Kirsten Jacobsen: "Mankell über Mankell"


"Auf lange Sicht geht es auf die große Stille zu, wo alles aufhört. Doch wann der Tod auch kommt, er wird stören. Ich werde ja nicht in dem Moment, in dem er an die Tür klopft, fertig sein. Ich werde sagen: 'Verdammt nochmal! Ich bin nicht bereit!' So wird das Meiste, was ich noch schreiben möchte, ungeschrieben bleiben, denn unsere Zeit ist zu kurz."

Henning Mankell hat noch Einiges vor. Er ist davon überzeugt, das Beste vor sich zu haben. Einige Pläne enthüllt er der Journalistin Kirsten Jacobsen, die ihn ein Jahr lang begleitet hat. Der Autor weiß viel zu erzählen. Nicht alles ist wirklich druckreif. Jeder Kraftausdruck ist erhalten geblieben. Und die Widersprüchlichkeit des Menschen Mankell wird so manchen Leser seiner Werke vielleicht sogar vor den Kopf stoßen. Doch das ist auch das Besondere an diesem Buch: Es ist keine Lobhudelei, es ist keine geschönte Biografie und erst recht keine Autobiografie. Es ist schlicht und einfach Mankell über Mankell. Ein Autor spricht über sich selbst und lässt eine Journalistin dabei zuhören. Einige wenige Auserwählte wurden dazu auserkoren, etwas über Mankell zu sagen. Darunter Persönlichkeiten wie Desmond Tutu und Kenneth Branagh. Auch Mankells Sohn Jon schreibt ein wenig über seinen Vater. Was immer auch über ihn erzählt oder geschrieben wird, er kommt dabei gut weg. Trotz seiner Widersprüchlichkeit. Und das spricht wiederum für ihn.

Mankell nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Wenn er einmal in Fahrt ist, ist er nur schwer zu bremsen, außer von sich selbst. So ersucht er seine Zuhörerin regelmäßig, eine Pause machen zu wollen. Ja, er hat einen perfekten Zeitplan, und es gilt, keine Zeit zu verlieren. Er ist jeweils wenige Minuten vor den Interviewterminen an Ort und Stelle. Er soll schon Journalisten nach kurzer Zeit nach Hause geschickt haben, wenn sie nichts Vernünftiges zu fragen wussten. Wer also ein Interview mit Mankell führen will, der muss vorbereitet sein. Kirsten Jacobsen hatte schnell einen guten Draht zu Mankell. Sie hat angenehme und unangenehme Fragen gestellt.

"Ich hatte eigentlich nie das Bedürfnis, die Wallander-Bücher zu schreiben. Sie waren für mich lediglich der Ausgangspunkt, um auf den beginnenden Rassismus in Schweden aufmerksam zu machen. Ich möchte ein Geschichtenerzähler sein."

Und wie Mankell Geschichten erzählen kann. Wallander ist ihm so einfach passiert. Den Namen hat er sich aus dem Telefonbuch zusammengestoppelt, er fand ihn passend. Was mit "Mörder ohne Gesicht begann" endete mit "Der Feind im Schatten". Zwölf Bücher rund um Kurt Wallander hat er verfasst und damit gut. Er weint Wallander keine Träne nach. Nun soll der alte Kerl halt einsam seine Runden drehen, seine Tochter Linda wird sich schon um ihn kümmern, wenn seine Alzheimer-Erkrankung ein nächstes Stadium erreicht. Mankell erzählt kurz und bündig über Wallander. Dass er seinen Helden an Alzheimer erkranken ließ, ist keine große Sache. Doch gleichzeitig folgt die vielleicht bemerkenswerteste Aussage von Mankell. Er findet nämlich, dass er, sollte er selbst an Alzheimer erkranken, dieses Leben nicht ertragen würde. Keine Erinnerung, kein Geist mehr. Nur mehr die physischen Funktionen. Dieser Ansicht ist jedenfalls Mankell. Unter solchen Umständen wäre er bereit, sich aus dem Leben zu stehlen. Hier kommt die überbordende Rationalität von Mankell ins Spiel. Er ist der Auffassung, dass der Mensch eine Summe seiner Sozialisierung, seiner Gene und seiner Wahlfreiheit ist. Dies ist nur einer von mehreren Hinweisen auf seine nicht vorhandene Spiritualität, die er immerhin anderen Menschen zugesteht. Ja, dem Leser kann sich sogar der Eindruck eröffnen, Mankell sei zu rational. Damit steht er nicht allein da, für viele Künstler und Intellektuelle scheint es sogar "Mode" zu sein, einen fanatischen Atheismus zu predigen. So schlimm ist es - glücklicherweise - bei Mankell nicht. Er degradiert gläubige und spirituelle Menschen nicht, steht nur außen vor.

"Die wichtigste Erkenntnis, die ein jeder Mensch haben sollte, ist nichtsdestoweniger die, dass man seine Wahl selbst treffen kann. Man kann wählen, ob man versinken will oder ob man versucht zu schwimmen."

