Santiago Roncagliolo: "Roter April"


Ein meisterlicher politischer Krimi, der mit einem bei genauerem Nachdenken dann doch überhaupt nicht überraschenden Ende aufwartet

Das lateinamerikanische Land Peru hat in den letzten Jahrzehnten eine bewegte Geschichte hinter sich, die erst noch vollständig aufgearbeitet werden muss. Diese Auseinandersetzung und historische und gesellschaftliche Bewältigungsarbeit hat vor einiger Zeit begonnen, und sie ist mühsam. Andere Länder, auch Deutschland, können als Beispiel für diese langwierige und schuldbeladene Aufarbeitung schwieriger und dunkler historischer Phasen (z. Beispiel den Nationalsozialismus, die RAF und die DDR) dienen.

Zu viele Opfer hat der brutale und blutige Krieg zwischen der Armee des Landes und der zur Terrororganisation mutierten ehemaligen Befreiungsarmee des "Sendero Luminoso", des "Leuchtenden Pfades", gekostet. Selbst nach der Verhaftung des Chefs des "Pfades", Guzman, und der Übernahme der Regierung durch den demokratisch gewählten Präsidenten, den japanischstämmigen Fujimori, hörten der Terror auf der einen und die brutale Unterdrückung der Bevölkerung auf der anderen Seite nicht auf.

Und so ist die Handlung, welche der peruanische, seit Jahren in Spanien lebende Schriftsteller Santiago Roncagliolo konstruiert, durchaus realistisch.
Wir befinden uns in der Karwoche im Jahre 2000 in der peruanischen Stadt Ayacucho; eine Woche, die traditionell in diesem Land mit einer Mischung aus alter Kultur und durch die Kolonisatoren aufgesetztem Katholizismus ein Spektakel aus blutigen Ritualen und alkoholgeschwängerten sexuellen Exzessen ist. Der stellvertretende Staatsanwalt Félix Chacaltana, noch ziemlich neu auf seinem Posten, hat sich noch nicht an die dortigen Umgangsformen und Seilschaften in der Polizei, der Armee, die nach wie vor sehr mächtig ist, und im Justizapparat gewöhnt. Als er mit seiner ersten Leiche konfrontiert wird und zu ermitteln beginnt, stößt er sofort auf den Widerstand des örtlichen Militärkommandanten, der dem Staatsanwalt vermittelt, dass er die Finger davon lassen soll und er an dieser Leiche nicht interessiert ist.

Doch die Leiche ist dermaßen zugerichtet, dass der wackere Chacaltana sich nicht einschüchtern lässt. Er glaubt an Gesetz und Ordnung, will mithelfen, eine neues gesellschaftliches Gemeinwesen in Peru aufzubauen, und seinen Beitrag leisten, um das Vertrauen der Bevölkerung zu den Organen der Justiz wiederherzustellen. Die Spuren dieses Mordes weisen deutlich auf den "Leuchtenden Pfad" hin, der offenbar seine Aktivitäten wiederaufgenommen hat. Chacaltana ist mutig, sieht sich bald mit weiteren Morden konfrontiert und wird selbst immer weiter in einen Strudel der Gewalt hineingezogen. Welche Rolle zum Beispiel spielt die junge Frau, die er in einem Café kennenlernt und für die er etwas empfindet? Welche Rolle spielen seine Vorgesetzten und spielt vor allen Dingen die Armee?

In seinem spannenden Roman führt Santiago Roncagliolo den Leser mitten hinein in die peruanische Innenpolitik und lässt tiefe Blicke zurück in die Geschichte des Krieges zwischen der Armee und dem "Leuchtenden Pfad" werfen. Dass er seine Hauptfigur, die recht mutig um die Aufklärung etlicher Morde ringt und sich nicht einschüchtern lässt, als einen eher weichen, konfliktscheuen Einzelgänger schildert, der noch Jahre nach dem Tod seiner Mutter so tut, als lebe sie noch zusammen mit ihm in der ehemals gemeinsamen Wohnung, befremdet zunächst, weil man einem solchen Mann diese standhafte Haltung gar nicht zutraut. Über den Roman hin aber wird deutlich, dass Chacaltana für einen Neuanfang steht, für den sich in Peru viele, auch einfache Leute engagieren.

Roncagliolo leistet mit diesem Roman, der wie ein Krimi oder Thriller daherkommt, sicherlich einen wichtigen Beitrag. Auch wohl deshalb erhielt er für dieses Buch einen hochdotierten spanischen Literaturpreis.
Dass der Autor eher schräge Figuren in seinen Büchern mag, zeigt sein 2006 bei Claassen erschienenes, dem Rezensenten sehr fremd gebliebenes Buch "Vorsicht!".

(Winfried Stanzick; 02/2008)


Santiago Roncagliolo: "Roter April"
(Originaltitel "Abril Rojo")
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar.
Suhrkamp, 2008. 333 Seiten.
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Santiago Roncagliolo, 1975 in Lima geboren, lebt seit einigen Jahren in Barcelona. Er schreibt Drehbücher, Artikel für spanische und peruanische Zeitungen sowie Romane.