Andrea Camilleri: "Die Flügel der Sphinx"

Commissario Montalbano sehnt sich nach der Leichtigkeit des Seins


Die Serienkommissare der gegenwärtigen Krimiliteratur kommen ins Alter und haben schwer mit Beziehungskrisen zu kämpfen. Bei Andrea Camilleris Salvo Montalbano treibt die Krise in "Die Flügel der Sphinx" auf einen allerdings wieder einmal nicht aufgelösten  Höhepunkt zu.

Montalbanos schon jahrzehntelang dauernde (Fern-)beziehung zu Livia ist in den letzten Jahren merklich abgekühlt. Seit beide vor langer Zeit die Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließen, gemeinsam Eltern eines Kindes zu werden, hat sich ihre Beziehung verändert, sie ist weniger leidenschaftlich und verbindlich geworden. Nicht dass Montalbano den durchaus  vorhandenen Angeboten des zarten Geschlechts abgeneigt wäre, aber seit einer bösen Erfahrung mit einer jungen Frau im vorletzten Fall hat er offenbar abstinent gelebt.

Sein Appetit auf die wunderbaren Speisen, die ihm seine Haushälterin Adelina oder Enzo in seiner Stammtrattoria servieren, ist nach wie vor ungezügelt, doch seine Spannkraft scheint nachzulassen. Mitte fünfzig, sind seine Lebensperspektiven auch recht unklar. Mit Livia scheint so gar nichts mehr ins rechte Lot zu kommen, und auch das früher lockere Verhältnis zu seinen Kollegen, insbesondere dem sympathischen Fazio, ist spürbar gespannt. Montalbano weiß nicht wohin, er treibt von Fall zu Fall, aber außer dem Genuss von Essen und Trinken und seinem regelmäßigen Bad im Meer erfreut ihn nichts mehr.

Seiner Arbeitsmotivation hat diese ausgewachsene Krise bislang nicht geschadet, und so sieht er sich auch in "Die Flügel der Sphinx" einer Interessengemeinschaft aus Kirchenleuten, Politikern und Kriminellen gegenüber, wie so oft in Sizilien.

Eine junge Frau ist ermordet worden. Es gibt keinerlei Hinweise auf die Identität des Opfers, weil der Mörder ihr Gesicht vollkommen zerstört hat. Einzig eine Schmetterlingstätowierung auf ihrer linken Schulter, die dem Buch seinen Titel gab, könnte weiterführen. Montalbano wittert sofort große Zusammenhänge, und tatsächlich findet er heraus, dass die Tote zu einer Gruppe von Russinnen gehörte, alles ehemalige Prostituierte, die von einer Organisation namens "Der Gute Wille" nach Italien gelockt worden sind. Der dem Commissario sofort verdächtige Vorsteher dieses mysteriösen Clubs gibt an, man hätte die Mädchen aus christlichen Motiven vor der Prostitution in ihren Herkunftsländern retten wollen.

Doch das ist, wie sich herausstellt, nur die Oberfläche eines kriminellen und scheinheiligen Interessen- und Beziehungsgeflechts, in das Montalbano nun immer tiefer eindringt. Was er dabei zu Tage fördert, ist skandalös, aber an diese sizilianischen Zustände hat man sich bei Camilleri mittlerweile gewöhnt. Während etwa Roberto Saviano unter Lebensgefahr die Mafia beschreibt, hat sie bei Camilleri etwas von Lokalfolklore, die dem Rezensenten nicht immer gefällt.

Das Buch ist wie immer eine unterhaltsame Lektüre, nicht nur wegen der erheiternden Dialoge zwischen Montalbano und Fazio, erst recht aber mit Catarella. Unterhaltsam und spannend - so müssen Krimis sein.

(Winfried Stanzick; 12/2009)


Andrea Camilleri: "Die Flügel der Sphinx. Commissario Montalbano sehnt sich nach der Leichtigkeit des Seins"
Lübbe, 2009. 271 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Ein weiteres Buch des Autors:

"Die Mühlen des Herrn"

Die Mühlen des Herrn mahlen langsam. Und ein gewisser sizilianischer Mafioso, der sich an den Mühlen bereichert hat, gerät in arge Bedrängnis.
Im berüchtigten Sizilien Camilleris wird über Nacht eine ganze Mühle abgebaut, um die Staatskasse zu betrügen: Bovara kommt im Auftrag des Finanzministeriums zur Prüfung der Mühlensteuer. Er mietet sich bei einer reichen Witwe ein, muss aber bald erfahren, wie hart das Leben ist, wenn man unangenehmen Wahrheiten auf der Spur ist. Ein eifriger Inspekteur, eine schöne Witwe, ein sündiger Pfarrer und natürlich ein gerissener Mafioso: Jeder will etwas Anderes, keiner entkommt den Mühlen des Herrn. (Verlag Klaus Wagenbach)
Buch bei amazon.de bestellen