Peter Pannke: "Indien hören"
(Hörbuchrezension)
Licht
und Schatten oder der
verwandelte Elefant
"Die Welt, in der wir leben, ist nicht die erste, und sie wird
auch
nicht die letzte sein. Immer wenn eine Welt zugrunde geht, zieht sich
Vishnu,
der Erhalter der Schöpfung, auf den Grund des kosmischen
Ozeans zuruück.
Gebettet auf der Weltenschlange Ananta, die 'Endlose',
erträumt sich Vishnu
dann eine neue Welt. Wenn aus seinem Bauchnabel eine Lotosknospe
hervortritt,
auf der der Schöpfergott Brahma Platz nimmt, kann das Leben
aufs Neue seinen
Lauf nehmen.
Auch zu Beginn des jetzigen Weltzeitalters war das so. Doch
plötzlich erhob
sich vom Grund des Urozeans eine zweite Schlange, die dort geschlummert
hatte,
und riss die Schöpfung, die dem Nabel des Gottes entsprungen
war, zuruück in
die Fluten. In der Gestalt eines Ebers zwang Vishnu die Schlange
nieder, bis sie
ihn um Gnade anflehte. In seiner Tiergestalt umschlang Vishnu den
lieblichen
Leib der jungen Mutter Erde und trug sie zur Oberfläche des
Meeres empor, während
sie sich an seinen Hauern fest klammerte. Land kam in Sicht, auf dem
sich die
neue Schöpfung entfalten konnte."
So beginnt das Hörbuch "Indien hören" aus der
bekannten Länderreihe
des Silberfuchs-Verlages. Das Bild der Schlange ist Bestandteil der
gesamten
indischen Geschichte, und man begegnet dieser alten Indus-Kultur, die
mit etwa
5000 Jahren zu einer der ältesten Hochkulturen der Menschheit
gehört, noch
heute allerorts.
Über eine Milliarde Menschen - Tendenz steigend - wohnen
derzeit in diesem
Vielvölkerstaat, in dem neben Hindi und Englisch noch 21
weitere offizielle
Sprachen und Tausende Dialekte gesprochen werden. Ein Land der
Superlative. Flächenmäßig
neunmal so groß wie Deutschland, offenbart es neben seiner
mannigfaltigen
Historie auch ein breites klimatisches und kulturelles Spektrum. Durch
dieses führt
die rund achtzigminütige Reise.
Der Hörer erhält Informationen über das
Kastensystem, das auch heute noch
Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der Menschen hat und deren Berufs-
und
Partnerwahl bestimmt sowie über die vedische Kultur, auf die
die Ursprünge des
Hinduismus zurückgehen, dem heute 80 Prozent der indischen
Bevölkerung angehört.
Überdies hat noch eine andere Glaubensrichtung in Indien ihren
Ursprung, die für
ganz Asien von nachhaltiger Bedeutung wurde und die sich in Europa
einer immer
größeren Beliebtheit erfreut: der Buddhismus. Trotz
seiner legendären Verklärung
gilt Siddhartha Gautama - genannt Buddha, der Erwachte - im Buddhismus
nicht als
Gott, sondern als Lehrer, der den Menschen den Weg zur vollkommenen
Erkenntnis
weist.
Um 320 n. Chr. blühte Indien nach Jahren der Kleinstaaterei
unter der
beginnenden Gupta-Dynastie auf. Zu dieser Zeit entstand auch das
bekannte
Kamasutra, das außerhalb Indiens zu Unrecht auf ein Lehrbuch
der Liebeskunst
reduziert wurde, "denn es beschreibt auch den Alltag am Hof,
Dichtkunst,
Musik, Malerei und die Utensilien des luxuriösen Lebens: bunte
Blumen,
aromatische Parfums, wohlschmeckende Gerichte. Der Verfasser des
Kamasutras -
Mallanâga Vatsyayana - erklärt darin die Liebe zu
einem von drei grundlegenden
Lebenszielen: 'Wer Tugend, Wohlstand und körperliche Liebe in
dieser Welt und
der nächsten zu erlangen sucht, muss dieses Werk
sorgfältig studieren und
gleichzeitig lernen alle seine Sinne zu beherrschen.'"
Doch der Frieden hielt nicht lange. Eine wechselvolle Geschichte setzt
ein, die
1947 ihren unrühmlichen Höhepunkt in der Teilung des
Landes und dem immer noch
schwelenden Unruheherd in der Kaschmirregion hat. Doch auf "fast
magische Weise vermag es Indien, sich immer wieder neu zu erfinden und
wie Phönix
aus der Asche zu steigen", intoniert der wohltuend ruhig
vortragende
Sprecher Rufus Beck.
Erneut ist dem kleinen Verlag, der für seine hochwertigen
Hörbücher schon
einige Auszeichnungen erhielt, ein wunderbares Landesporträt
gelungen. "Indien
spricht alle Sinne an, so intensiv, dass die Konzentration auf nur
einen Sinn,
die Wahrnehmung über das Gehör, besonders reizvoll
erscheint",
schreibt Hans-Joachim Kinderlen (Botschafter a. D. und Vorsitzender der
Deutsch-Indischen Gesellschaft e. V.) in einem Grußwort, das
im Begleitheft
abgedruckt ist. Faszinierend, fesselnd, lehrreich und unterhaltsam
erschließt
Autor Peter Pannke dem Hörer durch Wort und harmonisch
unterlegte Musik aus dem
indischen Kulturraum die Geschichte und Kultur dieses
traditionsreichen, aber
auch vor sozialen Spannungen und wirtschaftlichen Problemen stehenden
Landes.
Natürlich können achtzig Minuten kein
tiefgründiges und komplexes Wissen
vermitteln, aber dieses kompakte Exposé mit schlaglichtartig
gesetzten Akzenten
in den Bereichen indische Religion, Mythen, Kunst, Literatur,
Architektur und
Film sowie seine wundervolle Verknüpfung mit zahlreichen
Klangbeispielen der
indischen Musikkultur hat Stil und Inhalt.
Fazit:
"Indien hören" reiht sich wohltuend in die Serie
anspruchsvoller,
aber immer leicht verständlicher Hörbücher
über Länder und ihre Kulturen
aus dem Hause Silberfuchs ein. Ihr Markenzeichen: fundiert
recherchierte Inhalte
in einer spannenden, lebendigen, abwechslungsreichen und
ausdrucksstarken
Aufbereitung sowie eine optisch äußerst
ansprechende, von Roswitha Rösch künstlerisch
gestaltete CD und ein vierzehnseitiges Begleitheft mit einem
zusammenfassenden
geschichtlichen Abriss und vielfältigen Abbildungen.
(Heike Geilen; 04/2010)
Peter
Pannke: "Indien hören"
Sprecher: Rufus Beck.
Silberfuchs-Verlag, 2009. 1 CD, Spieldauer ca. 80 Minuten.
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