Evelyn Grill: "Das römische Licht"


"In Rom muss man glauben!"
Evelyn Grill spielt in ihrem Roman "Das römische Licht" meisterhaft mit literarischen Perspektiven.


"Mir geht’s darum, wie Menschen von anderen umgeformt und umfunktioniert werden, damit sie ins Schema passen", erzählte die Autorin in einem Interview. Ihre bisher erschienenen Romane offenbaren meist die dunklen und bizarren Seiten menschlicher Existenz, beschäftigen sich oft mit den Außenseitern der Gesellschaft, mit Menschen, die von ihr abgelehnt werden oder sich selbst von ihr fernhalten.

So zeichnete sie in "Der Sammler" (erschienen 2006) das Bild eines Mannes mit "Messie-Syndrom" und in ihrem beachtenswerten Roman "Wilma" (1994, neu aufgelegt 2007) das Leben und Sterben eines geistig behinderten fünfzehnjährigen Mädchens. Aber auch in die Kunstszene hat Grill bereits literarisch "hineingerochen". "Schöne Künste" (2007) zum Beispiel offenbarte sich als Kriminalroman und gleichzeitige Satire auf den modernen Kunstbetrieb. Der Blick in die Abgründe der menschlichen Seele war aber auch hier deutlich spürbar.

Mit "Das römische Licht" hat die österreichische Schriftstellerin, die in Freiburg im Breisgau lebt und arbeitet, einen neuen Roman vorgelegt. Dieser scheint eine Melange aus ihren vergangen Werken zu sein: ein Buch, das zwischen Künstler-, Familien- und Kriminalroman changiert. Subtil hat sie ihre Protagonisten dieses Mal gezeichnet, ihr Ausgegrenztsein, ihre Isoliertheit ist nicht vordergründig spürbar. Doch Abgründe, verkrüppelte Kommunikationsformen, Bösartigkeiten und Ungerechtigkeiten sind unterschwellig vorhanden. Einsame Wesen sind sie mehr oder weniger allesamt.

Derweil beginnt alles so vielversprechend. Xenia hat ein Stipendium bekommen. Im vielgerühmten römischen Licht erhofft sich die 34-jährige abstrakt-expressionistische Malerin den ersehnten Durchbruch in der Künstlerszene. Gemeinsam mit ihrem Mitstipendiaten, einem hässlich-unscheinbaren Schriftsteller, teilt sie sich ein Atelier. "Ich war selbst drei Mal als Stipendiatin dort. Also habe ich das 'Atelier Austria' benutzt, um die Handlung dort anzusiedeln", berichtete Grill in einem Interview.
Obwohl sich durch die Anwesenheit des von Selbstzweifeln und einer Schreibblockade geplagten Schriftstellers die erhoffte Ruhe nicht einzustellen scheint, bleibt immer noch die unglaubliche Sphäre, die Ausstrahlung der Ewigen Stadt. "Da kannst du die Augen aufreißen, durch die Via di Tor Millina gehen und auf die Piazza Navona, kannst dich hinstellen auf diesen Platz und glücklich sein wollen beim Anblick der Brunnen, der Farben, des Lichts. (...) Ein Licht ist das, das römische Licht!" Jeder, der schon einmal diese "imperiale barocke Schönheit" besucht hat, kann sich in Xenias Empfindungen hineinfühlen.

"Das römische Licht war eine große Täuscherin, es verstärkte das Schöne und betonte das Hässliche."
Doch kaum angekommen, senkt sich eine schwarze Wolke über die glitzernden Wellen des Tibers. Ein Anruf zerstört die malerische Aura. Xenias ältere Schwester Lisa teilt ihr mit, dass die Mutter - eine erfolgreiche Schriftstellerin - im Koma liegt. Sie bittet Xenia, nach Hause zu kommen. Doch diese weigert sich, ihren Romaufenthalt abzubrechen. Zu tief sitzt der Stachel eines Kindheitstraumas: "Ich wundere mich, dass du sagst, wir sollten zur Stelle sein, wir, ihre beiden Töchter, die sie verlassen hat, seinerzeit, weißt du noch, das weißt du doch noch, wegen eines anderen Mannes. Wir hätten sie noch gebraucht, weiß Gott, wie wir sie gebraucht hätten, aber immer ist sie auf und davon, wenn wir sie gebraucht hätten."
Xenia bleibt. Doch fortan schleichen sich unschöne Erinnerungen in ihr Bewusstsein und lähmen ihren schöpferischen Geist. "Rom, dieses verdammte römische Licht. Es erdrückt mich."

