Walter Thirring: "Kosmische Impressionen"

Gottes Spuren in den Naturgesetzen


Gottes Hand oder das Wirken des Zufalls?

Naturwissenschaft und Religion schotten sich nicht länger voneinander ab oder stehen sich gar feindselig gegenüber, sondern durchdringen und befruchten einander. Türen, die im Zeitalter der Aufklärung geschlossen wurden, sind längst wieder entriegelt, das Tor zur Transzendenz steht nun weiter offen denn je. Um dieses seit jeher brisante Verhältnis zwischen Religion und Naturwissenschaft geht es in Walter Thirrings "Kosmischen Impressionen", vor allem um die Frage, ob die Entstehung der Welt und somit auch die Evolution des Lebens auf das Wirken des Zufalls zurückgeht, oder ob Gottes Hand mit dabei im Spiel war. Walter Thirring, einer der bedeutendsten Wissenschaftler und Denker unserer Zeit, nimmt hier recht eindeutig Stellung zu dieser existenziellen Frage. Im Bauplan der Natur, der Materie und in den diesem Bauplan zugrunde liegenden Gesetzen, versucht er, seinen Lesern die Spuren Gottes kenntlich zu machen. Einen Gottesbeweis will und kann er aber damit nicht liefern. Thirring: "Wie können wir uns anmaßen, Gott in unserem logischen Gespinst einzufangen? Deswegen wird der Leser in diesem Buch keinen Gottesbeweis finden."

Was er dort allerdings findet, und dies nicht unbedingt immer zu seinem ungetrübten Vergnügen, das ist ein regelrechter Wust von Zahlen, Formeln und Gleichungen. Denn nach Walter Thirrings Überzeugung ist der so wunderbare Bauplan des Kosmos in der Sprache der Mathematik angelegt und von daher den meisten Menschen nur schwer zugänglich. Damit mag er wohl Recht haben. Und wer "nur" über ein Basis-Wissen an Mathematik verfügt, wie es etwa für die Matura oder das Abitur benötigt wird, Kenntnisse, die ja nach all den Jahren auch nicht mehr jedem im vollen Umfange präsent sind, der wird vermutlich durch Thirrings Formelsalat hoffnungslos überfordert sein. Wer also sollen die Leser dieses Buches sein? Fachkollegen und Mathematikstudenten?

In seinem Vorwort erhebt Walter Thirring dann allerdings den Anspruch, seine tiefgehenden Überlegungen mittels dieses Buches einem breiten Leserkreis verständlich machen zu wollen. Er kann diesem selbst gesetzten Anspruch aber nur selten gerecht werden. Seine Maxime, von der er auch in diesem Buch kaum einmal abweicht, hat er auf Seite 245 selbst ausformuliert. Dort schreibt Thirring: "Natürlich könnte man ... auch am Computer ausrechnen, doch für den mathematischen Ästheten ist das nicht der richtige Weg. Für den ist die Eleganz der Gedankenführung das wichtige, der Weg das Ziel." Fragt sich nur, wie viele Leser ihm auf seinen verschlungenen Wegen folgen können, ohne sich dabei im Formelgestrüpp zu verlieren. Klar, man muss nicht alles verstehen, nicht jede Gleichung nachvollziehen können, um Gewinn aus diesem Buch zu ziehen. Und der Autor empfiehlt seinen Lesern denn auch, die schwierigen Passagen einfach zu übergehen. Trotzdem wird das Buch für mein Empfinden zu sehr von der Sprache der Mathematik dominiert. Ganz fraglos ist es überaus lesenswert und auch sehr interessant, was Walter Thirring, einer der hervorragendsten Wissenschaftler auf dem Gebiet der theoretischen Physik, uns mitzuteilen hat. Walter Thirring hat auf seinem Fachgebiet immerhin Weltruhm erlangt, und er ist eine der wenigen noch lebenden Persönlichkeiten, die noch mit Einstein, Heisenberg, Pauli oder Schrödinger in Gedankenaustausch standen beziehungsweise gearbeitet haben.

Neben der phasenweise vorherrschenden Unverständlichkeit für Nicht-Mathematiker sind Thirrings "Kosmische Impressionen" noch von einer merkwürdigen Ambivalenz gekennzeichnet. Auf der einen Seite bombardiert der Autor seine Leser geradezu mit Formeln und Gleichungen aus dem mathematischen Arsenal, auf der anderen Seite erwecken lockere, zum Teil auch witzig-originelle, ganz im populärwissenschaftlichen Jargon gehaltene Abschnitte sowie einige fiktive, bisweilen kindisch-naiv anmutende Dialoge den Eindruck, als habe Walter Thirring ein Buch für Kinder schreiben wollen. Der eine oder andere Leser mag sich wundern über Gespräche zwischen einem Pfiffikus und einem Simplizissimus, über die Zwiesprache der Planeten Neptun und Uranus oder über ein für meine Begriffe geradezu lächerlich wirkendes Kurzdrama in drei abstrusen Akten, worin Charles, Bob und Alice über die Entwicklung ihrer Kontostände palavern. Anhand dieser Diskussion sollen dem Leser die Prinzipien der Entropie verdeutlicht werden, was aber zumindest beim Rezensenten leider wenig gefruchtet hat. Vielleicht aber sollte man das Buch - wie eigentlich jedes lesenswerte Buch - mehrmals lesen, was schon Karl Kraus angemahnt hat. Denn trotz aller Unverständlichkeit (natürlich nur für den in höherer Mathematik nicht so Bewanderten) handelt es sich bei den "Kosmischen Impressionen" Walter Thirrings doch letztendlich um ein lesenswertes Buch.

(Werner Fletcher; 05/2008)


Walter Thirring: "Kosmische Impressionen - Gottes Spuren in den Naturgesetzen"
Seifert Verlag, 2008. 300 Seiten.
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Univ.-Prof. Dr. Walter Thirring, geboren 1927, einer der herausragenden Vertreter der Theoretischen Physik unserer Zeit. 1953/54 Member of the Princeton Institute of Advanced Study, Bekanntschaft mit Schrödinger, Heisenberg, Einstein, Pauli. 1956/57 Visiting Professor am M.I.T., Cambridge, anschließend University of Washington, Seattle. Dann Lehrtätigkeit in Bern und Wien. 1968-71 Direktor des Theoretical Department CERN. Rund 150 wissenschaftliche Publikationen, zahlreiche internationale Auszeichnungen, u.a. "Eötvös-Medaille" 1967, "Erwin-Schrödinger-Preis", "Max-Planck-Medaille", Ehrendoktorat der Comenius-Universität Bratislava, "Henri-Poincaré-Preis" der Int. Association of Mathematical Physics. Thirrings große Liebe gilt der Musik, und hier besonders der Orgel und der Komposition. Bei Seifert zuletzt erschienen: Faustmann/Thirring: "Einstein entformelt. Wie ihm ein Teenager auf die Schliche kam" (2007).