Hubert Mania: "Kettenreaktion"

Die Geschichte der Atombombe


Als der experimentierfreudige Berliner Apotheker Martin Heinrich Klaproth 1789 aus der erzgebirgischen Pechblende Uran isoliert und so zum Entdecker dieses Elements wird, ahnt niemand das zerstörerische Potenzial dieses Metalls. Es wird über hundert Jahre dauern, bis Wilhelm Conrad Röntgen eine neuartige, rätselhafte Strahlung beobachtet; eine Entdeckung, die den Anfang vom Ende der klassischen Physik bedeutet.

In seinem Buch "Kettenreaktion" erzählt Hubert Mania, mit Klaproths Experimenten beginnend, die Geschichte der Atombombe nach: Wie Wissenschaftler auf das Phänomen der Radioaktivität stießen und in der Folge nacheinander die Bestandteile des Atoms entdeckt wurden, wie etliche Forscher zunächst irrtümlich annahmen, aus Uran entstünden schwerere Elemente, die Transurane, und wie Otto Hahn und Lise Meitner 1938 zusammen mit Fritz Straßmann und Otto Frisch schließlich herausfanden, dass das Uranatom in zwei kleinere Atome zerfällt.

Ein beträchtlicher Teil des Buchs befasst sich mit dem Wettlauf um die Atombombe: Deutsche Forscher und ihre Kollegen in den Vereinigten Staaten von Amerika, viele von ihnen dorthin vor dem Nationalsozialismus geflohen, gingen jeweils davon aus, dass der Gegner eine solche Waffe entwickeln und einsetzen würde. Berühmt wurde der von Einstein unterzeichnete Brief an den us-amerikanischen Präsidenten, in dem er davor warnte, dass Deutschland bald eine Waffe neuen Typs besitzen könne.

Hubert Mania geht detailliert auf das Manhattan-Projekt ein, auf die Arbeit in Los Alamos, die ersten Tests und schließlich die erste versuchsweise Zündung einer "richtigen" Atombombe, des "Fat Man". Hier endet das Buch.

Die gewählte Zeitspanne von Klaproths Entdeckung bis zur erfolgreichen Probezündung in Los Alamos ist gut gewählt - dass der eigentliche Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki gar nicht mehr geschildert wird, wirkt dramaturgisch perfekt.

Tatsächlich erinnert das Buch durchaus etwas an Theater oder Kino. Hubert Mania hat als Tempus das Präsens erwählt und baut Spannungsbögen geschickt auf, sodass der Leser gefesselt wird und das Buch nicht gern vor Erreichen des Endes zur Seite legt. Unter Anderem wechselt Mania im Kapitel vom Wettlauf um die Atombombe häufig zwischen den einzelnen Schauplätzen hin und her und unterstreicht so die dramatische Entwicklung.

Um oberflächliche Unterhaltung handelt es sich jedoch in keiner Weise. Der Autor hat sorgfältig recherchiert, arbeitet mit seriösen Quellen und vermittelt eine Fülle an interessanten und anspruchsvollen Informationen, die so aufbereitet sind, dass der Leser sie auch ohne Vorkenntnisse nachvollziehen kann. Der menschliche Faktor, die Persönlichkeiten der beteiligten Wissenschaftler und anderen Entscheidungsträger, spielt in diesem Buch eine nicht unerhebliche Rolle: Der Leser lernt die Akteure sowohl aus fachlicher Sicht als auch als Individuen mit ausgeprägten Stärken und Schwächen kennen, die Allianzen und Feindschaften, die Beweggründe, die meist ambivalente Haltung zur Bombe.

Nicht umsonst bildet den Abschluss des Buchs der Ausspruch des Physikers Kenneth Bainbridge gegenüber Robert Oppenheimer: "Nun sind wir alle Hurensöhne."

Ein ausgezeichnetes Stück Lektüre, das einen weiten Leserkreis erreichen kann.

(Regina Károlyi; 03/2011)


Hubert Mania: "Kettenreaktion. Die Geschichte der Atombombe"
Rowohlt, 2010. 351 Seiten.
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