Norbert Schläbitz: "Georg Büchner: Woyzeck"

Drama - Gymnasiale Oberstufe


Georg Büchner hat nicht übertrieben viele Dramen verfasst, aber diejenigen, die er geschrieben hat, gelten allgemein als sehr einflussreich. Beim "Woyzeck" handelt es sich tatsächlich nur um ein Dramenfragment, d.h. einige handschriftlich skizzierte Szenen eines unvollendeten Dramas, das trotzdem seit einiger Zeit immer wieder zur Aufführung kommt und wozu Alban Berg sogar eine Oper geschrieben hat.

Ausgehend von einigen Fällen anscheinend soziopathisch geneigter Mörder, von denen Woyzeck einer war, mit deren Fällen er aufgrund der psychiatrischen Praxis seines Vaters und durch seine eigenen medizinischen Studien in Berührung gekommen war, hatte Büchner ein Drama speziell zu diesen Fällen zu schreiben begonnen, in dem er auch verschiedene autobiografische Aspekte verarbeitete. Er stellt dabei Woyzeck in erster Linie als Opfer seiner Umstände vor und versucht aufzuzeigen, wie weit sich die Menschen in der modernen Gesellschaft von ihrem Naturzustand entfernt und entfremdet haben. Dabei erscheinen viele andere Figuren in ihrem Auftreten noch verrückter und gefährlicher als Woyzeck selbst.

Ein unfertiges Werk zu beurteilen ist immer ein wenig schwierig, aber die inneren und äußeren Widersprüche der vorliegenden Szenenfragmente empfand der Rezensent als eher irritierend. Es mag zu Büchners Zeiten eine originelle und neue Auslegung des Gedankens der induzierten Geisteskrankheit gewesen sein, aber bei neueren Betrachtungen von psychopathologischen Erscheinungen ist dieses Stück doch sehr typisierend und lässt irgendwie eine Folie für eine wie auch immer geartete "Normalität" vermissen. So bleibt das Stück, zumindest beim Lesen, nur sehr schwer erträglich: Es fehlen die Hoffnungsschimmer. Dabei deuten die Fragmente in ihrem Zusammenhang und in ihrer möglichen Aussageabsicht aber auf eine sehr durchdachte und tiefgreifende Konzeption hin, die für die Entstehungszeit sicherlich revolutionär ist, auch wenn Büchner reformistisches revolutionärem Denken vorgezogen hat.

Die vorliegende Ausgabe lässt dem einunddreißigseitigen Fragment 89 Seiten Anhang folgen, in dem Produktions- und Rezeptionsgeschichte, biografische, allgemein historische und geistesgeschichtliche Hintergründe beleuchtet werden. Dies macht einige Aspekte des Fragments erheblich zugänglicher. Daneben gibt es auch noch ein paar Hinweise zur Dramentheorie, die für die Betrachtung und Würdigung des Fragments sicherlich hilfreich sind.
Das vorliegende Buch ist insgesamt also wieder eine sehr lohnende Textausgabe, nicht nur für Schüler.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2010)


Norbert Schläbitz: "Georg Büchner: Woyzeck.
Drama - Gymnasiale Oberstufe"

Schöningh. 124 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Kerstin Decker: "Georg Büchner. Der melancholische Rebell"

Als er mit nur 23 Jahren starb, hinterließ er ein Werk, das längst zu den Klassikern der deutschen Literatur zählt. Seine Dramen werden weltweit aufgeführt. Mit seiner Flugschrift "Der Hessische Landbote" hat er das "Empört Euch!" des 19. Jahrhunderts verfasst.
Georg Büchner, Dramatiker, Naturwissenschaftler, Doktor der Philosophie und steckbrieflich gesuchter Revolutionär, war in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung der deutschen Kulturgeschichte. Anlässlich seines 200. Geburtstags beleuchtet die erfolgreiche Biografin Kerstin Decker in ihrem klugen Porträt vor allem die Modernität und Aktualität Büchners. Büchners Leben gleicht einem Meteor am Firmament - kaum erstrahlt, schon verglüht. Mit der Intensität und Freiheit seiner Sprache war er seiner Zeit um hundert Jahre voraus. Aber auch mit seinem fatalistischen Menschenbild, seinem ungestümen Wesen und seinem Leiden an den sozialen und politischen Missständen schien er aus der Zeit gefallen. Sein vielfach verfilmter "Woyzeck" könnte heute geschrieben sein, die Weltweisheit von "Dantons Tod" ist aktueller denn je. Bravourös gelingt es Decker, Büchner dorthin zu holen, wo er hingehört: in die Mitte unserer Zeit. (Propyläen)
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