Jörg Lahme: "William Drennan und der Kampf um die irische Unabhängigkeit"

Eine politische Biografie


To make all Irishmen - citizens; all citizens - Irishmen

William Drennan war ein irischer Arzt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Schon als Student im schottischen Edinburgh liebte er die politischen und philosophischen Diskurse, weil er sich dabei in kunstvollen dialektischen Gedankenfiguren aus dem unermesslichen Themengebiet der Philosophie mit anderen Kombattanten messen konnte. Diese intellektuellen Raufereien fanden in der "Speculative Society" statt, einem der damals durchaus üblichen universitären Debattierklubs. Solchermaßen dialektisch und auch politisch geschärft, rieb er sich bereits kurze Zeit nach seiner Rückkehr an der politischen Realität Nordirlands, einer Gesellschaft von Besatzern und Besetzten, von Privilegierten und Nicht-Privilegierten. Er wendete die erprobten Maßstäbe und Methoden der "Speculative Society" auf den politischen Alltag an und entwickelte sich zu einem wirkungsvollen Pamphletisten. Doch im Licht der politischen Wirklichkeit Nordirlands wurden die einstigen dialektischen Sparringskämpfe zu einem lebensgefährlichen Akt, der von Seiten der Exekutive als Agitation und Unruhestiftung angesehen wurde.

Trotz einer Fülle an neuerer Literatur zu den United Irishmen, so der Autor, wurde William Drennan "von der Forschung kaum beachtet", war ihm vereinzelt sogar historische Bedeutung abgesprochen worden. Jörg Lahme entdeckte bei intensiven Quellenstudien zahlreiche neue Belege für das Leben und Wirken Drennans und publiziert diese hier erstmalig. Es handelt sich bei dem vorliegenden Werk ausdrücklich um eine politische Biografie mit dem Fokus auf der Zeit zwischen 1778 und 1800, "die nicht den Anspruch erhebt, dem Menschen William Drennan in all seinen Facetten gerecht zu werden". Diese Einschränkung dürfte für die meisten Leser keine Einschränkung darstellen.

Wenn in deutschsprachigen Medien vom Konfliktherd Nordirland die Rede ist, wird dieser meist auf das Begriffspaar Katholiken und Protestanten reduziert. Das ruft bei denen Widerspruch hervor, die die Religion als Akzidenz betrachten und die Unterwerfung Nordirlands durch die Engländer hingegen als substanziell ansehen. Der Anglikanismus war und ist sicherlich ein identitätsstiftendes Attribut englischen Selbstverständnisses, zumal die Feinde Englands meist dem katholischen Lager entsprangen. Einem Eroberten jedoch kann man sicherlich kaum vorwerfen, erobert worden zu sein, aber katholisch zu sein war aus englischer Sicht spätestens seit Heinrich VIII. ein hinreichendes Kriterium für eine unterstellte Feindseligkeit. Doch damit ist die Feindseligkeit keineswegs mit Notwendigkeit konfessionell begründet, könnte man meinen. Der Autor zieht dennoch die religiöse Unterscheidung vor, "da die konfessionellen Auseinandersetzungen eines der wichtigsten Problemfelder dieser Ausarbeitung sind".

Das scheint insofern schlüssig zu sein, als da neben den irischen Katholiken und englischen Anglikanern noch eine dritte Kraft ins Spiel kommt: die schottisch-stämmigen Presbyterianer, die von den Engländern in Irland angesiedelt wurden. Diese Presbyterianer lehnten jede Priesterhierarchie strikt ab und waren somit im Prinzip gegen jegliche katholisch-papistische Verbrüderung gefeit, zumindest in der englischen Einschätzung. Doch in der Praxis lehnten sie - wenn man schon die religiöse Dimension betont - auch die anglikanische Kirchenhierarchie ab, übertrugen die Ablehnung einer Priesterkaste auch auf die politische Ebene und stellten sich zunehmend gegen die britischen Besatzer. Hinzu kamen in Form der Amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und der Französischen Revolution zwei publizistisch gut vorbereitete Ereignisse hinzu, die die Alte und Neue Welt in Aufruhr brachten.

