Rea Revekka Poulharidou: "Eléni. Heimat im Herzen"


Eine deutsch-griechische Geschichte

Rea Revekka Poulharidou wurde 1967 als Tochter griechischer Gastarbeiter in Vaihingen/Enz in Deutschland geboren. Sie besuchte in Stuttgart das Gymnasium und studierte in Freiburg Germanistik. Heute lebt und arbeitet sie
als Schriftstellerin und Internet-Projektmanagerin in Friedrichshafen.
Offenbar großteil autobiografisch, wenn auch in manchen Details der Verdeutlichung oder Unkenntlichmachung halber geringfügig verändert, ist ihre deutsch-griechische Geschichte, in der die Ich-Erzählerin Eléni, eben so ein Gastarbeiterkind wie die Autorin, ihre Entwicklung
von der frühen Kindheit bis in die Gegenwart hinein erzählt. Der Aufbau des gerade 80 Seiten umfassenden Textes erfolgt in chronologisch angelegten Kleinstkapiteln, die entweder aus wichtigen, prägenden Momentaufnahmen oder typischen Begebenheiten bestehen; abgerundet wird das Ganze noch von ein paar Briefen Elénis an ihren Patensohn Emanuel, die sozusagen ein Schlusslicht auf die erwachsene, gereifte Eléni werfen. Gleichsam als Patin für die Erzählerin wiederum fungiert Melina Merkouri, Schauspielerin, langjährige griechische Kulturministerin und Künstlermuse und gewiss keine schwache Frau, indem der Geburtstag Elénis mit dem Tag, als Melina Merkouri von der damaligen Militärjunta die griechische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, zusammenfällt und auch sonst immer wieder Bezug auf die charismatische Athenerin genommen wird. 

Viele von Elénis Erfahrungen und Erlebnissen sind sicher typisch für Menschen mit einer ähnlichen migrationshintergründigen Kindheit; diese werden sich in so mancher beschriebenen Szene wiederfinden. Da ist zum Beispiel die Selbstverständlickeit, mit der das Mädchen annimmt, dass eine Sache eben zwei verschiedene Bezeichnungen hat, um irgendwann überrascht festzustellen, dass es schon die ganze Zeit über in zwei Sprachen gelebt hat. Oder - nach wie vor häufiges Vorkommnis und als solches nicht unbedingt zuunrecht Gegenstand der Kritik - Gastarbeiter, die in der Meinung, in zwei drei Jahren würden sie längst wieder ins Heimatland zurückgekehrt sein, nicht oder sehr unvollständig die deutsche Sprache erlernen, was die Kluft zur einheimischen Bevölkerung nicht verringert und für zweisprachig aufgewachsene Kinder wie Eléni bedeutet, bei allen möglichen Amts- oder Ärztebesuchen ihrer älteren Verwandten als Dolmetscher hinzugezogen zu werden. Erfahrungen mit verschiedenen Stufen der Ausländerfeindlichkeit bleiben ebensowenig aus, mit denen Eléni indes deutlich besser zurechtkommt als einer ihrer Cousins, der allerdings das Pech hat, erst spät aus seinem vertrauten Umfeld gerissen und nach Deutschland geholt zu werden. Interessant auch, dass es vieles gibt, was je nach Ansicht als Vorurteil der einen oder anderen Seite beziehungsweise als unterschiedliche kulturelle, in der Heldin der Geschichte aufeinanderprallende Einstellungen verstanden werden kann - verschiedene Leser werden möglicherweise zu recht unterschiedlichen Bewertungen kommen. Als besonders heitere Episode eines solchen Kulturaufeinanderpralls sei der erste Griechenlandbesuch der Heldin (mit immerhin schon sechs Jahren) erwähnt, wo sie, von ihrer ihr gerade erst bekannt gewordenen Großmutter mit einer Blechschüssel zum Eierholen in den Hühnerstall geschickt, nachfragt, wo sich denn dort der Kühlschrank befinde. Verständlich ist es jedenfalls, dass Eléni in Fällen, wo ihre persönliche Freiheit im Spiel ist, eher zu mitteleuropäischen Sitten tendiert; so muss sie sich im Laufe der Zeit immer häufiger über ein verbietendes "Bist du verrückt geworden?" ihrer Eltern ärgern und, in das entsprechende Alter gekommen, zahlreiche Ehevermittlungsversuche hartnäckig abwehren. Viele Töchter von östlicherer Herkunft haben in diesem Punkt bis heute bekanntlich weniger Glück, doch wäre Eléni von ihrer Tante aufgezogen worden und hätte sie weniger klare Vorstellungen von ihrer Zukunft gehabt, hätte ihr Lebenslauf damals leicht eine ganz andere Wendung nehmen können. 

