Svami Vivekananda: "Wege des Yoga"

Reden und Schriften


Svami Vivekananda - ein fadenscheiniger "Heiliger"?

Svami Vivekananda, am 12. Januar 1863 als Narendranath Datta in Kalkutta geboren, wichtigster und einflussreichster Schüler Ramakrishnas, jedoch beinahe ebenso stark von einem mehr rational ausgerichteten westlichen Denken geprägt, war zeitlebens in einem Zwiespalt gefangen. Die Ausgeglichenheit seines großen Lehrers und Vorbildes Ramakrishna ging ihm völlig ab. Seine orthodoxe, an den Lehren Ramakrishnas orientierte Einstellung stand häufig im Widerstreit zu seinen mehr von westlichen Werten beeinflussten Anschauungen. Beides miteinander in einen harmonischen Einklang zu bringen, das blieb Vivekananda versagt. Und nicht nur in seinen Schriften, auch in seinen Aussagen und in seiner Lebensweise war Vivekananda oft widersprüchlich. Schenkt man nämlich denen Glauben, die ihn persönlich gekannt haben, und warum sollten Menschen wie beispielsweise der renommierte deutsche Indologe Paul Deussen die Unwahrheit sagen, dann war Svami Vivekananda eitel und geltungssüchtig, trank Alkohol und aß auch gern und ausgiebig Fleisch, obwohl er dies in seinen Schriften und Reden immer wieder verdammt hatte. Also doch nur ein fadenscheiniger "Heiliger", ein Scharlatan und Betrüger gar?

So weit wird man wohl nicht gehen können. Vivekananda verfügte ganz sicher über genügend Persönlichkeit und Ausstrahlung und auch über den notwendigen geistigen Hintergrund, um ihn zu einem ernst zu nehmenden religiösen Führer zu machen, und auch einem solchen darf man menschliche Schwächen zugestehen. Vivekananda war aber nicht nur spiritueller Führer und Lehrer des Yoga, er war auch philosophisch gebildet, hatte die Werke der großen abendländischen Philosophen gelesen, Jura studiert und war Mitglied in einer Freimaurer-Loge. Der französische Literatur-Nobelpreisträger Romain Rolland fand Vivekanandas Leben und Denkweise immerhin so interessant, dass er eine, auch schon früh ins Deutsche übersetzte, Biografie über diesen Mann geschrieben hat. Daneben war und ist Vivekananda aber bis heute auch noch eine Symbolfigur des aufstrebenden indischen Nationalismus. Sein Geburtstag wird in Indien als Nationalfeiertag begangen. Von vielen indischen Nationalisten als Mitbegründer eines hinduistisch geprägten Nationalismus angesehen, wird Svami Vivekananda auch bisweilen von radikalen, rechtsgerichteten Hindus für ihre politischen Ziele vereinnahmt. Gewiss war Vivekananda kein extremer Nationalist, kein Sektierer und kein Dogmatiker, er sah sich auch nicht als Messias, sondern wollte der Welt nur eine Botschaft vermitteln, die Botschaft seines verehrten Lehrers Ramakrishna. Dabei versuchte er stets, die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft in Einklang zu bringen mit der alten indischen Religionsphilosophie.

Worum geht es nun in den Texten dieses Bandes? Die vorliegende Textsammlung beginnt mit dem Abdruck von Vivekanandas vielbeachteten Vorträgen auf einem Kongress verschiedener Religionen 1893 in Chicago. Er referierte dort über den Hinduismus, den Buddhismus sowie über das Wesen der Religion im Allgemeinen. Vivekananda muss dort wohl einen großen und nachhaltigen Eindruck auf seine Zuhörer hinterlassen haben und legte mit seinen Reden vor diesem sogenannten "Parlament der Religionen" den Grundstein für seine spätere Popularität. Heute ranken sich viele Mythen und die Aura einer gewissen "Heiligkeit" um die Person Vivekanandas. Diesem illustren Mann und seinen Anschauungen einigermaßen gerecht zu werden, versucht diese mit großem Sachverstand kommentierte Ausgabe. Keine leichte Aufgabe, da die Vivekananda-Forschung erst in den Anfängen steckt, wie der Herausgeber Martin Kämpchen in seinem Nachwort formuliert. Vivekananda war ein Apostel des Friedens, ein Kämpfer gegen jegliche Art von Fanatismus. Und damals, 1893 in Chicago, da hörte er bereits die Glocken läuten, die das Grabesgeläut auf den Fanatismus und die Intoleranz anstimmten. Wie sehr sich Vivekananda in diesem Punkte geirrt hat, wissen wir heute nur zu gut.

