Frank Schätzing: "Limit"


Das ist ein dickes Ding. Anders lässt es sich eigentlich nicht sagen.

Dieser Roman Frank Schätzings schlägt seinen Vorgänger "Der Schwarm" um lockere 300 Seiten und ist damit in etwa so lang wie "Der Schwarm" nach Schätzings eigenen Aussagen gewesen wäre, hätte ihm sein Lektorat nicht "die Pistole auf die Brust" gesetzt. Darüber, ob das bei diesem Buch ebenfalls der Fall war, findet sich auf den 1320 Seiten nichts.

Wir schreiben das Jahr 2025, und die Welt befindet sich in einem fundamentalen Wandlungsprozess. Das Auffinden von Helium-3 auf dem Mond, die Entwicklung eines Fusionskraftwerks, das daraus sauber Energie erzeugen kann, und die Realisierung des Konzepts des Weltraumaufzugs haben Erdöl als Energieträger weitestgehend obsolet gemacht, und die Erdölkonzerne stellen sich entweder auf erneuerbare Energien um oder aber liegen in den letzten wirtschaftlichen Zügen, was für viele Millionen Menschen den Verlust der Arbeitsplätze bedeuten könnte. Aber die Umwelt scheint gerettet zu sein, und die Gründe vieler internationaler Konflikte sind einfach verschwunden.
In dieser Situation wird Gerald Palstein, seines Zeichens Vertreter eines größeren Ölkonzerns, der eher den zweiten Weg gehen wird, angeschossen und kann so an der ersten zivilen Reise auf den Mond, zu der er von Julian Orley, dem Erbauer des Weltraumaufzuges und der neuen Fusionskraftwerke, eingeladen wurde. Zu dieser Reise sind auch andere prominente und vermögende Industrielle aus der ganzen Welt eingeladen, um für die Ausdehnung von Julians Bemühungen Geld zu geben, und dafür sollen sie als erste Gäste des von seiner Tochter Lynn entwickelten Mondhotels "GAIA" einige absolut einmalige Erfahrungen machen. Und anstelle von Gerald fliegt nun der vermögende Extremsportler Carl Hanna mit. Alle erwartet eine Reise, die sie so schnell nicht wieder vergessen werden.

In Schanghai befindet sich der Cyberdetektiv Owen Jericho auf einer ganz anderen Reise. Nach einer sehr gefährlichen Ermittlung im Bereich der Pädophilen- Mafia, die der Schanghaier Polizei zu einigem Medienlob verholfen hat - und ihm zu einigen einlösbaren Gefälligkeiten - sucht ihn ein Freund eines guten Bekannten auf, weil Yoyo die Tochter just dieses Bekannten, gänzlich von der Bildfläche verschwunden ist. Die junge Frau, die bereits wegen staatsfeindlicher Akte kurze Zeit in Haft war, ist von einem Tag auf den anderen abgetaucht, nachdem sie anscheinend im Netz etwas gefunden hatte, das ihr so gefährlich erschien, dass sie sich Mühe gegeben hat, weder in der realen noch in der virtuellen Welt Spuren zu hinterlassen. Und aufgrund ihrer Vergangenheit möchte ihr Vater die Polizei nicht auf ihr Verschwinden aufmerksam machen. Folglich beginnt die Suche nach einer Dissidentin in einem immer noch sehr vorsichtig mit der freien Meinung umgehenden China, wobei sich diese Nachforschungen bald aus Owens regulären Suchgebieten in ein weitgehend datenfreies Niemandsland verlegen, in dem jene Menschen leben, die nicht vernetzt sind - und somit zur neuen Unterschicht der Menschheit gehören. Innerhalb kurzer Zeit muss er erkennen, dass er nicht der einzige Fisch ist, der in diesem Meer auf der Suche ist - und der andere Fisch ist ein ziemlich großer Hai, der sich hervorragend zu tarnen versteht. Und so beginnt Owens größter Fall erst, als er die junge Frau findet.

In den USA, jenem Land, das mit Julian Orley den Abbau von Helium-3 in größerem Stil betreibt, während sich China als einziger Mitwettbewerber auf konventionelle Raketentechnik verlassen muss, beginnt eine Reporterin dem Anschlag auf Gerald Palstein nachzurecherchieren; eine Untersuchung, die gleichfalls allerlei gefährliche Menschen aus dem Unterholz treibt.

Zwischen diesen drei Handlungssträngen entwickelt sich ein Umwelt-Wirtschafts-Polit-Thriller, der die Ermittler und ihre Gegner um die ganze Welt führt, auf eine Raumstation und um den halben Mond. Dabei zeigt Schätzing deutlich, wie sich die Technik - und damit auch die menschlichen Gesellschaften - innerhalb der nächsten Jahrzehnte verändern könnten. Er hat diesem Thema ja bereits eine mehrteilige Dokumentation gewidmet, doch in diesem Roman kann er viel tiefer gehen und gleichzeitig auch wesentlich mehr Aspekte darstellen, was er auch mit offensichtlichem Vergnügen tut. Für den einen oder anderen Leser mag dieses Vergnügen nicht immer so ganz nachvollziehbar sein und an zwei oder drei Stellen einen Fortgang der Handlung der Exposition durch eine der Handlungsfiguren vorziehen, aber man kann nicht behaupten, dass hier uninteressante oder unwichtige Dinge referiert würden - und es wäre auch ein wenig erstaunlich, würde ein so umfangreiches Buch durchgängig nur mitreißen.

Und so liegt hier ein sehr überzeugendes Exemplar des oben genannten Hybrid-Genres vor, mit einer geschlossenen und unauffällig konstruierten Handlungsstruktur sowie glaubwürdigen Charakterisierungen aller handlungstragenden Figuren und auch vieler Nebenfiguren. Der Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen - verbunden mit der mehr oder minder indirekten Mahnung, schon heute ein wenig Einfluss auf selbige zu nehmen - ist insgesamt auch ziemlich gelungen und kommt dabei nicht mit dem typischen erhobenen Zeigefinger in eine Richtung aus. Die Frage, die sich stellt, ist jene, die der Titel in mehrerlei Hinsicht bereits vorgibt - und deren Lösung jeder für sich während der Lektüre zwischen diesen beiden relativ weit voneinander entfernten Buchklappen finden muss.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2009)


Frank Schätzing: "Limit"
Kiepenheuer & Witsch, 2009. 1320 Seiten.
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