Der Eigenwille Elénis ist beinah von Anfang an stark spürbar, wenn er sich auch zunächst unbestimmt zeigt und sich erst nach und nach an der Wirklichkeit erproben und konkretisieren wird. Spontane Gegenreaktionen auf Verbote, Ungerechtigkeiten und dergleichen sind bei Jugendlichen überall weitverbreitet, und Eléni bildet da keine Ausnahme. Wohl durch eine frühe Sensiblisierung für das Thema "Identität" bedingt erfolgen sie bei ihr auffallend früh auch auf Schubladisierungsversuche. Von anderen als braves Mädchen, typisch griechisch, typisch deutsch, was immer definiert zu werden ist ihr ein Greuel (Gräuel?), und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich unbeirrt auf den bisweilen mühseligen Weg des Selbstbestimmens zu machen. Sie wählt die Sprache zu ihrem Beruf und wird klinische Linguistin, überwindet das Trauma ihrer ersten Begegnung mit bayrischem Dialekt und lässt sich schließlich in Regensburg und damit, Zufall oder nicht, an dem Wasser, das sie mit der verlorenen Heimatstadt ihrer Großmutter mütterlicherseits verbindet, nieder.
"Heimat" ist über weite Strecken des Buches eher negativ präsent: als großmütterliche Erzählung ihrer Vertreibung, als Skepsis gegenüber fremdem Heimatbegriff oder als Erfahrung des eigenen nirgends völlig Dazugehörens. Doch gegen Ende des Buches kann Eléni an ihren ebenfalls in zwei Sprachen und Welten aufwachsenden Patensohn berichten: "Ich habe mir meine Heimat gewählt. Diese Freiheit haben nur du und ich und alle, die unser Schicksal teilen: Wir dürfen im Herzen unsere Heimat selbst benennen."

"Heimat im Herzen" ist das sehr persönliche Dokument einer Selbstbestimmung vor dem Hintergrund griechischen Gastarbeitermilieus im Deutschland der 70er und 80er Jahre, geschrieben in einer klaren, die vergangenen Stimmungen und Gefühlslagen trefflich wiedergebenden Sprache.

(stro; 08/2008)



Rea Revekka Poulharidou: "Eléni. Heimat im Herzen"
edition buntehunde, 2008. 82 Seiten.

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Ein weiteres Werk der Autorin:

"Traumfängerin - Eine lyrische Reise"
Autorinnenlesung mit Musik
1 Audio-CD
Lohrbär Verlag 2004

Nomen est Omen: Die Autorin fängt Träume ein, verdichtet sie in einer faszinierenden Sprache zu eindrücklichen und ausdrucksstarken Bildern, die den Leserinnen und Lesern darüber hinaus viel Raum für eigenes Träumen lassen.

Es geht in den Gedichten um den Fluss des Lebens, um Liebe, Sehnsucht, Zer­störung und Hoffnung. Rea Revekka Poulharidous Lyrik glänzt durch Flair, Stimmung, originelle Sprachbilder und Tiefe.
Auf der vorliegenden CD werden nun diese Sprachbilder nicht nur fühl-, son­dern auch hörbar. Sebastian Voigts begleitet Rea Poulharidous Lyrik auf dem Klavier, der Claviola und verschiedenen elektronischen Instrumenten. Ver­träumtes Piano, elektronische Geräusche und Elemente aus der Zwölftonmusik treffen aufeinander und verweben sich zu einem Klangteppich mit Ornamenten und Verzierungen, klangfarblichen Abstufungen von bunt bis monochrom, ein­fachen und komplexen Mustern. Mit seinen einfühlsamen Kompositionen ver­steht es Sebastian Voigts kunstfertig, verschiedene Stile sowie Wort und Ton zu einer faszinierenden Einheit zu verschmelzen und damit der Lyrik zu ihrem an­gestammten Recht zurück zu verhelfen: Wie sich Lyrik ja von der Lyra ableitet, dem Saiteninstrument der griechischen Antike, mit dem die alten Griechen ihre – Lyrik eben begleitet haben.

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