Joseph Gelinek: "Die 10. Symphonie"


Beethovens Neunte ist vielen Menschen zumindest dem Namen nach bekannt, und da sie oft die "Unvollendete" genannt wird, gehen die meisten wohl davon aus, dass des Komponisten Ableben die Vollendung dieser Symphonie bedingt haben müsste. An Klassik interessierte Personen, die sich auch ein wenig mit Musikgeschichte beschäftigen, wissen es besser, und mancher hat auch schon davon gehört, dass Beethoven sogar noch eine zehnte Symphonie geschrieben haben soll, die aber leider verschollen ist.

Nun kündigt der eher mittelprächtige Komponist und Dirigent Ronald Thomas an, den ersten Satz einer Rekonstruktion aus Fragmenten der zehnten Symphonie in einem Konzert vorzustellen, zu dem ein auserlesener Kreis von Zuhörern eingeladen wird. Unter den Eingeladenen befindet sich auch der junge Musikwissenschaftler Daniel Paniagua, dessen Spezialgebiete Beethoven und sein Werk sind. Die Aufführung und das Stück selbst fesseln Daniel, und darum ist er mehr als enttäuscht, dass ihm der Dirigent nach der Aufführung kein kurzes Gespräch unter vier Augen gewährt, sondern kurz darauf von der Festivität zu seinen Ehren auch noch grußlos verschwindet.

"Wenn sich herausstellt, dass Thomas ein Hochstapler ist, werden wir ihn auseinandernehmen, hörst du? Geh in das Konzert und sei mein Ohr, mein Auge, all meine Sinne. Dass dir nicht das geringste Detail entgeht. Es ist mir egal, was der Typ bisher gemacht hat: Wenn seine Komposition eine Ausgeburt seiner Fantasie ist, werden wir ihn und seinen Mäzen Jesús Marañón in Grund und Boden stampfen."
Einige Augenblicke verharrte Daniel nachdenklich und starrte aus dem großen Fenster im Rücken Duráns. "Woran denkst du? "
"Ach, an nichts. Mir ist bloß eingefallen, dass es Forscher gibt, die behaupten, an irgendeinem Ort in Europa liege verborgen das vollständige Manuskript der zehnten Symphonie Beethovens und warte nur darauf, entdeckt zu werden ..."
Durán erwiderte nichts. Er beschränkte sich auf das feine Lächeln sehr routinierter oder sehr korrupter Politiker, das sie dann hervorholen, wenn sie offensichtlich etwas verbergen möchten.

(Aus dem Roman)

Am nächsten Tag wird zunächst der enthauptete Leichnam des Dirigenten gefunden und kurz darauf auch sein geschorener Kopf. Aufgrund der Tatumstände und der Tatsache, dass in die Kopfhaut des Mannes einige Noten eintätowiert sind, wird Daniel als Sachverständiger von der zuständigen Richterin herangezogen und findet sich neben seiner eigenen Arbeit an einem Buch über Beethoven und seinen Unterrichtsverpflichtungen auf einmal auch in die Ermittlungen in einem medienbegleiteten Mordfall verwickelt.

Im Laufe dieser Ermittlungen erfährt der Leser eine ganze Menge über Musikgeschichte und Musikwissenschaften sowie über historische Themen, die einen direkten Bezug zu diesen Bereichen aufweisen. Dies kann der Autor, der unter seinem richtigen Namen in Spanien selbst als Musikwissenschaftler und Beethoven-Experte fungiert, auch fabelhaft vermitteln.
Leider ist jedoch die Krimihandlung eher schleppend und sehr an den Haaren herbeigezogen, außerdem erscheinen die Motive der Bösen und "Halbbösen" wenig glaubwürdig.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2009)


Joseph Gelinek: "Die 10. Symphonie"
(Originaltitel "La Décima Sinfonia")
Übersetzt von Johanna Weis.
Knaur, 2009. 432 Seiten.
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"Joseph Gelinek" ist das Pseudonym eines spanischen Musikwissenschaftlers und Beethoven-Experten, der mit "Die 10. Symphonie" seinen ersten Roman vorlegte. Der "echte" Joseph Gelinek (1758-1825) stammte aus Böhmen und war zu Mozarts und Beethovens Zeit ein begehrter Klavierlehrer und Hauspianist des Wiener Adels, der sich auch an eigenen Kompositionen versuchte.