Andreas Eschbach: "Todesengel"


Beschützt ein Racheengel Unschuldige?

Wieder einmal spricht ein älterer Mitbürger zwei Jugendliche an, die in einer U-Bahn-Station Sachbeschädigung betreiben - und sieht sich plötzlich selbst als Ziel ihrer Zerstörungswut und Aggression. Doch als er schon mit dem Leben abgeschlossen hat, erscheint auf einmal eine leuchtend weiße Gestalt, welche die beiden Angreifer mit zwei Kopfschüssen niederstreckt und gleich darauf spurlos verschwindet.

Da die beiden Jugendlichen mit einer Makorov erschossen worden sind und Erich Sassbeck, der Angegriffene, ehemaliger DDR-Grenzsoldat ist, dessen Dienstwaffe eine solche Schusswaffe war, und im Tunnel auftauchende schießende Engel eher unwahrscheinlich erscheinen, steht ausgerechnet der gebrechliche Übersiebzigjährige unter Mordverdacht.
Eine Tatsache, die unter Anderem der freie Journalist Ingo Praise nicht ganz nachvollziehen kann; besonders, nachdem er es geschafft hat, den alten Herrn in seinem Krankenzimmer zu besuchen und zu interviewen.
Tatsächlich verhilft ihm dieses Interview, das stark den Äußerungen des zuständigen Staatsanwalts widerspricht, zu ungeahnter Prominenz, und er bekommt schließlich eine eigene Fernsehsendung, in der er sich mit Opfern von Gewaltverbrechen und ihren Erfahrungen auseinandersetzt.
Währenddessen erleben andere Gewalttäter in der Stadt immer wieder ihr blaues - und finales - Wunder, was die Polizei nur kurze Zeit geheimhalten kann.
Folglich nimmt die Gewaltdiskussion in den Medien ernsthaft zu, und beide Seiten fahren schwere Geschütze auf, um ihre jeweiligen Ansichten vorzuführen und zu verteidigen.

Notwehr, Fremdhilfe, Verhältnismäßigkeit der Mittel, Gewaltmonopol des Staates, Sinn und Unsinn von Resozialisierungs- bzw. Sozialisierungsprogrammen, Opfererfahrungen und Strafmaße - diese und andere Themen rund um die Frage der Gewalt kommen hier zum Tragen, genau, wie das Waffenrecht, wirksames Selbstverteidigungstraining (hier: Krav Maga) und Spätwirkungen von Opfertraumata.
Andreas Eschbach hat im Vorfeld offensichtlich sehr intensiv recherchiert und seine Ergebnisse möglichst vollständig in diesem Roman darzulegen versucht.

Ein solches Vorgehen ist immer ein riskantes Unterfangen, weil es schnell dazu führen kann, eine Geschichte thematisch zu überladen, Expositionen und Exkurse zu lang geraten zu lassen und in einen Predigtton zu verfallen. Aber dadurch, dass alleine schon in Ingos Fernsehsendung viele unterschiedliche Leute zu Wort kommen, ist sozusagen ein natürlicher Aufenthaltsort für bestimmte Exkurse entstanden.
Die personale Erzählung wechselt häufig zwischen Charakteren mit überaus unterschiedlichen Hintergründen, was es ermöglicht, den Themenbereich sehr breitgefächert zu betrachten, ohne eine Reihe von Essays in den Roman einzufügen, und die Hauptprotagonisten sind größtenteils komplex genug realisiert, um durchgängig interessant zu bleiben.

"Todesengel" ist sicherlich kein unwichtiges Buch zu einem immer noch relevanten gesellschaftlichen Thema, wobei die Engelsfigur darin vor allen Dingen zu einer Folie und Inspiration für allerlei Überlegungen wird.
Sollte man gelesen haben. Auch wenn Gewalterfahrungen für diejenigen, die sie nicht gemacht haben, notwendiger- und glücklicherweise immer ziemlich abstrakt bleiben, vermittelt dieses Buch auch den Glücklichen gute Einblicke und Stoff zum Nachdenken.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 10/2013)


Andreas Eschbach: "Todesengel"
Bastei Lübbe, 2013. 540 Seiten.
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