Sylvie Schenk: "Die Tochter des Buchhändlers"


"Beim Buch aber geht es nicht um Besitz, die Leser wollen sich im Buch wiederfinden, oder nein, sie wollen neue Facetten ihres Ichs entdecken, sie wollen vielmehr über ihren Schatten springen und ..."
(Paul Worms in "Die Tochter des Buchhändlers")

Auf der Suche nach sich selbst

Der Roman spielt in der Neuzeit in einer mittelgroßen Stadt und beschreibt den Zeitraum vom Tod des Buchhändlers Christoph Stamm bis kurz nach seiner Beerdigung. Seine Tochter Alice ist unschlüssig, ob sie den verschuldeten Buchladen weiterführen soll. Auf der Beerdigung trifft sie die Menschen, die ihrem Vater nahegestanden haben und auch ihr selbst nahe stehen. Die Beziehungen dieser Menschen zueinander und zum Buchhändler bilden den Kern der Geschichte.

Es ist nicht die eher einfach gestrickte Rahmenhandlung, sondern es sind die Gedanken, Erinnerungen und Dialoge der Personen im Umfeld des Buchhändlers, die dem Roman Leben einhauchen. Aus diesen Beschreibungen lassen sich die Charaktere der Protagonisten und auch die Persönlichkeit des Buchhändlers rekonstruieren. Es wird deutlich, dass er eine wichtige Integrationsfigur war und sich insbesondere durch seine Literaturkenntnisse ausgezeichnet hat. Nach seinem Tod treten bei den ihm nahestehenden Menschen Unsicherheiten, Lebensängste und Aversionen an die Oberfläche. Eine psychische Leere breitet sich aus.

Alice ist eine zentrale Figur in diesem Roman. Sie möchte schreiben, wie die Schriftsteller im Bekanntenkreis ihres Vaters. Aus Andeutungen geht hervor, dass sie einen Roman verfasst. In einer Art Selbstinszenierung ist "Die Tochter des Buchhändlers" quasi ihre eigene Geschichte im Spiegel ihres Umfeldes. Dabei verschwimmen Roman und Geschichte im Roman ohne erkennbare Grenzen.

Autorin Sylvie Schenk widmet sich in diesem Buch dem Thema Selbstfindung. Sie beschreibt ein komplexes Beziehungsgeflecht sinnsuchender Menschen. Die Beziehungen sind voller Spannungen, und das konstruierte Bild des Buchhändlers enthält Widersprüche. Das Gemeinsame der Protagonisten ist die Liebe zur Literatur. Diese Liebe zur Literatur generiert eine Scheinwelt und dient der Sinnstiftung. Deshalb entsteht durch den Tod des Buchhändlers nicht nur ein Bruch im zwischenmenschlichen Bereich, sondern eine Sinnkrise wird ausgelöst. Auch deshalb soll Alice den Buchladen weiterführen.

Es gibt in diesem Roman keinen klar definierten Ablauf, der wie ein roter Faden erkennbar wäre, sondern die Protagonisten sind ein Spiegelbild des Themas, das hier verarbeitet wird. So offen wie die Frage nach dem Lebenssinn ist auch der Roman.

(Klemens Taplan; 09/2008)


Sylvie Schenk: "Die Tochter des Buchhändlers"
Picus Verlag, 2008. 154 Seiten.
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Sylvie Schenk, geboren 1944 in Chambéry (Frankreich), lebt als freischaffende Autorin in Stolberg, Rheinland (Deutschland). Sie schreibt Lyrik auf Französisch und Prosa auf Deutsch. "Die Tochter des Buchhändlers" ist ihr dritter Roman..

Ein weiterer Roman der Autorin:

"Heute ist auch noch ein Tag"

Ja, es gibt schiefe Stunden, schiefe Tage, schiefe Jahre, schiefe Jahrhunderte, schiefe Lebenswege.
Ein Tag wie ein Roman, voller Lebenslust und dunkler Schatten, verwaschen und sonnig, erleuchtet von funkelndem Witz. Selbst durch den Alltag schimmert das zerbrechliche Glück. Man muss nur genau hinsehen, um es zu erkennen. Oder Sylvie Schenks zauberhaften Roman lesen.
Würde nicht ein Kater am frühen Morgen vor einem Rollstuhlfahrer erschrecken, eskalierte am Ende eines langen Tages nicht ein Konzert in eine Schlägerei. Die losen Lebensfäden der Bewohner einer Straße verwebt Sylvie Schenk zu einem intensiven Text, der das Leben selbst ist: die Einsamkeit des Einzelnen, das Scheitern guter Absichten, der Trost der Erinnerung, die stete Präsenz des Todes und die Kraft der Hoffnung.
Die Bewohner der Severinstraße gehen einem so nahe, dass man meint, sie persönlich zu kennen: die neunmalkluge Anina, ein hochbegabtes Kind, oder die alternde Ruth, die durch den Park streift, um ihren Kater und ihre Vergangenheit zu beerdigen, oder Angela, die für ihren Liebhaber Wetterberichte sammelt ...
Ein Roman aus der Mitte der Gesellschaft, mit all ihren Befindlichkeiten und Verwerfungen, erzählt mit der Distanz einer deutsch schreibenden Französin. Humorvoll zeigt Sylvie Schenk, dass das Leben nicht grau ist, sondern wunderbar bunt. Wenn man sich nur bewusst macht: Heute ist auch noch ein Tag. (Klett-Cotta)
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