Nach diesen Vorträgen vor dem "Parlament der Religionen" folgen die Texte, die sich auf die, nach der Einteilung Vivekanandas, vier verschiedenen Formen des Yoga beziehen, beginnend mit dem Karma-Yoga. Es ist der Yoga, der auf der Arbeit beruht, auf einer Tätigkeit, die Wirkung erzielt. Karma Yoga wird von Vivekananda als ein Weg definiert, der im Gegensatz zum Inana Yoga ganz der Tätigkeit gewidmet ist. "Arbeite unablässig, doch gib alle Verhaftungen an die Arbeit auf." Dies könnte man als den entscheidenden Kernsatz über den Karma Yoga werten. Der Weg des Inana Yoga ist dann Gegenstand des nächsten Kapitels. Beim Inana Yoga handelt es sich um eine Disziplin, die mehr auf Meditation, auf Philosophieren und auf Willenskraft ausgelegt ist. Die Konzentration hingegen ist das Mittel, dessen sich der Raja-Yogi vorzugsweise bedient. Raja Yoga ist nach Vivekananda die dritte Form des Yoga, die durch Konzentration zur Selbsterfahrung führen soll. Vivekananda: "Der Yogi möchte jenen Punkt erreichen, an dem die sogenannten Naturgesetze keine Macht mehr über ihn haben, von dem er über sie alle hinausgehen kann." Die Arbeit an diesem Ziel ist im Wesentlichen mentaler Art und nur wenig mit körperlichen Anstrengungen verbunden. Als vierte Art des Yoga stellt uns Svami Vivekananda den Bhakti Yoga vor, und dies ist die von ihm bevorzugte Art des Yoga. Bhakti wird von Vivekananda definiert als die Liebe, die ganz auf Gott gerichtet ist. In seinen Ausführungen über den Bhakti Yoga gibt der Svami Hinweise über die richtige Ernährung, verdammt Alkoholgenuss und den Verzehr von Fleisch und plädiert unter Anderem dafür, dass jeder, der Fleisch konsumiert, das Tier, von dem er isst, eigenhändig töten müsste. Dass er selber nicht immer gemäß seiner Regeln gelebt hat, konnten wir ja von Paul Deussen erfahren.

In einem Punkt kommen die vier Yoga-Systeme schließlich zusammen, das ist die vollkommene Einheit von Gott und dem Menschen. Eine zutiefst menschliche Religionsphilosophie spricht zu uns aus den Texten des Vivekananda, die überaus lesenswert sind, und höchstes, philosophisch ausgerichtetes Gedankengut steht bei ihm manchmal Seite an Seite mit beinahe kindlich anmutender Naivität. Und hier stoßen wir auch wieder auf den Zwiespalt, der diesen bemerkenswerten Mann kennzeichnete. Alles in allem kann dieses Buch als eine hervorragende Einführung in die Gedankenwelt Vivekanandas bewertet werden.

(Werner Fletcher; 06/2009)


Svami Vivekananda: "Wege des Yoga. Reden und Schriften"
Übersetzt und herausgegeben von Martin Kämpchen.
Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, 2009. 264 Seiten.
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Aus dem Bengalischen übersetzt und herausgegeben von Martin Kämpchen.
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