Reiner Sörries: "Von Kaisers Gnaden"

Protestantische Kirchenbauten im Habsburger Reich


Betritt man heute einen sakralen Raum, sei es eine katholische, sei es eine evangelische Kirche, sei es eine Moschee oder eine Synagoge, dann sollte dieser davon erzählen, was die Menschen, die ihn errichteten, was die Menschen, die darin Gottesdienst und Andacht halten, glauben.
Die Räumlichkeiten sollten davon erzählen, was ihnen wichtig ist, welche Symbole sie tragen und was sie abwehren sollen.
Margarete Luise Goecke-Seischab und Frieder Harz haben im Mai 2008 mit ihrem bei Kösel erschienenen "Kirchen-Atlas" ein Buch vorgelegt, das eine Lücke füllte und interessierten Menschen helfen soll, sie durch bekannte und weniger bekannte Kirchengebäude Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zu führen und gleichzeitig auch eine Art Einführung und Nachschlagewerk in die Kirchenbaukunst von der Vor- und Frühromanik bis ins 21. Jahrhundert darstellt.

Denn es braucht Kenntnisse, um Kirchen "lesen" zu können. Reiner Sörries, der Autor der vorliegenden Studie, ist ein ausgewiesener Kenner der Kirchenbauarchitektur. Das Buch "Von Kaisers Gnaden" untersucht sowohl kirchen- als auch kirchenbauhistorisch protestantische Kirchenbauten im Habsburger Reich. Seine kirchengeschichtlichen Einführungen und Erläuterungen helfen dem Laien, das Beschriebene historisch einzuordnen und zu verstehen.

Reiner Sörries geht von der schon erwähnten Tatsache aus, dass alle Konfessionen immer auch sich selbst darstellen und in ihren Kirchenbauten ihren ganz speziellen Glauben ausdrücken. Seit es nach der Reformation eine Aufspaltung der christlichen Religion in verschiedene Konfessionen gab, sind diese auch immer wieder auf der Suche nach einer ihnen entsprechenden Kirchenarchitektur.

Nun könnte man vermuten, dass dies nur dort auch gut gelungen ist, wo nach der konfessionellen Aufteilung Europas die eigene Konfession in einer bequemen Mehrheitssituation war. Ergo dürften, nachdem nach den Kriegen mit Preußen 1740-1763 die letzten protestantischen Teile des ehemals gemischtkonfessionellen Habsburger Reiches verloren gegangen waren, auch die protestantischen Kirchbauten nach dieser Zeit nur spärlich, wenn überhaupt, zu finden sein. Die Habsburger waren streng katholisch, und so würde man vermuten, dass sie den wenigen Protestanten speziell beim Bau ihrer Kirchen das Leben schwer gemacht haben.
(Man kennt ja aus der Gegenwart die erheblichen Auseinandersetzungen um sakrale Bauten, etwa aktuell den Streit um den Bau einer Moschee in Köln, in dem beides deutlich wird: der Wunsch der einen Religion, im Bau eines entsprechend großen und hohen Gebäudes ihr "Gesicht" zu zeigen und ihren Glauben und ihre Macht auch nach außen zu demonstrieren, und die Angst der anderen, "überfremdet" zu werden und letztlich der "Konkurrenz" nicht gewachsen zu sein.)

Tatsächlich, so Reiner Sörries in seinem mit zahlreichen Bildern illustrierten Buch, ist das Gegenteil der Fall. Gerade aus einer hoffnungslosen Minderheitenposition heraus haben die Protestanten im Habsburger Reich eine große Vielfalt von Kirchenbaustilen entwickelt und so in einer Situation der Diaspora von dem spezifisch Protestantischen erzählt. Man kann das etwa an den schlesischen Friedenskirchen, den ungarischen Artikelkirchen oder den josephinischen Toleranzbethäusern sehen.

Und der Autor zeigt auf, wie im Laufe der Geschichte, die auch im Habsburger Reich eine allmähliche Gleichberechtigung der evangelischen Konfession mit der katholischen Mehrheitskirche mit sich brachte, diese ganz speziellen kirchenarchitektonischen Eigenarten wieder langsam verloren gingen.
Der Blick auf die noch erhaltenen und in diesem Buch ausführlich beschriebenen evangelischen Kirchen in Mittelosteuropa kann uns heute lehren, was das besondere protestantische Profil im damaligen Kirchenbau ausmachte und lehrt uns auch viel über das protestantische Selbstverständnis der damaligen Gläubigen, von dem heute meistens vor lauter Ökumene und Religionsdialog gar nichts mehr zu spüren ist.

Reiner Sörries, der als Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel arbeitet und als Professor für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte in Erlangen lehrt, hat mit diesem Band nicht nur ein kirchenbauhistorisches Werk vorgelegt, sondern auch ein Buch, das zwischen den Zeilen immer wieder von protestantischer Identität und deren Verlust erzählt.

(Winfried Stanzick; 09/2008)


Reiner Sörries: "Von Kaisers Gnaden. Protestantische Kirchenbauten im Habsburger Reich"
Böhlau Verlag Köln, 2008. 224 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Margarete Luise Goecke-Seischab, Frieder Harz: "Der Kirchen-Atlas"

Räume entdecken. Stile erkennen. Symbole und Bilder verstehen. Mit Reise-Tipps.
Der praktische Kirchenführer für unterwegs, das ideale Nachschlagewerk für Zuhause: Mehr als 550 Zeichnungen und Fotos veranschaulichen die Stil- und Architekturgeschichte des Kirchenbaus und führen in die Symbolsprache christlicher Kunst ein. Fundierte Informationen, präzise zusammengefasst, lassen Kunstgeschichte und die reiche Bilderwelt des Christentums lebendig werden. (Kösel-Verlag)
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