Christine Büchner: "Hildegard von Bingen"

Eine Lebensgeschichte


Porträt einer außergewöhnlichen Frau

Hildegard von Bingen (1098-1179), Visionärin und Benediktiner-Äbtissin, gilt als eine der bedeutendsten Frauen des Mittelalters. Wie Christine Büchner im ersten Kapitel ihres Buches deutlich macht, wird sie mit Begriffen wie "Natur und Gesundheit", "Einklang von Körper und Seele", "geistige und spirituelle Autorität" und "Durchsetzungskraft" in Verbindung gebracht. Sie wurde nicht nur zu Lebzeiten als Ratgeberin respektiert, sondern gilt bis heute in einer nach Orientierung suchenden Gesellschaft als Identifikationsfigur. Wie hat sie es geschafft, in der kulturell und religiös recht schwierigen Zeit des Mittelalters, Anerkennung zu finden und gesellschaftlich aufzusteigen?

Autorin Büchner nähert sich dem Menschen Hildegard an, beschreibt ihre Kindheit, ihr gesellschaftliches Umfeld und die Reformzeit des zwölften Jahrhunderts. Hildegards Eltern, adelig und wohlhabend, bestimmen für sie ein geistliches Leben in einem Kloster. Sie ist ein besonderer Mensch mit spiritueller Begabung, und so scheint genau dies ihr Weg zu sein. Sie wird Nonne in Disibodenberg und gründet später gegen große Widerstände das Kloster Rupertsberg.

Hildegard von Bingen entwickelt sich zum Multitalent. Sie schreibt Bücher, komponiert Lieder, beschäftigt sich mit Naturheilverfahren und geht auf Predigtreisen. Sie ist freundlich aber bestimmend und verfolgt beharrlich ihre Ziele. Ihre Visionen geben ihr eine Richtung und prägen ihren Glauben. Der eigene Wille sei in den Dienst des kosmischen Gleichgewichts zu stellen. Alles habe seinen Platz, und dies müsse respektiert werden, sonst könne die Natur sich auch gegen den Menschen wenden.

Christine Büchner beschreibt auch Hildegards Schwächen. Dazu zählen manche spektakuläre Aktionen, in denen nonkonformistische Verhaltensweisen erkennbar werden, und insbesondere ihre (letztlich vergeblichen) Bemühungen, die weitere Karriere ihrer Freundin Richardis von Stade zu torpedieren, die sie nicht an ein anderes Kloster abgeben will.

Die Frage, warum sie so berühmt wurde, kann Autorin Büchner nicht abschließend beantworten. Hildegard von Bingen war nicht der einzige Mensch mit Visionen, und auch der fachkundige Umgang mit Kräutern dürfte im Mittelalter weit verbreitet gewesen sein. Vielleicht war es ihre Anerkennung durch den Papst und ihre Korrespondenz mit den wichtigen Würdenträgern ihrer Zeit, die sie bekannt gemacht und ihre Karriere beflügelt haben.

Das Buch ist verständlich formuliert und zeigt viele Facetten des Lebens- und Glaubensweges von Hildegard von Bingen auf. Vermisst habe ich eine Zeittafel über wichtige Stationen ihres Lebens, wie sie für Biografien nicht unüblich ist.

Das Leben von Hildegard von Bingen wurde im Jahr 2009 verfilmt.

(Klemens Taplan; 10/2009)


Christine Büchner: "Hildegard von Bingen. Eine Lebensgeschichte"
Insel, 2009. 144 Seiten.
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Christine Büchner, 1970 geboren, studierte Theologie, Germanistik, und Lateinische Philologie. Sie promovierte über das Schöpfungsverständnis des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckhart und wurde dafür mit dem "Karl Rahner-Preis" ausgezeichnet.

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Hildegard von Bingen: "Lieder"
Aus dem Lateinischen von Adelgundis Führkötter.
Hildegard von Bingen gilt als eine der bedeutendsten und faszinierendsten Frauen des deutschen Mittelalters. Mit ihren Visionen, ihren naturkundlichen Schriften, Kompositionen und Dichtungen zog sie bereits ihre Zeitgenossen in ihren Bann. In Leben und Werk folgte sie dem benediktinischen Motto "Himmlisches mit Irdischem verbinden", und so verknüpft sich auch in ihren für den liturgischen Gebrauch gedichteten Liedern eine diesseitige lustvolle Kraft mit der Ruhe der Meditation. Die Nonne Hildegard erweist sich hier als visionäre Meisterin der Lyrik. (Diogenes)
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