Frido Mann: "Achterbahn"

Ein Lebensweg


Die Kunst des Loslassens
Der Lieblingsenkel des "Zauberers" schildert sein unstetes Leben im Bann eines allmächtigen Namens - dem seines Großvaters Thomas Mann

Am Ende der Autobiografie des ersten Enkels Thomas Manns, des 1940 im Kalifornischen Exil geborenen Fridolin Mann, ist ein Gespräch mit seinem Sohn Stefan wiedergegeben. Auf die Frage, ob er gegenüber seinem Großvater, dessen ausgesprochener Lieblingsenkel er war, große Dankbarkeit empfindet, antwortet Frido: "Ich weiß nicht, was ich ohne ihn wäre. Denn für mich war er offensichtlich ein sehr viel größerer Segen als für seine drei Söhne, möglicherweise auch mehr als für seine Töchter. Aber es sind eigentlich nur er und meine Großmutter Katia, denen ich bis heute dankbar bin."

In diesen Worten schwingt eine große Liebe, aber auch Verbitterung und Wehmut mit. Drei Sätze, die eigentlich das gesamte Leben Frido Manns umschreiben, vergleichbar mit einer Fahrt auf der Achterbahn: ein permanenter Wechsel zwischen Hoch und Tief, ein Auf und Ab zwischen Himmel und Erde, und ständig versuchen die Fliehkräfte, den eigenen Wagen aus der Bahn zu werfen. Und genau dieses spektakuläre Gefährt hat er zum Titel seiner Autobiografie erkoren.

Seinem Buch voran stellt er nebenstehendes Gedicht von Karl Kraus, "Traum vom Fliegen", das man erst nach der Lektüre in seiner vollen Tragweite erschließt und dann auch versteht, warum Frido Mann es gewählt hat, ist es doch prägnant für seinen ganzen bisherigen Lebensweg.

Traum vom Fliegen

Und wieder mir träumte, ich wäre geflogen,
und diesesmal war es doch sicherlich wahr,
denn ich hatte so leicht wie die Luft ja gewogen
und hatte die Knie an den Körper gezogen,
und es ging wie im Flug, im beherztesten Bogen
hoch über schwergewichtigen Schar,
es war keine Täuschung, ich war nicht betrogen,
es flogen die Stunden, die Tage, das Jahr.

Mit fliegenden Hoffnungen vollgesogen,
so wach' ich mit müden Gliedern auf.
Zu Lande ist Leben; und angelogen,
vom leichtesten Trug an der Nase gezogen,
aus allen Himmeln zur Erde geflogen,
da lieg' ich, da liegen die Lügen zuhauf.
Und trotzdem bleib' ich dem Traume gewogen,
so läuft er sich leichter, der Lebenslauf.

Steter Wechsel von Licht und Schatten
Hatten bereits die Kinder des "Zauberers" allesamt Probleme, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, so ging diese schwere Bürde - das sogenannte Enkel-Klischee - auch auf Frido über, der zeitlebens - jedoch einseitig - an seinem übermächtigen Großvater gemessen wurde und immer noch wird und dementsprechend überhöhte Erwartungen weckt.

Nach den ersten, wohl augenscheinlich glücklichsten Jahren in Kalifornien, aber schon damals mit einem völlig unberechenbaren und extremen Stimmungsschwankungen unterlegenen Vater Michael Mann und der gleichmäßig unterkühlten und eher desinteressiert wirkenden Art seiner Mutter Greta, beginnt ein Leben mit ständig wechselnden Wohnsitzen und Bezugspersonen, in dem das Wort Elternliebe kaum auftaucht.
Dieses Unstete setzt sich gleichfalls in Frido Manns späteren Jahren fort. Sein Berufsweg reicht vom Dirigenten über den katholischen Theologen zum klinischen Psychologen (um "etwas über die 'Seele' meiner Familie, meines Vaters, und damit auch etwas über mich selbst zu erfahren"). Letztlich wurde er zum freien Schriftsteller. Auch studierte er einige Semester Medizin.

Dabei war ihm das Gutbürgerliche stets suspekt. Ja, er entdeckte sogar die DDR für sich und pendelte eine Zeitlang zwischen West und Ost, lehrte Psychologie in Leipzig, habilitierte an der dortigen Karl Marx Universität - ganz zum Entsetzen seines Onkels Golo.
Ein ständiges Suchen und auch Weglaufen vor seiner allmächtigen Familie. Ein steter Wechsel von Licht und Schatten, Hoffnung und Verzweiflung, Schuld und Vergebung - auch seine Frau sollte er zweimal heiraten.

Zeitreise, Bestandsaufnahme und therapeutische Verarbeitung
Nicht stringent chronologisch durchschreitet der Leser Frido Manns Lebensweg, sondern es ist eher ein Ineinanderschwimmen von Gegenwart und Vergangenheit, beinahe protokollartig, aber immer ungeheuer lesenswert. Viele berühmte Namen kreuzen seine Bahn: so zum Beispiel der Dirigent Bruno Walter, der katholische Theologe Karl Rahner, der Psychologe Reinhard Tausch und auch der Physiker und Philosoph Werner Heisenberg, dessen Schwiegersohn er wurde.
Man liest über Erika und Klaus Mann, über Golo, Fridos Patenonkel, oder die familiäre Außenseiterin Monika. Doch Klatsch und Tratsch erwartet man vergeblich. Frido Mann verschweigt zwar nicht alle Macken, Ecken und Kanten seiner Verwandtschaft, doch er erzählt sie stets unprätentiös und weiß sie geschickt in den ganz normalen Alltag zu integrieren.

Dieses Buch ist nicht nur eine Zeitreise, sondern gleichfalls eine Bestandsaufnahme und eine therapeutische Verarbeitung seiner traumatischen Erlebnisse in der Großfamilie Mann.
Bei dem eingangs erwähnten Gespräch mit seinem Sohn wirft dieser noch eine andere Frage auf: Wo er - Frido Mann - nun seinen Platz auf der Welt sieht, als Theologe, als Psychologe oder als Schriftsteller. "Ich möchte mich nicht gern ausschließlich auf eines dieser Gebiete festlegen lassen", antwortet dieser, "Aber mein Wunsch ist es, bei jeder möglichen Gelegenheit engagierte und verantwortungsbewusste Menschen aus den Bereichen Religion und Ethik, Kunst, Naturwissenschaft und Naturschutz an einen Tisch zu bringen und sie dazu zu ermutigen, einen allgemeinen Nenner zu finden."

Fazit:

Ein wirklich bemerkenswertes Leben schildert Thomas Manns Lieblingsenkel.
Nun ist sicherlich schon jede Menge über die Familie Mann geschrieben worden, Frido Mann fügt jedoch ein ganz eigenes, schonungslos offenes und zudem spannendes Kapitel hinzu, mit jeder Menge durchaus noch unbekannter biografischer und zeitgeschichtlicher Details.

(Heike Geilen; 06/2008)


Frido Mann: "Achterbahn. Ein Lebensweg"
Rowohlt Reinbek, 2008. 383 Seiten.
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