Julie Kavanagh: "Nurejew"

Die Biografie


Der Tänzer Rudolf Nurejew (1938-1993) wurde nicht nur durch sein außerordentliches Talent, sondern auch durch seinen Lebensstil und sein Schicksal weltberühmt. Schon als er als Mitglied der legendären "Kirow-Truppe" zum bekanntesten Tänzer Russlands aufgestiegen war, hatte er das Ballett regelrecht revolutioniert.

Nachdem er sich im Juni 1961 (vielleicht spürte er die nahende Abschottung des Ostens durch den Mauerbau?) während eines Gastspiels in Paris abgesetzt hatte, startete er eine einzigartige Karriere, die ihn zum umjubelten Star auf den großen Bühnen der ganzen Welt machte, die ihm sozusagen zu Füßen lag.
1992 nahm er, schon von seiner Krankheit schwer gezeichnet, Abschied von der Bühne und starb 1993 an den Folgen von Aids.

Die Londoner Journalistin Julie Kavanagh, die selbst lange als Tänzerin tätig war, hat das Leben Rudolf Nurejews beschrieben. Länger als ein Jahrzehnt hat sie sich intensiv mit Nurejew beschäftigt, Interviews mit Freunden und Weggefährten gemacht und vor allen Dingen seine nun zugängliche KGB-Akte erschlossen.
Daneben hat sie Memoiren, Briefe und Tagebücher ausgewertet und sah sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Geschichte seiner Zeit in Leningrad, seiner ersten Liebe und seiner Flucht neu zu schreiben.

Es ist Julie Kavanagh eine selten fundierte und umfassende Biografie eines Ausnahmekünstlers gelungen, ein zartes und intimes Porträt und zugleich eine faszinierende Geschichte des Balletts im 20. Jahrhundert.

Die ganz besondere Leistung dieser Biografie, die sicher nicht die letzte über Nurejew bleiben wird, besteht in der Schilderung von Nurejews Kindheit und Jugend und seiner ersten Zeit als Tänzer, der sich immer unter Aufsicht des KGB befand. Sie besteht weiters darin, dass Kavanagh das Liebesleben Nurejews mit großer sprachlicher Brillanz zu einer Sittengeschichte der 1960er- und 1970er-Jahre ausweitet.
Und schließlich beschreibt sie das Sterben Nurejews, seinen langen Abschied mit großer Intensität. Es ist klar, dass die Darstellung des ausschweifenden Sexuallebens von Rudolf Nurejew viel Raum einnimmt, doch auch hier ist niemals die sonst oftmals in vielen anderen Biografien zu findende Sensationslüsternheit zu spüren, sondern eher eine taktvolle Annäherung an ein künstlerisches Ausnahmetalent, das aber im persönlichen Umgang wohl auch ein schwieriger Mensch gewesen sein muss.
Klar wird jedenfalls, dass es immer die sinnliche Attraktion war, die Nurejews Ausstrahlung auf Männer und Frauen ausgemacht hat.

Fazit:
Eine gelungene, facettenreiche und materialstarke Biografie, die lange als Standardwerk über Rudolf Nurejew Bestand haben wird.

(Winfried Stanzick; 07/2009)


Julie Kavanagh: "Nurejew. Die Biografie"
(Originaltitel "Nureyev. The Life")
Propyläen, 2008. 980 Seiten.
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Julie Kavanagh absolvierte die "Royal Ballet School" in London, studierte in Oxford englische Literatur und machte als Journalistin Karriere. Nach Stationen bei "Vogue" und "The Spectator" leitete sie die Londoner Redaktionen von "Vanity Fair" und "The New Yorker".

Noch ein Buchtipp:

Pierre-Henri Verlhac (Hrsg.): "Nurejew. Bilder eines Lebens"

Mit einem Vorwort von Vladimir Malakhov.
Der "beste männliche Tänzer des zwanzigsten Jahrhunderts" - zu Recht wurde Rudolf Nurejew immer wieder so bezeichnet. Er verkörperte einen neuen Tänzertypus, der dank seines Charismas, seiner Technik und Ausdrucksstärke, aber auch seines Durchsetzungsvermögens den "Ballerino" endgültig aus dem Schatten seiner weiblichen Kollegin treten ließ. Legendär sind seine Auftritte mit dem "Londoner Royal Ballet", seine tänzerische Partnerschaft mit Margot Fonteyn. Zugleich bot sein Leben Romanstoff: vom Kampf an die Spitze des Kirow-Balletts über die Flucht in den Westen, seine Arbeit als Choreograf und Ballettdirektor der Pariser Opéra bis hin zu seinem tragischen Aids-Tod im Alter von 54 Jahren. "Nurejew. Bilder eines Lebens" beleuchtet nicht nur die Stationen der beispiellosen Karriere des Tänzers, sondern erlaubt zugleich Einblick in das private Umfeld dieses Ausnahmekünstlers. (Henschel)
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