Vor diesem historischen Tableau spielte sich eine Entwicklung ab, die mit etwas mehr Glück vielleicht zur irischen Unabhängigkeit geführt hätte, denn die Engländer sahen sich plötzlich einer teils vereint auftretenden Gruppe von Presbyterianern und Katholiken ausgesetzt. Doch die Friktionen dieser Koalition waren am Ende doch zu groß, und die irischen Absetzbewegungen fielen in sich zusammen, wenngleich nicht ganz, denn die Rebellion, wie sie durch die IRA manifestiert wurde, kann auf die United Irishmen, wie die Bewegung im späten 18. Jahrhundert hieß, zurückgeführt werden.

Diese wenigen Zeilen deuten an, dass es sich um eine ungemein spannende Epoche handeln muss, die trotz der geografischen Randlage Irlands doch den historischen Kern wichtiger europäischer und nordamerikanischer Prozesse betraf, denn die Kernforderungen der United Irishmen lauteten "Einheit der Nation", "Freiheit und Gleichheit" und eine "Parlamentarische Reform".

Die Zeit der Gründung der Society of United Irishmen ist ein Lehrstück der europäischen Aufklärung, der politischen und auch religiösen. Mit etwas mehr gutem Willen wäre der gewaltfreie Übergang zur ersten europäischen Republik geglückt. Nicht auszudenken, wie viel Elend sich dieses Irland hätte ersparen können.

Die Einschätzung des Autors hinsichtlich des überwiegend religiösen Charakters des (Nord-)Irlandkonflikts konnte den Rezensenten nicht vollends überzeugen, doch beinhaltete das Buch reichlich Stoff zu Nachdenken, der sicherlich auch in den Nachrichtenkonsum hinsichtlich Irlands einfließen wird. Die Spezialisten zur irischen und englischen Geschichte werden einiges an neuen Einsichten zu William Drennan gewinnen können, und die interessierten Laien lernen einen überaus spannenden Nebenprozess der europäischen Aufklärung kennen, bei dem der Hauptdarsteller am Ende vielleicht sogar in den Hintergrund treten darf.

Man muss William Drennan eigentlich nicht kennen. Doch die Vorgänge, als eine derer treibenden Kräfte er als begnadeter Pamphletist gelten muss, sollten ihren Platz im Bewusstsein politisch und historisch Interessierter haben: Ja, das Buch sollte man als Geschichtsinteressierter durchaus gelesen haben, denn es kreuzen sich in den letzten Dekaden des 18. Jahrhunderts in Irland zwei Entwicklungen, die heute zumindest in ihren Nachwirkungen noch präsent sind: Die Französische Revolution und der (Nord-)Irlandkonflikt, wobei beide Themen eng mit William Drennan verwoben sind. Die Französische Revolution prägte das Europa des 19. Jahrhunderts noch lange und tief, und sei es nur als ein die konservativen Kräfte mobilisierendes Menetekel, ohne das Bismarck vermutlich ein unbedeutender ostelbischer Juncker geblieben wäre.

Man darf gespannt sein, was sich dieser begabte Historiker Jörg Lahme noch an Themen vornehmen wird. Spannende historische Stoffe bieten sich ihm auf den Britischen Inseln zuhauf. Vielleicht kann er sich beim nächsten Mal zu einem Personenregister durchringen und auch der inzwischen selbst historischen deutschen Rechtschreibreform etwas abgewinnen - vielleicht ist sie ihm im fernen Irland auch einfach nur entgangen ...

(Klaus Prinz; 10/2012)


Jörg Lahme: "William Drennan und der Kampf um die irische Unabhängigkeit.
Eine politische Biografie"

Wallstein Verlag, 2012. 448 Seiten.
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Jörg Lahme, geboren 1976, studierte Deutsch und Geschichte in Kiel, forschte in den Archiven von Belfast und Dublin und lebt heute in Göttingen.

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