James Patterson: "Die 6. Geisel"


Der 6. Fall für den "Club der Ermittlerinnen"

Als ein Unbekannter auf der Del Norte-Fähre in der Bucht von San Fransisco wild um sich zu schießen beginnt, befindet sich unter den Verletzten auch Claire, wie Lieutenant Lindsay Boxer bei ihrem Eintreffen am Tatort feststellen muss. Somit ist erneut ein Mitglied des "Clubs der Ermittlerinnen" ins Visier eines Irren geraten. Claire, die versucht hat, den Wahnsinnigen zu überreden, seine Waffe abzugeben, wurde in die Brust geschossen, was ihren Sohn dazu veranlasste, den Amokschützen zu verfolgen. Dabei ging dessen letzter Schuss gnädigerweise fehl. Die Bilanz nach sechs Schüssen: Vier Tote, eine Schwerverletzte und ein glücklich Verfehlter. Lindsay ist wild entschlossen, den Täter ehestmöglich zu fassen, doch dieser macht ihr einen Strich durch die Rechnung, indem er sich einfach stellt. Vor ihrer Haustür, mit der Waffe als Beweisstück in der Tasche, ganz kleinlaut und unglücklich. Ballistische Untersuchungen und ein von einem Fährenpassagier gedrehtes Video schließen jeden Zweifel an seiner Täterschaft aus, genau wie sein zähneknirschendes Geständnis, dass ihn "die Stimmen in seinem Kopf und aus dem Fernsehen" zu seiner Tat bewegt haben.

Der schnelle Fahndungserfolg, wenn man es denn so nennen möchte, bringt Lindsays Vorgesetzten dazu, ihr ihren häufig geäußerten Wunsch zu erfüllen, wieder mehr auf der Straße arbeiten zu können, wo sie ja offenkundig wirklich die meisten Erfolge erzielt. Sie verliert ihre Lieutenantsstreifen und wird bei gleichem Gehalt wieder als Sergeant geführt. Eine Entwicklung, die sie ziemlich verwirrt - genau wie die immer aufreibender werdende Wochenendbeziehung mit Joe. Hier weiß sie langsam überhaupt nicht mehr, wie sie noch reagieren soll.
Doch schnell wird sie von diesen Problemen abgelenkt, als Madison Tyler, ein junges Mädchen zusammen mit seinem Kindermädchen auf offener Straße entführt wird. Ein Zeuge nimmt aus dem davonrasenden Entführungswagen einen Schuss wahr und sieht, wie eine rote Flüssigkeit gegen eine der Wagenscheiben spritzt. Da die Entführer offensichtlich bereits ziemlich kaltblütig eine Zeugin bereits beseitigt haben - und dies vor den Augen des entführten Kindes - besteht für die Kleine nur sehr geringe Hoffnung.

Zur gleichen Zeit kommt es im Wohnblock Cindys, eines anderen Mitglieds des "Clubs der Ermittlerinnen", zu seltsamen und teilweise tödlichen Angriffen auf Haustiere und Mieter; eine Tatsache, die Lindsay weiter in Atem hält und ihre Nerven immer mehr ausfransen lässt. Und dass Yuki nach dem Herzinfarkt ihres Chefs die Anklagevertretung gegen den Fährenschützen übernehmen muss, während ihr ehemaliger Vorgesetzter die Verteidigung vertritt, macht die Sache nur noch komplizierter.

Wieder steht aufgrund des Prozesses gegen den Amokschützen eine Gerichtsverhandlung im Mittelpunkt eines Romans der Reihe. Dies kommt gefährlich nahe in den Bereich einer strukturellen Formel und wird hoffentlich im nächsten Roman der Reihe nicht wiederholt.
Wer Pattersons Stil kennt, weiß, dass der Autor seinen Protagonisten häufig Moralisches in den Mund legt, allerdings schätzt die Lesergemeinde diesen Zug. Beim dreißigsten Roman schleift sich das allerdings schon ein wenig ab.
Dennoch: Insgesamt ist "Die 6. Geisel", auch wegen der thematischen Breite, durchaus lohnende Lektüre.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2008)


James Patterson: "Die 6. Geisel"
(Originaltitel "The 6th Target")
Übersetzt von Andreas Jäger.
Limes, 2008. 384 Seiten.
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