Christine Paxmann & Johannes Thiele: "Wie man Kinder zum Lesen bringt"


Wer kennt sie nicht, die endlosen Diskussionen unter Eltern, Lehrern und Anderen, die sich in Zeiten von "PISA"-Tests, Bildungsstandards, Lesereihenuntersuchungen und Gesamtschuldebatte mit der Bildung des Nachwuchses theoretisch oder praktisch beschäftigen? Für viele ist das Lesen die Schlüsselqualifikation, ohne die weder die Zukunft einzelner Kinder noch die der kultivierten Menschheit vorstellbar ist. Doch wie ist dies Heranwachsenden zu vermitteln, die ihre Augen lieber auf Fernseher, Computer und andere elektronische Medien richten.

Das Autorenduo, die Autorin und Illustratorin Christine Paxmann und der Verleger Johannes Thiele, hält sich nicht lange auf mit Abwägungen der sinnlichen Erfahrungen in gedruckten Medien gegenüber allem, was auf Bildschirmen flimmert. Für sie gibt es aus Prinzip und Erfahrung keine gelungene Erziehung ohne Bücher, ist eine glückliche Kindheit selbstverständlich eine, in der vorgelesen und selbst gelesen wird. Aus dieser klaren und durch nichts zu erschütternden Position richten sie sich mit ihrem Buch an alle, die sich ihren Zielen anschließen wollen, aber über das Wie der Erziehung zum Lesen noch unklar sind.

Und doch verfallen sie nicht in eine Auflistung von pädagogisch mehr oder weniger wertvollen Tipps und Argumenten. Sie wollen aus dem überreichen Fass der Begeisterungsfähigkeit schöpfen und stellen sich selbst an die Spitze der Vorbildwirkung. Nicht eine Schlüsselqualifikation ist das Lesen, sondern der Schlüssel zur Fantasie, eine Pforte zu verborgenen Schätzen, die jedem Mädchen und jedem Knaben Wertvolles bieten.

Das schön gestaltete und prägnant geschriebene Bändchen gefällt durch kurze Texte, die Lesern knapp und gut formulierte Einblicke in die Möglichkeiten der Leseerziehung geben, um dann, nach einigen faszinierenden Sichtweisen, Fakten oder Überlegungen in einer überraschenden, meist auch humorvollen Pointe das Weiterdenken an die Leser zurückzudelegieren. Kapitel-Überschriften wie "Bilder lesen lernen", "Weniger ist mehr" oder "Illustrationen als Schlüssel zum Hirn" geben die Zielrichtung der Gedanken vor.

Wo das überreiche Angebot und die Annehmlichkeit des WWW das Lesen bedrohen, führen Paxmann und Thiele das Tiefengefühl an. Dem kurzzeitigen Prestige von modischen Accessoires wird die stete Liebe zum Wort und der Liebesbeweis der beim Vorlesen oder im Gespräch über gemeinsam Gelesenes verbrachten Zeit gegenüber gestellt.

Lesen ist auch zeitlos, nicht oder kaum technischen Neuerungen mit allen Kompatibilitätsproblemen unterworfen wie die elektronische Mediennutzung. Dem Argument, man könnte die etwa 4000 Bücher eines rund 30000 Tage dauernden erfüllten Leselebens leicht auf einem USB-Stab oder einer DVD speichern und so fixieren, begegnen die Autoren mit Überlegungen zur Veränderung in der Kinderliteratur seit den 1970er-Jahren, als Nöstlinger & Co. mit kurzweilig frechen Geschichten ablösten, was wie Tom Sawyer, Lederstrumpf, Karl May und Else Urys Nesthäkchen heutigen Kindern sprachlich oft nicht mehr zugänglich war. Und doch bedient sich eine Klassikerin der Gegenwart, Joanne K. Rowling, ungeniert der klassischen Werteskala viktorianischer Erziehungsanstalten und der Prototypen der antiken Sagenwelt.

Dieses Nachdenken über Bücher und der Austausch über ihre Inhalte, diese Krönung der Leseerziehung, münden auf den letzten Seiten des Buches in einige nach dem Kinderalter gestaffelte, kurze Leselisten. Auch Harry Potter, Eragon und die "Bis(s)"-Tetralogie von Stephenie Meyer finden sich neben dem Räuber Hotzenplotz, Pippi Langstrumpf und dem kleinen Ich bin ich - wieder eine Einladung zum Widerspruch, zum Selberlesen und zur Ergänzung.

Christine Paxmann und Johannes Thiele verstehen es gekonnt, mit wenigen Worten zum Denken und Tun anzuregen. Ich hoffe mit ihnen, dass sie damit noch viele Kinder zum Lesen bringen.

(Wolfgang Moser; 06/2010)


Christine Paxmann & Johannes Thiele: "Wie man Kinder zum Lesen bringt"
Thiele Verlag, 2010. 142 Seiten.
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