Géza Gárdonyi: "Idas Scheinehe"


Charmanter Liebesroman - "andersherum"

Nach dem Tod ihrer Mutter hat Ida Ó den größten Teil ihres Lebens in einer Klosterschule verbracht. Neunzehnjährig verlässt sie diese - sehr zum Verdruss ihres autoritären Vaters, eines reichen Weinhändlers, der ein Lotterleben mit ständig wechselnden Geliebten führt und nun sogar ein Mädchen heiraten möchte, das jünger ist als Ida.

Da Ida das Leben ihres Vaters nicht tolerieren mag, gibt dieser eine Heiratsannonce auf, in der er sie gegen eine sehr üppige Mitgift regelrecht verschachert. Diese Annonce liest Csaba, ein verkrachter Maler und Journalist. Er hat die Anrechte auf sein Erbe, ein ungarisches Landgut, seiner innig geliebten Schwester überlassen, deren Mann nun durch Glücksspiel ebendieses Gut zur Zwangsversteigerung gebracht hat. Csaba braucht also dringend Geld und bewirbt sich um Idas Hand.

Unter den Glücksrittern, die sich gemeldet haben, erscheint er Idas Vater als der seriöseste. Ida, die das dekadente Leben ihres Vaters nicht länger ertragen kann, ist schließlich einverstanden, diktiert ihrem Ehemann in spe aber ihre Bedingungen: Die beiden werden wie Fremde leben und nur in der Öffentlichkeit ihre Rollen als Ehemann und -frau spielen, und nach einem Jahr kann Ida sich scheiden lassen und ihrer Wege gehen.

Ida geht als gehorsame "Ehefrau" mit ihrem Mann nach München, wo er sich wie bereits früher als Maler betätigen möchte, nachdem er die Schulden seines Schwagers beglichen hat. Er hofft, in diesem einen Jahr genug Gelegenheit zu haben, um Berühmtheit zu erlangen und auf eigenen Füßen stehen zu können. Ida möchte er gern ausbezahlen; es widerstrebt ihm, ihre Mitgift für sich zu beanspruchen.
Je länger jedoch diese beiden miteinander zu tun haben, desto mehr fühlen sie sich zueinander hingezogen, ohne es sich einzugestehen. Der Leser weiß lange vor ihnen, wie die Geschichte ausgehen wird. Es ist jedoch vor allem Idas Stolz, der dem Eingeständnis von Liebe im Wege steht. Denn Ida weiß, dass es eine Frau gibt, die Csaba aufs Innigste liebt. Was sie nicht weiß: es handelt sich dabei um Csabas Schwester.

Géza Gárdonyi ist in Ungarn vor allem für seine Historienromane bekannt. Kaum ein ungarischer Jugendlicher, der nicht "Die Sterne von Eger" gelesen hat - und "Idas Scheinehe" gehört ebenfalls zu den beliebtesten Werken dieses Autors.

Die entzückende Geschichte um die spröde, von ihrem Vater zutiefst verletzte Ida und den Gentleman und Künstler Csaba, angesiedelt im frühen 20. Jahrhundert und mit allem Charme der späten Donaumonarchie versehen, begeistert auch heute noch. Ida, etwas naiv nach Jahren im Kloster, zugleich allerdings lebenshungrig und vom Wunsch nach Liebe beseelt, widersteht der Versuchung, sich auf das oberflächliche Leben ihres Vaters einzulassen. Sie erkennt zugleich, dass ihre einzige Hoffnung auf Freiheit ausgerechnet in jener Scheinehe besteht, die ihr der Vater, von ihrem "Blaustrumpftum" entnervt, aufzwingt.

Einfühlsam stellt Gárdonyi seine Charaktere vor, neben den Protagonisten auch mehr oder weniger verkrachte Künstler, Frauen, die für ein Leben im Wohlstand zu allem bereit sind, und Menschen beiderlei Geschlechts auf der verzweifelten Suche nach Liebe. Auch weiß er die tragischen Wendungen, die das Leben bereithält, überzeugend darzustellen, und er weist dem Zufall nicht allzu viel Macht zu. Denn seine Protagonisten sind stark und können ihr Leben, wenn auch nicht unbedingt ihre Gefühle, in ihre Hand nehmen.

Natürlich findet man in diesem Roman so manches Klischee, und in seiner Funktion als auf den Kopf gestellter Liebesroman - erst Ehe, dann Liebe - erfüllt er alle Erwartungen eines Lesers schlichter Muse. Dennoch hat Gárdonyis Roman Niveau. Der Autor entwickelt die Gefühle behutsam, ohne Druck, die Geschichte nimmt ihren Lauf auf scheinbar natürliche Weise. Eine bezaubernde Hommage an die Macht der Liebe: und ein überaus charmant gestaltetes Stück mitteleuropäischer Geschichte.

(Regina Károlyi; 01/2009)


Géza Gárdonyi: "Idas Scheinehe"
(Originaltitel "Ida regénye")
Deutsch von Clemens Prinz.
Kortina Verlag, 2008. 467 Seiten.
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Der ungarische Schriftsteller Géza Gárdonyi (1863-1922) ist bis heute einer der meistgelesenen Autoren. Seine Popularität fußt neben seinen idyllischen Dorferzählungen vor allem auf seinen historischen und romantischen Romanen.
2005 fand in Ungarn eine vielbeachtete TV-Abstimmung über das beliebteste Buch statt: Sieger wurde ein Roman von Gárdonyi. Zudem befanden sich unter den 50 beliebtesten ungarischen Titeln gleich drei Gárdonyi-Werke, darunter seine romantische Liebesgeschichte "Ida regénye". Diese erschien unter dem Titel "Idas Scheinehe" erstmals auf Deutsch.