Colucci: "Die Kolonie"


Von Ameisen, korrupten Politikern und machthungrigen Militärs

Ameisen sind wirklich faszinierende Geschöpfe, und es gibt bereits einige ganz gute Filme und Bücher über sie als mögliche Gefahr - oder mögliche Symbiosepartner in der Entwicklung der Menschheit - und leider auch einige wirklich sehr schlechte. Und dann gibt es natürlich noch "Antz". Die kleinen staatenbildenden Kraftmaschinen, die eine enge genetische Verwandtschaft mit Wespen aufweisen, haben vielen Philosophen als Vorbilder für funktionierende Staatswesen gedient - oder als Schreckensbild der vollständigen Unterwerfung des Individuums unter die Interessen der Gemeinschaft. Ob im Spielfilm, im Garten, in der eigenen Ameisenfarm oder als ungebetene Gäste beim Picknick: Eigentlich lassen Ameisen keinen kalt.

Die Hauptdarsteller dieses Buchs sind ungewöhnlich für Ameisen. Sie tauchen unerwartet in der Stadt New York auf, und sofort kommt es im Zusammenhang mit ihrem Auftreten zu grausigen Todesfällen. Diese Ameisen scheinen Menschen direkt anzugreifen und in der Lage zu sein, sie in konzertierten Aktionen zu überwältigen und zu töten.
Doch Dr. Paul O'Keefe, ein Spezialist für Ameisen, kann diese besondere Form von Ameise nicht identifizieren, und im Labor zeigt auch keines der gefangenen Exemplare, die im Übrigen relativ schnell verenden, besondere Aggressionen.
Weil die Zahl der Toten zunimmt, schalten sich höhere staatliche Stellen in die Untersuchungen ein als der New Yorker Bürgermeister: das Militär, Pharmavertreter und Pauls Exfrau Kendra werden in die Stadt gebracht, um sich des Problems anzunehmen. In einem geheimen Bunker, tief unter der Stadt, sieht sich diese Truppe mit der neuen Gefahr aus dem Insektenreich, Siafu Moto, einer Art Supertreiberameise, die sich als nahezu unzerstörbar erweist, konfrontiert.

Doch nicht alle im Bunker haben bei den Forschungen dieselbe Stoßrichtung, und während die Zahl der Toten in Manhattan und den anderen Stadtbezirken erst in den fünf- und dann in den sechsstelligen Bereich steigt, arbeiten einige Armeevertreter entgegen der allgemeinen Ziele der Gruppe. Die Siafu Moto haben ohnedies ihren ganz eigenen Zeitplan, der durch die Umstände eine enorme Beschleunigung erfährt; und sie sind deutlich in der Überzahl.

Wenn man Berichte über Treiberameisen kennt, dann weiß man, dass diese auch einem Menschen (lebens-)gefährlich werden können, und diese Gefahr wird in "Die Kolonie" wieder und wieder auf das Schrecklichste präsentiert. Der naturwissenschaftlich gebildeten Autorin und Journalistin gelingt es fabelhaft, wissenschaftliche Problemstellungen und deren Verknüpfungen mit dem "normalen" Leben (Finanzierung, politische Interessen, Vorurteile etc.) darzustellen, und das ist sicherlich eine der ganz großen Stärken dieses Debütromans.

A. J. Coluccis Figurendarstellung, hierbei besonders die glaubwürdige Darstellung der Motivation der "Bösen", ist aber noch deutlich entwicklungsfähig, denn trotz vieler Dialogabschnitte bleiben auch Kendra und Paul vergleichsweise schwach charakterisiert und hinterlassen als Figuren wenig Eindruck. Auch der vergleichsweise "von der Stange gekaufte" Epilog, der einen wünschen lässt, das Buch hätte zwölf Seiten eher geendet, verpufft regelrecht.
Aber davon abgesehen, ist "Die Kolonie" überaus interessant und ein durchaus überzeugendes Debüt.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2014)


A. J. Colucci: "Die Kolonie"
Übersetzt von Rainer Nolden.
Mira, 2013. 300 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Noch ein Buchtipp:

Bert Hölldobler, Edward O. Wilson: "Auf den Spuren der Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt"

Diese von den beiden weltberühmten Experten geschriebene, reich illustrierte Naturgeschichte führt in die faszinierende Welt der Ameisen. Sie erfahren von der Artenvielfalt, von typischen Verhaltensweisen, von der effektiven Zusammenarbeit und den Verständigungsmöglichkeiten innerhalb der Kolonien und von den perfekt geplanten kämpferischen Auseinandersetzungen mit anderen Völkern. Die Autoren lassen Sie an der Spannung und dem Vergnügen teilhaben, welches sie bei ihrer Erforschung der Ameisen erlebt haben. Der Text wurde für diese deutsche Neuauflage von Bert Hölldobler auf den aktuellen Stand gebracht und umfangreich ergänzt. Zahlreiche zusätzliche neue Farbtafeln illustrieren die Welt der Ameisen noch beeindruckender.
Inhaltsverzeichnis: Die Vorherrschaft der Ameisen; Aus Liebe zu Ameisen; Leben und Tod einer Kolonie; Vom Ursprung des Altruismus bei Ameisen; Das Erkennen von Nestgenossinnen; Wie sich Ameisen verständigen; Arbeitsteilung im Superorganismus; Krieg und Außenpolitik; Die Urameisen; Konflikt- und Dominanzverhalten; Sozialparasiten: die Codeknacker; Trophobionten und Hirtenameisen; Treiberameisen; Wohnungssuche und Umzug; Wie Ameisen ihre Umwelt kontrollieren; Die seltsamsten Ameisen; Anhang: Wie man Ameisen untersucht; Nachwort: Wer wird überleben? (Springer Spektrum)
Buch bei amazon.de bestellen