JO Kyung Ran: "Feine Kost"


Ein teuflisches Rezept

Der Roman "Feine Kost" der 1969 in Seoul geborenen und in ihrer Heimat sehr bekannten Autorin Jo Kyung Ran ist erfrischend unterhaltende und informative Lektüre.

Als die Köchin und Kochschulenbesitzerin Ji-Won ihren Freund, den Architekten Sok-ju, beim Sex mit ihrer Schülerin Sae-jon erwischt und von ihm verlassen wird, stürzt sie in eine tiefe Sinnkrise. Sie schließt ihr Kochstudio und bewirbt sich wieder im Restaurant "Nove", in dem ihre Karriere begonnen und sie ihren mittlerweile Exfreund kennengelernt hatte.
Da Sae-jon ein Problem mit Hunden hat, lässt Sok-ju seine Hündin Polly, quasi wie eine tägliche Erinnerung an sich, bei Ji-Won zurück.
Ji-won steigert sich zunehmend in eine eifersüchtige, obsessive Rage hinein und versucht, Sok-ju mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zurückzuholen.   

Immer wieder schweift Jo Kyung Ran in das kulinarische Reich ab, stellt Querverbindungen zum Leben oder zur Liebe her. Man spürt, wie genau sich die Autorin auf diesem Gebiet auskennt, wie genau hier recherchiert wurde.

"Heutzutage ist Moschus sehr verbreitet, der auf die Menschen eine aphrodisierende Wirkung.  Im Zeitalter von Königin Elisabeth I. legten sich die Frauen geschälte Äpfel unter die Achseln. Waren sie mit Schweiß befeuchtet, gaben sie sie ihren Geliebten, damit diese daran riechen konnten. Duft ist die Erinnerung, die am längsten bleibt. Menschen bleiben nur für kurze Zeit, aber der Duft setzt sich über die Zeit hinweg ..."

Das ist auch eine der wenigen Schwächen des Romans, der die großteils recht vergnüglichen und immer bösartiger werdenden Gedankenstränge der Protagonistin überzeugend vermittelt.

"Je dunkler, desto besser. Das gilt nicht nur für Kaviar und Oliven, sondern auch für Sojasoße. Sie muss würzig sein, dunkel wie Karamell und nicht zu dickflüssig. Und wie bei Salz ist es wichtig, dass man immer die richtige Menge verwendet. In einer Edelstahlschüssel bewegen sich die aufeinandergestapelten Krebse. Einer krabbelt mit Hilfe seiner Scheren bis zum Rand der Schüssel hoch. Wäre er ein Hummer, hätte ich sofort die Sehnen an den Scheren durchtrennt, denn Hummer sind unter den Schalentieren die kampffreudigsten. Lässt man mehrere Hummer in einem Gefäß, fressen sie sich gegenseitig auf ..."

Effektvoll verbindet Jo Kyung Ran die Sinnlichkeit dieser verschiedenen Ebenen: Essen wird erotisch, und die Erotik streift ins Kulinarische ab, mit Verlauf des Romans verschmelzen die Sinne und überschlagen sich in den letzten Kapiteln, die fast logischerweise ins Makabre abschweifen. Immer häufiger treten die dunklen Seiten der Protagonistin zutage, die nur mehr ihren Plan im Sinn hat, nämlich Sok-ju durch das ultimative Rezept in einem letzten Abendessen zurückzuerobern.
Sie schmiedet einen teuflischen Plan, der auf ein ganz besonderes Gericht, nämlich "(frische) Zunge mit Trüffelsoße" hinzielt.

Am Ende ist man ob der Entwicklung schockiert und wundert sich trotzdem nicht, da man es ja quasi kommen hat sehen, freut sich aber, dass die Autorin diese makabren Schlussszenen geradlinig durchgezogen hat.
"Feine Kost" ist spannend und unterhaltend, überzeugt aber doch nicht auf der ganzen Länge, weil die Handlung mitunter ein wenig vorhersehbar ist, manche Vergleiche etwas bemüht sind, hie und da zu viel Recherchiertes wiedergegeben wird, verschiedene Geschehnisse dann doch ein wenig zu beliebig wirken und den Figuren teilweise eine Art Tiefenprofil fehlt.

Nichtsdestotrotz: Gute, böse, makabre und obsessive Unterhaltung ist garantiert.

(Roland Freisitzer; 11/2010)


JO Kyung Ran: "Feine Kost"
(Originaltitel "Tongue")
Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel und Angelika Winkler.
Sammlung Luchterhand, 2010. 287 Seiten.
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