Mankell ist sicher ein guter Schwimmer. Wer ihn über sich selbst reden hört, bekommt auch das Gefühl, dass er vom Glück sehr begünstigt war und ist. Schon im Alter von 18 Jahren stellte sich erster literarischer Erfolg mit einem Theaterstück ein. Wenig später folgte der erste Roman, ebenfalls von glänzendem Erfolg gekrönt. Henning Mankell konnte vom Schreiben schon sehr früh leben und sich stetig weiterentwickeln. Er wurde gefördert und fördert nun mit seinem eigenen Verlag selbst großteils Autoren vom afrikanischen Kontinent. Überhaupt ist er nicht knauserig. Ein SOS-Kinderdorf wurde durch seine Initiative und mit Hilfe seines Geldes errichtet. Er wollte nicht, dass es seinen Namen trägt. Ein Glückskind sollte sein Glück teilen. Was global gesehen keineswegs üblich ist, lässt sich auf Mankell also definitiv anwenden. Er freut sich über den kleinen Beitrag, den er leisten kann, um anderen Menschen Gutes zu tun. Mankell will Menschen auch Mut machen. Das ist einer der Gründe, warum er dem teatro avenida in Maputo zu neuem Glanz verholfen hat. Er arbeitet zusammen mit fast ausschließlich Laienschauspielerinnen und Laienschauspielern vor Ort, schreibt für sie Stücke und inszeniert Jahr für Jahr neue.

"Damals war ich der einzige Weiße im Theater. Und wenn ich eines Tages nicht mehr dort bin, wird man mich natürlich nicht durch einen anderen Weißen ersetzen, sondern durch einen Mosambikaner."

Der Name Mankell wird oft mit Afrika und Schweden verbunden. Mit einem Fuß, das sagt er selbst sehr gerne, stehe er im Sand, mit dem anderen Fuß im Schnee. Das ist auch der Grund, warum er Romane schreibt, die auf dem afrikanischen Kontinent und in Schweden spielen. Seine Afrika-Romane sind trotz der in ihnen liegenden Tragik immer auch ein Stück hoffnungsreich. Mankell ist es ein Anliegen, die Menschen vom afrikanischen Kontinent so darzustellen, wie sie sind. Dabei trägt er nie die Brille des Europäers oder Schweden, sondern die eines an den Schicksalen von Mitmenschen interessierten Zeitgenossen. Seit über 25 Jahren ist Mankell in Mosambik und in Schweden zu Hause.

"Bestimmt hätte ich in vielerlei Hinsicht ein besserer Vater sein können, doch glaube ich nicht, dass ich zu den schlechtesten gehöre. Ich war jedenfalls nie ein so niedriger Mensch wie meine Mutter ... Das kann ich ganz leidenschaftslos sagen. Sie war ein Nichts. Sie war ohne Wert. Das klingt hart, wenn ich das sage, aber es war so."

Mankells Mutter hat ihn und seine beiden Geschwister sowie seinen Vater von einem Tag auf den anderen verlassen, als er noch ganz klein war. Viel später hat er sie getroffen und keine Beziehung zu ihr aufbauen können. Sie ist im Alter von Mitte 50 verstorben, und ihr Sohn Henning hat ihr wohl keine Träne nachgeweint. Die Passagen über seine Eltern sind im Buch wohl die persönlichsten Stellen. Denn es ist eine Sache, über eigene Werte, Vorstellungen, Ideale, Lebenseinstellungen, literarische Vorlieben und die Entwicklung des eigenen Schreibens zu philosophieren, jedoch eine ganz andere Sache, über Mutter und Vater zu erzählen.

"Er war ein phantastischer Mensch, und ich habe sehr getrauert, als er 1972 starb. Das war eine Trauer, wie Trauer sein soll. Ein tiefes, tiefes Verlustgefühl. Ein Verlust, der wirklich zu spüren war, und das Gefühl, jetzt hat sich die Welt verändert, weil ein bestimmter Mensch - er - nicht mehr da ist."

So sehr Mankell seine Mutter abgelehnt hat, so sehr hat er seinen Vater geliebt. Er war der Mensch, bei dem er aufgewachsen ist, der sich um ihn und seine Geschwister gekümmert hat. Ein Richter, dazu aufgerufen, in ruhigere Gefilde zu ziehen, um dort mehr Zeit für seine Kinder haben zu können. Sicher ein Idol für Henning Mankell. So, wie er über seine Eltern spricht, lässt der Autor tief in sich blicken. In allen anderen Belangen bleibt es weitgehend unklar, wie dieser Mensch einzuschätzen ist. Er ist - wie schon einmal festgestellt - ein widersprüchlicher Charakter, davon wusste sicher auch sein Schwiegervater, Ingmar Bergman, ein Liedchen zu singen. Da sind sich zwei ungewöhnliche Charaktere wohl nichts schuldig geblieben. Seit 1998 ist Mankell mit Eva Bergman, Ingmars Tochter, verheiratet. Ja, Mankell mag ein schwieriger Mensch sein, aber es lässt sich mit ihm aushalten, wenn er das machen kann, was er machen will. Und das tut er seit dem Alter von 18 Jahren. Er schreibt und schreibt und schreibt, und dabei wird er nur ungern gestört.

"Leidenschaft zum Schreiben und Leidenschaft zum Leben sind bei mir eins. Passion und Profession. Ich würde nie etwas ohne Leidenschaft schreiben können. Passion, Kreativität und Leben sind für mich drei Seiten ein und derselben Sache."

Bei all seinem sozialen Engagement, das er in den letzten Jahren auch mit seiner Teilnahme an der Aktion ship to gaza bewiesen hat, ist Mankell in erster Linie Autor. Diese Leidenschaft ist seinen Romanen, Erzählungen und Erfahrungsberichten zu entnehmen. Ihm ist bewusst, dass manch Anderes dabei zu kurz kommt. Doch wie wohl jeder Autor, der sich ernsthaft als Autor bezeichnet, kann Mankell nicht anders. Er muss schreiben. Wir dürfen darauf gespannt sein, was da  noch alles folgt, auch wenn ihm die Zeit in jedem Falle zu knapp sein wird.

(Jürgen Heimlich; 11/2013)


Kirsten Jacobsen: "Mankell über Mankell"
Übersetzt von Lutz Volke.
Zsolnay, 2013. 336 Seiten.
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