Stephen King: "Wahn"


Ein Mann sucht auf einer einsamen Insel Trost in der Malerei. Die Insel aber übt eine dämonische Macht aus ...

Ed Freemantle hat bei einem Unfall auf einer Baustelle, bei dem ein Kran sein Auto eingedrückt hat, seinen rechten Arm, einen Teil der Funktionen seines rechten Beins, die Unversehrtheit seiner Rippen, das rechte Auge und 30 Prozent der Sehkraft auf dem linke Auge eingebüßt. Ein Schädelhirntrauma hat darüber hinaus sein Gedächtnis und sein Verhalten so sehr geschädigt, dass er zweimal beinahe seine Frau umgebracht hat, die sich schließlich von ihm trennte.

Im Zuge der Verhandlungen über die außergerichtliche Einigung bei der Scheidung gibt Ed das Familienhaus auf und zieht in das Haus Big Pink auf der Insel Duma Keys auf den Florida Keys. Dort beginnt er zu zeichnen, und das scheint seine geistige und körperliche Gesundung genauso zu beschleunigen, wie die täglich länger werdenden Spaziergänge am Strand vor dem Haus. Diese Spaziergänge führen ihn schließlich zu einem Nachbarhaus, das seiner Vermieterin, Miss Elizabeth Eastlake, gehört, die dort von dem ebenfalls vom Leben geschlagenen Herrn Wireman betreut wird.

Während Edgar sich diesem Pärchen immer enger verbunden fühlt, lernt er über die Zeichnerei, die schließlich in Malerei übergeht, immer mehr über die Geschichte der Familie Eastlake und auch über Duma Keys, und je mehr er lernt, desto beunruhigender wird es für ihn in dem großen alten Haus am Meer. Doch er hat gar nicht so viele Gelegenheiten, darüber nachzudenken, denn die Bilder, die er malt - und die in der Fachwelt mehr und mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen - scheinen des Öfteren prophetische Eigenschaften zu besitzen, und schließlich stellt er fest, dass er bei Konzentration auf seinen fehlenden rechten Arm sogar Dinge durch die Malerei direkt beeinflussen kann. Und zwar in erstaunlich großem Maßstab. Doch diese Macht scheint sich nur auf Duma Keys so stark zu zeigen, was offenbar mit Vorkommnissen innerhalb der Familiengeschichte der Eastlakes zusammenhängt. Über diese Jahrzehnte zurückliegenden Ereignisse kann die von Alzheimer geschlagene Libbit, wie sich Elizabeth Eastlake einst nannte, nicht mehr allzu viel erzählen. Aber irgendetwas scheint wieder erwacht zu sein, das nicht nur die Bewohner der Insel bedroht, sondern auch Edgars Familie und seine Freunde.

Stephen Kings Roman "Wahn" steht in derselben Tradition wie "Love", und der Horror baut sich sehr allmählich auf, während die drei Hauptcharaktere immer klarere Gestalten annehmen, was vermutlich wieder dazu führt, dass einige Kritiker das Buch als langweilig abstempeln werden. Aber "Wahn" ist handwerklich hervorragend gelungen und sprachlich auch in der Übersetzung eine wahre Freude, so dass man wirklich von "Horrorliteratur" sprechen kann.
Wie King in einem Interview bemerkte, hat ihn der Umzug nach Florida auch in seinem Arbeiten verändert, und so hat die neue Umgebung seine Darstellung im wahrsten Sinne des Wortes in ein neues Licht gerückt. Ein wenig klingen nun Ahnungen von Tennessee Williams durch, was der Horrorgeschichte einen ganz eigenen Reiz verleiht.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2008)


Stephen King: "Wahn"
(Originaltitel "Duma Key")
Übersetzt von Wulf Bergner.
Heyne, 2008. 896 Seiten.
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Hörbuch, gesprochen von David Nathan:
Random House Audio, 2008. 20 Audio-CDs; Laufzeit: ca. 1400 Minuten.
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