Rafael Nadal und John Carlin: "Rafa"

Mein Weg an die Spitze


Die zwei Seelen in der Brust des Rafael Nadal

Rafael Nadal ist nicht nur einer der ganz Großen im Tennis, er ist zudem auch eine interessante Persönlichkeit. Nadal, die aktuelle Nummer 2 der Weltrangliste, begeistert Fans und Zuschauer neben seinem äußerst erfolgreichen Spiel vor allem durch die Art und Weise, wie er auftritt. Auf den ersten Blick sind es zwei scheinbar völlig gegensätzliche Seiten, die der Spanier da in seiner Brust vereint: Während Nadal abseits des Platzes zurückhaltend und fast schüchtern daherkommt, erweckt er im Spiel den Kämpfer und Krieger in sich zum Leben. Dann geht er jedem Ball mit äußerstem Einsatz hinterher, schreit seine Emotionen nach Punktgewinnen heraus und reckt selbstbewusst die Faust. So, als wähne er sich unbeobachtet, ist der gerade einmal 25-jährige beim Spiel völlig in seinem Element und ganz bei sich. Ist er mit seiner Leistung unzufrieden, so treibt er sich lautstark selbst an und kämpft sich mit einem Ehrgeiz und Einsatz, der alle Tennisfans in seinen Bann zieht, zurück in die Partie. Erst nach Spielende, wenn die Kameras abdrehen, scheint er die Außenwelt wieder zu registrieren und das außerordentlich hohe Medieninteresse an seiner Person zu bemerken. Und sich vielleicht selbst ein wenig zu wundern, dass er so frei aufgetreten ist. "Auf den ersten Blick ist er ein geradliniger und auch ein sehr guter Mensch", sagt seine Mutter Ana Maria über ihn, "aber er ist auch voller Zwiespältigkeiten. Wenn man weiß, wie er tief im Inneren ist, gibt es Dinge an ihm, die einfach nicht dazu passen wollen." Auf diese Weise ist Rafael Nadal im Laufe seiner noch jungen Karriere zum echten Publikumsliebling und Sympathieträger avanciert.

Vor Kurzem erschien nun seine Autobiografie "Rafa. Mein Weg an die Spitze", die er zusammen mit dem Journalisten John Carlin verfasst hat. Nadal und Carlin spielen sich dabei gegenseitig die Bälle zu: Immer abwechselnd gibt es einen Absatz des Spitzensportlers, danach einen aus der Beobachterperspektive von Carlin. Das Buch gibt Einblicke in die Innenwelt des Profis und beleuchtet Seiten, die der Zuschauer gewöhnlich nicht zu Gesicht bekommt. "Rafa" beschreibt darin seinen Weg, der ihn zu dem unermüdlichen Kämpfer gemacht hat, der er heute ist. Dabei lässt er jedoch auch die Schattenseiten eines solchen Lebens als Star und die vielen dafür geopferten Stunden nicht unerwähnt: Schon von früh an verlangte sein Trainer und Onkel Toni, "der unerbittlichste Tenniscoach", ein enorm hohes Maß an Disziplin und Einsatz von Nadal. Nicht immer war der Spanier dabei glücklich über die knallharten Trainingsmethoden seines Onkels, doch hat er ihm zugleich auch sehr viel zu verdanken: "Hätte er mich damals nicht ohne Wasser spielen lassen, hätte er mich nicht in der Gruppe kleiner Jungen, die das Tennisspielen lernten, besonders hart herangenommen, hätte ich nicht über die Ungerechtigkeit und Beschimpfungen geweint, mit denen er mich bedachte, wäre ich vielleicht nicht der Tennisspieler geworden, der ich heute bin."

Die Autobiografie ist nicht nur für Fans des Rafael Nadal und des Tennissports an sich lesenswert, sondern auch für alle, die sich mit Themen wie Disziplin, Motivation, Erfolg und Leistung generell beschäftigen. Immer wieder lässt der Weltstar nämlich durchblicken, wie sehr sein Erfolg nicht nur das Ergebnis eines großen Talents ist, sondern vor allem von viel Durchhaltevermögen, Siegeswillen und mentalen Fähigkeiten rührt. Und dies sind alles Eigenschaften, die jeder Mensch trainieren und steigern kann. Auf diesem Sektor ist "Rafa" ein absolutes Vorbild: Die Art und Weise, wie er sich in schon verloren geglaubte Spiele zurückkämpft und schier unmögliche Bälle doch noch übers Netz bringen kann, sucht ihresgleichen: "Was nun Champions von Beinahe-Champions unterscheidet, ist die mentale Stärke. Sofort schiebt man seinen Fehler beiseite und sorgt für einen klaren Kopf. Man lässt nicht zu, dass man darüber großartig nachdenkt, sondern bezieht Kraft aus dem ersten erzielten Punkt, baut darauf auf und denkt nur an das, was als Nächstes kommt", so Nadal. Und weiter: "Mehr als die meisten anderen Sportarten ist Tennis Kopfsache."

Deutlich wird auch die große Rolle der Familie als zusammenhaltendes Element für den Star. Oft wird er bei seinen Turnieren begleitet von seinen Verwandten, während des Wimbledon-Turniers wohnen die Nadals gar zusammen in einem großen Haus, wo sie gemeinsam kochen und die Zeit verbringen. Sein Physiotherapeut Maymo erklärt: "Man kann die Bedeutung der Familie für sein Leben gar nicht genug betonen."

Denjenigen, die mehr daran interessiert sind, etwas über Einstellung und Erfolgsfaktoren eines Weltstars des Sports an sich zu erfahren, ohne eine große Passion fürs Tennis im Speziellen zu hegen, mögen einige Absätze etwas langatmig aufstoßen: Die mitunter sehr detaillierten Beschreibungen von einzelnen Spielszenen aus wichtigen Spielen von "Rafa" - etwa des Wimbledon-Finales 2008 - mögen den Einen stören, den Anderen erfreuen. Was bleibt, ist in jedem Fall ein sehr offenes und persönliches Buch eines der größten Tennisspieler seiner Zeit, der Einblicke in Privatleben wie auch Trainingsmethoden und persönliche Einstellungen gibt.

(Christoph Erkens; 05/2012)


Rafael Nadal und John Carlin: "Rafa. Mein Weg an die Spitze"
(Originaltitel "Rafa - My Story")
Übersetzt von Ulrike Bischoff.
Edel:Book, 2012. 255 Seiten.
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