Robert Galbraith: "Der Ruf des Kuckucks"


Cormoran Strikes erster Fall

Cormoran Strike ist der illegitime Sohn eines Rockstars, der ihn aufgrund einer DNS-Probe unwillig anerkannt hat, aber eigentlich nie Kontakt mit ihm hatte. Cormoran selbst ging bald nach Abschluss seiner Schullaufbahn zur Armee, wo er sich dem SIB zuordnete, weil er schon immer Polizist werden wollte; ein Beruf, der so ziemlich das Gegenteil von dem darstellte, was seine Mutter ihm in seiner Jugend beschert hatte. In dieser Funktion war er unter Anderem auch wegen einer Ermittlung in der Helmand-Provinz in Afghanistan, wo eine Kugel sein Bein zertrümmert und seine Karriere bei der Militärpolizei beendet hat. Nun lebt er wieder in London im Haus seiner vermögenden Verlobten Charlotte und arbeitet als eher schlecht bezahlter Privatdetektiv, um seine erlernten Fähigkeiten aus seinem vorherigen Berufsleben weiter nutzen zu können.

Gerade an jenem Tag, an dem Charlotte ihm aus unerfindlichen Gründen den Laufpass gibt und ihm etliche Kratzer im Gesicht sowie ein blaues Auge verpasst, bevor sie wütend sein Büro verlässt, kommt die junge Robin Ellacott, die gerade einen Heiratsantrag von ihrem Freund Matthew bekommen hat und sich freut, dass ihre wahrscheinlich letzte Tätigkeit für eine Arbeitsvermittlungsfirma jene einer Sekretärin bei einem Privatdetektiv sein wird, was sie in kindlicher Begeisterung immer erträumt hatte, bevor sie einen "richtigen" Posten bekommt, die Treppe empor und wird von Cormoran beinahe über den Haufen gerannt. Nur Minuten nachdem er ihr erklärt hat, dass er sich nicht einmal eine Aushilfssekretärin leisten kann, kommt ein überaus zahlungskräftig wirkender Klient namens John Bristow in sein Büro und erteilt ihm einen Auftrag. Bristow, dessen Bruder Charlie vor dessen Tod ein Schulkamerad Cormorans war, kann nicht glauben, dass seine Adoptivschwester Lula Landry, wie allgemein berichtet, drei Monate zuvor Selbstmord verübt hat, und möchte, dass Cormoran herausfindet, was wirklich geschehen ist.
Zusammen mit seiner neuen Sekretärin, die sich als wesentlich fähiger und engagierter erweist, als alle bisherigen Aushilfen, beginnt der in eher bescheidenen bis miesen Umständen aufgewachsene Cormoran, in einem Milieu zu ermitteln, das durch Reichtum und Privilegien absolut abgehoben von der normalen Welt erscheint. Ein Milieu, in dem die meisten Menschen jemanden wie ihn eigentlich gar nicht wahrnehmen wollen.

Der in "Der Ruf des Kuckucks" präsentierte Kriminalfall ist solide und interessant, wenn auch nicht übertrieben originell, und erfahrene Krimileser ahnen bestimmt bereits zu Beginn des letzten Drittels, wie die Geschichte ausgehen könnte. Aber das ist nicht weiter schlimm. Dieser Kriminalroman dient  nämlich auch dazu, eine bestimmte Sicht auf London zu präsentieren und Cormoran, Robin, Matthew sowie einige andere Charaktere vorzustellen und zueinander in Beziehung zu setzen, die im weiteren Verlauf der Krimireihe eine grundlegende Rolle spielen werden, und dies gelingt in "Der Ruf des Kuckucks" ganz hervorragend, ohne die Ermittlungshandlung allzu sehr aufzuhalten. Ein Kunstgriff, der auch etablierten Autoren nicht unbedingt immer gelingt; und Joanne K. Rowling, die sich hier unter Pseudonym in ein neues Genre gewagt hat, ist sicherlich eine etablierte Autorin, wenngleich sie es zu Beginn ihrer Krimiserie anscheinend zunächst einmal nicht für die Öffentlichkeit sein wollte.

Auch sprachlich ist dieser Roman mit seiner Mischung aus lakonischen Passagen und stellenweise beinahe viktorianischen Beschreibungen eine Freude für jeden, der an sprachlichen Spielereien, die nicht überhandnehmen, seinen Spaß hat. Leser, die in erster Linie eine reißerische Handlung und Hochspannung erwarten, werden von diesem eher ruhigen Roman etwas enttäuscht sein, aber Charaktere und Erzählung wurzeln eher in der klassischen Krimitradition als in der zeitgeistigen Spezialeffektehaschereimassenproduktion.

Fazit:
Ein sowohl abgerundeter als auch befriedigender Kriminalroman, der Kritiker und Filmrechtkäufer bereits begeistert hat, bevor der wahre Name der Autorin "enthüllt" wurde; übrigens interessanterweise genau so, wie im Roman in einer kleinen Nebenhandlung gespiegelt.
Sehr lesenswert.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 12/2013)


Robert Galbraith: "Der Ruf des Kuckucks"
(Originaltitel "The Cuckoo's Calling")
Übersetzt von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz.
Blanvalet, 2013. ca. 608 Seiten.
Buch bei thalia.at bestellen

Buch bei amazon.de bestellen

Digitalbuch bei amazon.de bestellen