Henning Mankell: "Der Chinese"


Der Stellenwert Chinas als Wirtschaftsmacht wächst von Jahr zu Jahr, und die Ausdehnung der multinationalen Aktivitäten nach Afrika hat sich längst etabliert. Das Kuriosum ist hierbei, dass China nach wie vor den Status eines "Entwicklungslandes" aufweist und ein bedeutender Anteil der Bevölkerung über schlechte bis keine Bildung verfügt. Zudem ist das Lohnniveau sehr niedrig. Das Vorhandensein von Arbeitsplätzen kann nicht darüber hinwegtäuschen, unter welchen Bedingungen Millionen von Arbeitern in Fabriken und Industriebetrieben ihr Geld verdienen. Von Arbeitsrecht kann keine Rede sein, und im Zuge des Baus moderner Stadien für die Olympischen Spiele in Peking sind nachweislich Menschen ums Leben gekommen.

Henning Mankell beschäftigt sich in seinem Roman nur ansatzweise mit der Problematik, die durch die Ausweitung der Aktivitäten chinesischer multinationaler Unternehmen nach Afrika besteht. Er vermeidet es, eine "Wertung" vorzunehmen, sondern beschränkt sich auf die Darstellung der skrupellosen chinesischen Elite. Somit entstehen vor dem geistigen Auge des Lesers keine neuen Bilder, welche er erweitern könnte. Und das ist schade.

Gleich auf den ersten Seiten wird davon berichtet, dass die Bevölkerung eines kleinen Dorfes in Schweden nahezu ausgelöscht wurde. Die mit einer Ausnahme sehr alten Menschen wurden bestialisch massakriert. Auch die Haustiere entgingen dem scharfen Messer nicht. Eine schwedische Richterin entdeckt "zufällig" einen Zusammenhang mit ihren Pflegeeltern, mischt sich schnell in die Ermittlungen ein, und agiert schließlich auf eigene Faust. Birgitta Roslin wird sich zunächst als einzige Figur der Geschichte herausstellen, die ein wenig Ecken und Kanten hat. Ein Intermezzo ausgenommen, ändert sich bis zum Ende des Romans daran nichts. Irgendwie ist alles zu glatt, zu einseitig in eine Richtung hin auf dem Reißbrett gezeichnet. Arme chinesische Bauern sollen zu Millionen auf dem afrikanischen Kontinent eingesetzt werden, um den fruchtbaren Boden zu bearbeiten. Lang und breit werden Mao und seine Großtaten in Zusammenhang mit Birgitta Roslin beschrieben, die einst eine "Revolutionärin" war. Die Verbindung zwischen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Chinas misslingt gründlich. Jene Phrasen, die ein Funktionär der chinesischen Elite drischt, erzeugen eine gute Stunde Langeweile, und wer denn nun schließlich tatsächlich die 19 Menschen umgebracht hat, und in welcher Weise dies mit Ereignissen aus den Jahren 1863 bis 1868 in Verbindung gebracht werden kann, interessiert wohl nur den aufmerksamen Leser, der unbedingt eine Lösung " eines Kriminalfalls" auf dem Tablett serviert bekommen möchte.

Tatsächlich muss konstatiert werden, dass es sich - und der Rezensent weiß natürlich nicht, ob sich dies objektivieren lässt - um einen der schwächsten, wenn nicht überhaupt den schwächsten Roman von Henning Mankell handelt. Der Autor hat sich viel vorgenommen, aber das Thema ist ihm entweder über den Kopf gewachsen oder er hat die falschen Mittel angewandt, um sich dieser Materie zu widmen. Manchmal arbeitet er mit kleinen essayistischen Einsprengseln, die immer in Zusammenhang mit irgendeiner agierenden Person stehen. Durch diese Vorgangsweise entsteht der schon angedeutete Eindruck für den Leser, dass sehr leicht berechenbare Figuren auf dem "chinesischen Schachbrett" stehen und sich um den Einfluss der chinesischen Elite auf die Weltwirtschaft streiten. Der Ansatz, die "Neukolonisierung" Afrikas durch chinesische Unternehmens-Imperien als Stoff für einen Roman herzunehmen, war womöglich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wer sich darüber genauer informieren will, ist mit einem Sachbuch deutlich besser bedient.

Im Grunde bedarf es nicht vieler Worte, um diese herbe Enttäuschung, welche ein an und für sich ausgezeichneter Autor fabriziert hat, zu beschreiben. Dennoch will ich auch auf den einzigen positiven Aspekt zu schreiben kommen. Der zweite Teil des Romans, der nur wenig mehr als hundert Seiten aufweist, beschreibt auf bestechende Weise die traurige Geschichte eines jungen chinesischen Mannes, der gemeinsam mit seinen zwei Brüdern auf ein Schiff verschleppt, in die USA verbracht und für den Eisenbahnbau herangezogen wird. Das Schicksal dieses Mannes ist erschütternd. Er wird für die schwersten Arbeiten herangezogen, und die Verbindung zu Schweden sowie Ereignissen, die 140 Jahre später eintreten, bilden sozusagen den "Kitt" des Romans. Chinesische Arbeiter wurden in den hier beschriebenen 1860er-Jahren wie Dreck behandelt, und manche der geschundenen Menschen begingen in ihrer Verzweiflung Suizid. Der junge Mann überlebt, und Birgitta Roslin ist es übrigens, die diese Aufzeichnungen bei ihren "Privatuntersuchungen" gefunden und illegalerweise in ihren Besitz gebracht hat.

Abgesehen von der Schilderung eines Sklavendaseins und den diesbezüglichen Hintergründen zieht sich die Geschichte teilweise wie Kaugummi dahin, und der "Urlaubsaufenthalt" der Hauptprotagonistin in Peking sowie ihre Verstrickungen in Machenschaften der - womöglich - "chinesischen Mafia" sind so hanebüchen, dass es ein Akt des unerschütterlichen Willens des Lesers sein kann, diese Absurditäten nicht durch das Zuklappen des Buches freiwillig zu beenden. Der Rezensent hat als bislang treuer Leser der meisten Romane von Henning Mankell bis zum bitteren Ende der Geschichten durchgehalten und kann Lesern dieser Rezension nur empfehlen, sich mit anderen Mankell-Büchern zu beschäftigen, die womöglich noch ungelesen sind.
"Der Chinese" erreicht nur in Ansätzen jene Qualitäten, welche Mankell-Leser sonst gewohnt sein mögen. Also, wenn schon, denn schon: Setzen Sie in jedem Fall keine rosarote Brille auf, wenn Sie sich doch dafür entscheiden, dieses Buch zu lesen …

(Jürgen Heimlich; 06/2008)


Henning Mankell: "Der Chinese"
(Originaltitel "Kinesen")
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Gebundene Ausgabe:
Zsolnay, 2008. 608 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Taschenbuchausgabe:
dtv, 2010. 608 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen