Heinz Keßler, Fritz Streletz: "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben"

Zeitzeugen und Dokumente geben Auskunft


Nachhilfe für Ewiggestrige

Wie nicht anders zu erwarten: Das Buch mit dem Titel "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" von Armeegeneral a. D. Heinz Keßler und Generaloberst a. D. Fritz Streletz wirbelt gehörig Staub auf. Zerrt es doch ans Licht, was allzu gerne totgeschwiegen wird: Die Schuld des Westens am Kalten Krieg, der ein heißer zu damaliger Zeit zu werden drohte. Und nach der sogenannten Wende fürchten die Kapitaloberen und ihre Marionetten in der Politik nichts so sehr wie ein Dacapo einer echten Alternative zum jetzigen Herrschaftssystem. Das sind sie - die echten Ewiggestrigen, die von einer dringend notwendigen Veränderung des Gesellschaftssystems nicht nur nichts halten, sondern jede Idee zum Besseren für das Wohl der Menschheit mit Füßen treten und jede Idee dahin im Keim ersticken wollen.

Das ist in der krisengeschüttelten Gegenwart nicht verwunderlich, ruft doch selbst so ein gestandener Mann wie der Franzose Stéphane Hessel dazu auf, sich gegen das weltweit agierende Finanzkapital zu erheben, sich zu empören. Ist es doch eine Frage des Überlebens geworden, den nationalen und internationalen Profitjägern, Verdummern, Lügnern, Geschichtsfälschern mit knallharten Tatsachen ins Handwerk zu pfuschen. Deshalb auch dieser Stich ins Wespennest: Die beiden NVA-Militärs schreiben Klartext. Faktenreicher geht es wirklich nicht; endlich ist es da, das sehr gründlich recherchierte, für die Geschichte so wichtige Buch.

Wie viele Andere hatte auch der Rezensent die Freude, es anlässlich der ersten Mitgliederversammlung des Traditionsverbandes der NVA e.V. nicht nur schlechthin zu kaufen, sondern es von den Autoren signieren zu lassen: Die 220 Seiten hat der Rezensent in nur wenigen Stunden regelrecht "verschlungen". Natürlich liest man Bekanntes, Ablauf und Gründe für den Bau der "Mauer". Richtig interessant und bisher weitgehend unbekannt sind die in die Tiefe gehenden Passagen, die - weiter ausholend - die Fakten im Zusammenhang betrachten, so zum Beispiel, als bereits im Frühjahr 1945 in der Schweiz mit der Geheimoperation "Sunrise" der eigentliche Anstoß für den Kalten Krieg gegeben wurde. Ganz zu schweigen vom Verlauf der internen und offenen Kriegsvorbereitungen nach 1945 gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder. Der Rezensent erspart es sich an dieser Stelle, die zahlreichen und unwiderlegbaren Details der Kausalkette des knallharten Kampfes gegen den Osten anzuführen. Nicht unerwähnt soll sein: Auch dadurch wird der "Nur-Rührseligkeits-Welle" mit Tränen der Opfer die Einseitigkeit genommen. Die Reduzierung großer politischer Zusammenhänge auf das Detail, auf pars pro toto, wie es im Stilistischen heißt - das ist Methode! (Geht es den Hassern des Fortschritts etwa um die Menschen, um deren Schicksale? Sie werden nur benutzt, denn da spielen ganz andere Dinge eine Rolle, und die Heuchelei feiert ihre Triumphe!)

Es ist nicht nur unverschämt und zeugt von einer nicht gewollten Wahrheitsfindung, wenn die jetzigen Machthaber samt ihrer Medien zum Beispiel vom Verhöhnen der "Opfer" des Mauerbaus faseln. (Jedes Opfer ist immer eines zu viel, aber ohne zusammenhängendes Denken und Analysieren gelangt man nicht zur Wahrheit.) Vergessen sind also die insgesamt etwa 80 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs? Und die 17 Millionen des Ersten Weltkriegs? Und wenn man die 70 Millionen Opfer dazurechnet, die es bei einer bewaffneten Auseinandersetzung allein in den USA gegeben hätte? (Siehe im Klappentext Kennedys Aussage!) Der Rezensent wagt gar nicht, die tödliche Leere und Stille im europäischen Raum nach einem großen Knall zu beziffern! Und wer verhöhnt vor allem diese Opfer? Nicht diejenigen, die den Kriegen und deren kapitalherrschaftlichen Ursachen endgültig den Garaus machen wollten, sondern jene, die um die Ursachen von weltweiten Konflikten große Bogen machen und alle Schuld auf "Terroristen", auf "Linksradikale", auf jene lenken wollen, die nicht müde werden - dankenswerterweise - der Welt eine andere, friedvollere Perspektive zu geben. Nicht, weil sie es möchten, sondern weil es längst nach zwölf Uhr ist, den Ewiggestrigen mit Worten und Argumenten, mit Demonstrationen und mit der gesamten breiten Palette der Kunst und Kultur in den Arm zu fallen. Dafür stand auch die DDR ein. Dafür und darum stand die "Mauer", von der Kennedy einst sagte, sie sei nicht schön, aber tausendmal besser als Krieg. Möge die neuerliche Mauer zwischen Ost und West, zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich, zwischen etwas Unbedarftem und Sehendem Stück für Stück durchlöchert werden - so wie das die hochbetagten und verdienstvollen beiden NVA-Generäle ihr Leben lang und mit diesem wunderbaren Buch getan haben. Wer heutige gesellschaftliche Widersprüche missachtet, sie nicht sehen will, macht sich wieder einmal mitschuldig - wie 1933 und danach ...

Deshalb die nachdrückliche Nachhilfe für Ewiggestrige!

(Harry Popow; 07/2012)


Heinz Keßler, Fritz Streletz: "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben.
Zeitzeugen und Dokumente geben Auskunft"

edition ost, 2011. 220 Seiten.
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Heinz Keßler, Jahrgang 1920, trat 1941 als Wehrmachtsoldat zur Roten Armee über. 1961 war er Chef der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung und Stellvertretender Verteidigungsminister.
Fritz Streletz, geboren 1926, war von 1945 bis 1948 als Unteroffizier in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. 1961 beendete er sein Studium an der Generalstabsakademie der UdSSR.

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