Hans Günter Gassen: "Das Gehirn"


Hervorragend gelungene Darstellung relativ komplizierter Sachverhalte

Buchstäblich von der ersten bis zur letzten Seite nimmt dieses faszinierende Buch Sinne und Aufmerksamkeit des Lesers in Beschlag. Ein vorbildlich gestaltetes Werk, das uneingeschränktes Lob verdient. Autor und Verlag ist es mit diesem Werk gelungen, höchste Ansprüche zu erfüllen, beinahe möchte ich sagen, dem Idealbild eines wissenschaftlichen Sachbuches Gestalt zu geben. Das beinhaltet sowohl den Text als auch die hervorragenden Grafiken. Eine beeindruckende Symbiose, die Wort und Bild da zum Wohle und Nutzen des Lesers eingegangen sind.

In verständlichem und doch exakt wissenschaftlich gehaltenem Stil wird die Vielschichtigkeit des Themenkomplexes rund um das Gehirn aufgefächert, ohne dabei den Blick für das Ganze zu verlieren. Allerdings ist Gassens Buch nicht das, was man gewöhnlich unter einem populärwissenschaftlichen Buch zu verstehen hat. Es handelt sich hier mehr um eine fundierte Studienausgabe, um ein Werk, das eindeutigen Lehrbuchcharakter aufweist, mit seiner Fülle an Informationen aber auch als eine Art Nachschlagewerk benutzt werden kann, wobei nicht zuletzt das ausführliche Stichwort-Register dem Leser sehr zugute kommt. Es ist zudem ein Buch, das von Anfang an das Interesse des Lesers weckt und wach hält, um darüber hinaus auch noch Freude am Lernen zu vermitteln. Obwohl die Aufnahme der hier zu vermittelnden Informationen dem Leser nicht immer leicht gemacht wird, aber das liegt eben an den zum Teil recht komplizierten Sachverhalten, die hier behandelt werden. Die grafischen Darstellungen, die in ihrer Anschaulichkeit wirklich nichts zu wünschen übrig lassen, tragen wesentlich dazu bei, das Verständnis zu erleichtern, so dass auch ein naturwissenschaftlich-biologisch weniger geschulter Leser das Buch mit Gewinn lesen kann. Hinweise auf weiterführende Literatur folgen jeweils am Schluss eines jeden Kapitels, was ebenfalls begrüßenswert ist.

Der Autor hat seinen Text übersichtlich in 19 Kapitel gegliedert, die Schwerpunkt-Themen behandeln wie beispielsweise die Evolution des Gehirns, die Geschichte der Hirnforschung, Aufbau von Gehirn und Nervenzellen, die Funktion des Gedächtnisses, Sinne, Hormone, Neurogenetik, das Wunder der Sprache, Schlaf und Traum, die Erkrankungen des Gehirns, das zur Zeit viel und kontrovers diskutierte Thema "Freier Wille", und zuletzt riskiert er dann noch einen Ausblick in die Zukunft der Hirnforschung.

In diesem letzen Kapitel, das mögliche Perspektiven für die Zukunft aufzeigt, schreibt Gassen unter anderem, die Zeit sei nun reif für neue grundlegende oder gar revolutionäre Erkenntnisse, es sei zwar in den letzten Jahren ein Berg von Fakten aufgehäuft worden, doch der Funke für wirklich bahnbrechende neue Erkenntnisse habe noch nicht gezündet. Und stets müsse man sich vor Augen halten, dass nicht alles bisher Erforschte und Niedergeschriebene der Weisheit letzter Schluss ist, sondern dass im Gegenteil gerade in der Neurowissenschaft eine Meinung zu einem Faktum werden, und eine bislang unbestrittene Erkenntnis schnell wieder in Frage gestellt werden kann. Selbstverständlich wirft Hans Günter Gassen auch noch einen Blick in den wuchernden Fantasiegarten der Utopisten, die sich mit künstlicher Intelligenz und ähnlichen Dingen befassen, um zu seiner persönlichen Einschätzung zu kommen: "Blicken wir zurück auf 3000 Jahre Hirnforschung, so kann man den Optimismus und die bedingungslose Fortschrittsgläubigkeit der Forscher im Bereich 'Künstliche Intelligenz' nicht teilen. Philosophen weisen uns zu Recht darauf hin, dass sich ein System nicht selbst entschlüsseln kann, d.h., die Grundlagen von Bewusstsein können von uns weder verstanden noch verbessert werden." Aber vielleicht werden die Fortschrittsgläubigen ja die eher skeptischen Philosophen eines Tages Lügen strafen.

Mit einer Mahnung und einem Appell an die Verantwortlichkeit eines Jeden beschließt Hans Günter Gassen sein exzellentes Buch. Er beklagt, dass der Weg der Gentechnik nicht von der Ethik sondern vom Kommerz bestimmt wird und gibt zu bedenken, dass sich die Gentechnik im Vergleich zur anstehenden Neurotechnik nur wie eine harmlose Maus gegenüber einem gefährlichen Tiger ausnimmt. "Somit steht es auch in der Verantwortung eines Jeden, sich zu diesem Thema zu äußern und politische Entscheidungen zu beeinflussen." Dem ist weiter nichts hinzuzufügen.

(Werner Fletcher; 03/2008)


Hans Günter Gassen: "Das Gehirn"
Primus Verlag, 2008. 160 Seiten.
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Hans Günter Gassen, geboren 1938, war Professor für Biochemie an der TU Darmstadt und Beauftragter für Biotechnologie des Landes Hessen. Er ist Herausgeber der internationalen Zeitschrift "Biotechnology Journal" und Verfasser zahlreicher Sachbücher.

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