Doch da betritt Alma - im wahrsten Sinne des Wortes - die Bühne. Die faszinierende attraktive Starfotografin, die eine unglaublich selbstsichere Aura umgibt, ist die Dritte im Stipendiatenbund. Eine tiefe Verbundenheit scheint sich zwischen beiden zu entwickeln. Sie planen gar eine gemeinsame Ausstellung. Alma macht Xenia mit dem Erfolgsautor Nico Voglio bekannt, dessen Gesicht sie abstößt, aber auch fasziniert. Eine mysteriöse Aura scheint ihn zu umgeben: "Grausamkeit, Wolllust, Liebe, Gier, Ekel und Verzweiflung las ich in seinen Zügen." Auch als Alma anderntags spurlos verschwindet und verschollen bleibt, scheint ein beinahe verzweifelter Kreativitätsschub von Alma Besitz zu ergreifen.
Doch ihre Schwester in Österreich lässt nicht locker ...

Evelyn Grill versteht es wiederum meisterhaft, mit sparsamen Strichen die Spannung langsam und kontinuierlich zu steigern. Dabei hat sie eine unnachahmliche Gabe, die Charaktere ihrer Figuren messerscharf zu sezieren, wobei oft Monströses und Abscheuliches bloßgelegt wird, obwohl dieses Mal ein leiserer, subtilerer Ton vorherrscht. "Es stimmt schon, ich habe große Lust daran und Spaß dabei, Grausliches zu erfinden. Normale Menschen interessieren mich nicht. Deshalb erschaffe ich mir diese kriminalistisch oszillierenden Menschen eben selbst", sagte die Autorin.
Eine vorgefertigte Lösung wird letztendlich nicht präsentiert. Hier ist es am Leser, zu werten und zu hinterfragen. Aber gerade das macht diesen Roman zu einem anspruchsvollen feinen Lesegenuss, bei dem die scheinbar einfache Handlung erst bei genauerer Betrachtung eine erstaunliche Bedeutungsdichte aufweist.

Fazit:
"Das römische Licht" ist ein spannender und subtil-hintergründiger Entwicklungsroman über Vergangenheit und Gegenwart, Erinnern und Vergessen und über die Kraft des Alleinseins sowie den Fluch des Alleingelassenwerdens - ein stilles, nachhaltiges und sehr lesenswertes Werk.

(Heike Geilen; 11/2008)


Evelyn Grill: "Das römische Licht"
Residenz Verlag, 2008. 236 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Zwei weitere Bücher der Autorin:

"Das Antwerpener Testament"

Ein Jahrhundert, eine Familie, eine Ehe. Und nichts als Lügen.
Als Henriette Stanley stirbt, ist die Familie, die sich um ihr Grab versammelt, schon nicht mehr groß: Da ist Harry, ihr "geistesgestörter" Sohn, auf dem einst die Hoffnungen der Familie, Reeder aus Antwerpen, lagen. Da ist ihre Tochter Ann mit ihrem deutschen Mann, deren Ehe Henriette nicht verhindern konnte, obwohl sie die Verbindung nach dem Krieg um ihr Erbe aus Belgien gebracht hat. Und da ist die Schwester ihres Mannes, der vor vielen Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Niemand spricht mit ihr, aber sie allein weiß, was aus ihrem Bruder geworden ist und was in dem Testament aus Antwerpen wirklich gestanden ist. Und sie weiß auch, dass jede Anstrengung, vergessen zu wollen, vergebens ist.
Dieser Roman ist ein großes Gemälde, und Evelyn Grill beweist darin ihre ganze Meisterschaft. Sie erzählt die Geschichte einer Ehe, den Roman einer Familie voller Risse, in denen die Abgründe eines ganzen Jahrhunderts erkennbar werden. (Residenz Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

"Das römische Licht"
zur Rezension ...