Nagib Machfus: "Karnak-Café"


Roman über die Diktatur in Ägypten zur Zeit des Sechs-Tage-Kriegs

Als der Ich-Erzähler in Kairo das Karnak-Café für sich entdeckt, liegt dies vor allem an der Inhaberin, Kurunfula, einer früheren Tänzerin und nun alternden Schönheit, die dem Café mit ihrer Persönlichkeit einen ganz eigenen Charakter für sich verleiht. Von jeher unkonventionell, fesselt diese Frau nicht nur den Ich-Erzähler, sondern die gesamte bunt zusammengewürfelte Schar ihrer Stammgäste.

Zu diesen zählt auch eine Gruppe junger Leute, darunter Kurunfulas Liebhaber. Diese Gruppe ist von einem Tag auf den anderen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Als die jungen Menschen nach Monaten wieder auftauchen, haben sie sich völlig verändert, sind in sich gekehrt und erzählen niemandem von dem, was ihnen widerfahren ist.

Einige Zeit später verschwindet die Gruppe abermals vorübergehend. Im Café erstirbt die auch in politischen Fragen offene Gesprächskultur, Misstrauen kommt auf, und trotzdem gewöhnt man sich beinahe an das unverhoffte Verschwinden und Zurückkehren der jungen Stammgäste - bis einer von ihnen nicht mehr mit den anderen auftaucht.

Diejenigen, die weiterhin das Café frequentieren, sind nur Schatten ihres vormaligen Selbsts. Als zwei von ihnen Vertrauen zum Ich-Erzähler fassen und ihm vorsichtig von ihren Erfahrungen erzählen, scheint ihre Geschichte von Polizeiwillkür und gezielten Grausamkeiten schier unglaublich. Doch dann tritt im Café der Verhörchef von damals persönlich auf, mittlerweile ein gebrochener Mann, und stellt die Relation Täter-Opfer auf verstörende Weise infrage.

Nagib Machfus' kurzer Roman ist in Ägypten um den Sechs-Tage-Krieg angesiedelt. Zu dieser Zeit herrschte Gamal Abdel Nasser als Diktator in Ägypten und ließ Gegner aus dem politischen und religiösen Lager, etwa Kommunisten und Muslimbrüder, unerbittlich verfolgen. Verhaftungen auf Verdacht, Misshandlungen und Sippenhaft, wie im Roman beschrieben, waren nicht ungewöhnlich. Im Karnak-Café ist es die studentische Clique, die diesem Treiben mehrfach zum Opfer fällt und davon schließlich zerstört wird.

Der Autor versteht es, die Entwicklung der Gesellschaft anhand der Veränderung der Stimmung im Café vorzüglich abzubilden. Geht es zunächst offen und pluralistisch zu, so kommt allmählich, zunächst diffus, dann immer mehr fassbar, ein höchst destruktives Misstrauen auf. Die Alten wettern gegen die Jungen und umgekehrt, einzelne Personen versuchen, die Lage auszunutzen und ihre Eifersüchteleien und Ansprüche auf Kurunfulas Liebe zuungunsten anderer geltend zu machen, und die Gesprächskultur kommt zum Erliegen. Nur der Ich-Erzähler, über alle Zweifel und Intrigen erhaben, bleibt Vertrauensperson, sodass bei ihm schließlich alle Fäden zusammenlaufen und der Leser nach und nach konkret die Zusammenhänge herstellen kann, die er sich zuvor bereits anhand von Andeutungen zusammenreimen konnte. Es sind die dann einfühlsam und authentisch geschilderten Einzelschicksale, die schockieren und aufrütteln.

Vor allem aber erweist sich "Karnak-Café" als ein geschickt aufgebauter, atmosphärisch dichter, stimmungsvoller, spannungsgeladener Roman. Der 2006 verstorbene Nobelpreisträger Machfus zeichnet sich nicht so sehr durch einen üppigen, orientalischen Erzählstil aus, sondern vor allem durch sein Einfühlungsvermögen und psychologisches Gespür. Seine Charaktere, glaubwürdig konzipiert, könnten in jeder Diktatur auftreten, wäre da nicht auch jener wunderbare Lokalkolorit, der das Karnak-Café nun eben im Kairo der späten 1960er-Jahre ansiedelt.

Ein so zauberhafter wie schmerzlich anrührender Roman, den zu lesen sich nicht nur für an orientalischer Literatur Interessierte lohnt!

(Regina Károlyi; 04/2009)


Nagib Machfus: "Karnak-Café"
(Originaltitel "al-Karnak")
Aus dem Arabischen von Doris Kilias.
Unionsverlag, 2009. 127 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Radubis"

Die goldene Sandale, die ein Adler vor dem Pharao zu Boden fallen lässt, verwirrt ihn. Ob die Besitzerin so schön und elegant ist wie ihr Schuh? Die Sandale gehört keiner geringeren als der Kurtisane Radubis, deren weißer Palast auf einer Insel im Nil den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens bildet.
Der Pharao beschließt, die Sandale höchstpersönlich zurückzubringen, und ahnt nicht, dass er damit sein eigenes Schicksal besiegelt. Denn während er und Radubis sich rücksichtslos ihren Leidenschaften hingeben, brodelt es im Volk, die Höflinge planen Intrigen, und die Priester wollen den Machthunger des Pharao nicht länger hinnehmen. (Unionsverlag)
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Noch ein Buchtipp:

"Reise nach Ägypten. Geschichten fürs Handgepäck"

Untertauchen in den Basaren von Kairo, staunen vor den pharaonischen Weltwundern, erholen in den Taucherparadiesen am Roten Meer - jede Reise nach Ägypten ist eine Konfrontation mit einer der ältesten Kulturen der Welt. Diese Erzählungen von ägyptischen Autorinnen und Autoren berichten von Fellachen und Städtern, von kleinen Leuten und großen Tieren, von Nöten und Glück der Menschen in Ägypten. Sie ermöglichen Begegnungen und Entdeckungen, die dem Reisenden sonst nicht vergönnt sind. (Unionsverlag)
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