"Brandauer liest Mozart - 365 Briefe"

(Hörbuchrezension)


"... ich soll etwas gescheutes schreiben und mir fällt nichts gescheides ein ...", sinnierte Mozart in einem seiner Briefe. Dass dem nicht so war, zeigt die vorliegende Gold-Edition "365 Briefe. Brandauer liest Mozart".

Im Mozart-Jahr 2006, zu Ehren dessen 250. Geburtstages, legten viele Verlage eine ganze Reihe von Hörbüchern über Leben und Werk des Salzburger Komponisten-Genies auf. Es gab Mozart-"Downloads", Mozart-Telefonklingeltöne, interaktive "spielereyen" und einen Mozart-Film: Mozart für Kinder, Mozart für Laien, Mozart für Kenner.

Der Trubel hat sich mittlerweile gelegt, das Mozartjahr ist vorbei. Keine "spielerey", keine neue Biografie, kein neuer Film. Trotz der zuweilen arg übertriebenen Mozart-Manie ist es um einige Produktionen auch schade. Denn eines der spannendsten Projekte waren zweifelsohne die täglich im Hörfunk ausgestrahlten, insgesamt 365 Briefe, gelesen von Mozarts Landsmann, dem österreichischen Schauspieler Klaus Maria Brandauer.

Doch halt! Pünktlich ein Jahr nach Brandauers letztem Vortrag bringt Lübbe Audio eine einmalige Sonderedition aller im Rundfunk gelesenen Briefe auf den Markt. Auf zwölf CDs kann die komplette Produktion, dieses Orchesterwerk des geschriebenen und intonierten Wortes, das so "herrrrlich klinget", noch einmal genossen werden.

Dieses literarische Zeugnis gehört zweifelsohne zu den wichtigsten Schlüsseln zu Mozarts Leben und Schaffen und offenbart die vielen Facetten des Komponisten. Mit diesen sehr persönlichen Dokumenten und der faszinierenden Korrespondenz werden nicht nur die wichtigsten Begebenheiten aus Mozarts Leben erzählt, sondern vor dem Hörer entfaltet sich zugleich ein Zeit- und Sittengemälde der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Mit den Opern, Symphonien und kammermusikalischen Kompositionen dieses musikalischen Jahrhundertgenies sind wohl viele vertraut. Wenige jedoch wissen, dass Mozart auch ein Wortkünstler war, auch wenn er es mit der Orthografie nicht so genau nahm. Die Interpunktion verwendete er - im Gegensatz zu seinen kompositorischen Werken - mit beinahe malerischer Freiheit.

War er in der Musik das Genie des richtigen Takts und des unfehlbaren Ausdrucks von Gefühl und schuf Werke von unerreichter Perfektion und Noblesse, so war selbige nebst Feingefühl seine Sache nicht immer. In seinen Briefen paart sich oft pralle Direktheit mit lautmalerischer Fantasie.

Mit dem österreichischen Schauspieler Klaus Maria Brandauer wurde ein geradezu prädestinierter Vortragender gefunden und dadurch ein Treffen der außergewöhnlichen Art arrangiert.
Brandauer zelebriert auf das Vortrefflichste die vielen "Tonarten" von Mozarts Briefen und trifft den Witz, das Übermütige und Kindliche des Virtuosen ganz genau. Brandauer liest nicht einfach vor, sondern er ist der rastlose, der zornige, der naive, der komische, der chaotische, der todkranke und verängstigte Mozart und gibt jedes Gefühl, jedes Gedankenspiel, das in den Briefen steckt, so sinnig wieder, als käme es aus ihm selbst.

Er lässt noch einmal Mozarts Reisen, seine Vater-Beziehung, die Liebe zu seiner Frau Constanze, seinen chronischen Geldmangel und seine täglichen Sorgen und Nöte lebendig werden.

Das Arrangement der Briefe ist geschickt gewählt: Es wird nicht versucht, Mozarts Persönlichkeit auf ein griffiges Schema zu reduzieren, sondern es spiegelt den Komponisten in seiner ganzen, nahezu unbegreiflichen Vielschichtigkeit wider. Fröhlich, übersprudelnd, verärgert oder bei akuten Geldsorgen auch schon einmal hündisch bettelnd, tritt Mozart dem Hörer entgegen.
Auch ist der Briefwechsel nicht chronologisch angelegt, sondern springt ständig in der Zeit vor und zurück.
Bei näherem Hinhören ist allerdings eine raffinierte Struktur verborgen: für jeden Tag des Jahres ist genau ein Brief vorhanden. Eine CD umfasst jeweils den datierten Briefwechsel genau eines Monats (CD 1: 31 Briefe vom 1. bis zum 31. Januar, CD 2: 28 Briefe vom 1. bis 28. Februar usw.). Nur die Jahreszahlen wirbeln "wild" durcheinander. So ungestüm und chaotisch, wie der Lebenswandel des berühmten Salzburgers auch zu seinen Lebzeiten war. 

Den Part der weiblichen Absender übernahm die langjährige Burgschauspielerin Birgit Minichmayr mit ihrer äußerst markanten Stimme. Die Anmoderation - eine Erläuterung und Einführung in den nachfolgenden Brief - bestreitet Ulla Evrahr großartig.

Fazit:
Brandauer liest virtuos aus 365 Briefen von und für Mozart und interpretiert die Briefvorlage dabei auf seine ganz eigene Weise. Als Hörer genießt man seinen spritzigen Ton.
Ein einmaliges, einfach charmantes Hörerlebnis.
"... an alle gut Freund und Freündinnen ... einen ganzen Arsch voller Empfehlungen ..." (Wolfgang Amadé Mozart)

(Heike Geilen; 02/2008)


"Brandauer liest Mozart - 365 Briefe"
Lübbe Audio, 2008. 12 CDs.
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