Jorge Bucay: "Liebe mit offenen Augen"

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren und dort auch praktizierend, ist weltweit einer der angesehensten Psychotherapeuten. Seine spezielle Disziplin ist die von Fritz Perls begründete Gestalttherapie. In der spanischsprachigen Welt ist Bucay ein sehr erfolgreicher Autor. Seit der Ammann Verlag in den letzten Jahren seine beiden Bücher "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte" und "Geschichten zum Nachdenken" veröffentlicht hat, ist Jorge Bucay auch dem deutschsprachigen Publikum zu einem Begriff geworden.
Im Jahr 2006 wurde er mit dem mit 120.000 Euro dotierten "Premio Torrevieja" ausgezeichnet.

Bucay versucht, seine psychotherapeutischen Erkenntnisse auf eine ganz besondere Weise weiterzuvermitteln. Statt Lehrbücher für (angehende) Therapeuten zu schreiben, erzählt er Geschichten für potenzielle Klienten, in der Hoffnung, dass diese durch die Lektüre der Geschichten so angeregt und in ihrer Seele berührt werden, dass sie ihr Leben mit all seinen Problemen und vor allen Dingen Beziehungsproblemen wieder selbst in die Hand nehmen.

Im Vorwort zu seinem ersten Roman, den er mit "Liebe mit offenen Augen" vorlegt, erzählt Bucay, dass er sich mit einem solchen Projekt schon jahrelang beschäftige. Ein Buch über Paare und für Paare sollte es ein, unterhaltsam und doch auf der Höhe der psychotherapeutischen und paartherapeutischen Erkenntnisse.
"Die vorliegende 'romanhafte Paartheorie' oder dieser 'paartheoretische Roman', der all das zu vermitteln versucht, was man bis heute über die Eintracht oder Zweitracht zwischen zwei Liebenden weiß, entspricht meiner Art, die Sache in die Hand zu nehmen."

Bucay hat versucht, in diesem Buch, das sich auch wie ein packender Roman über menschliche Leidenschaften lesen lässt, eine Menge an Erfahrungen aus seinen Paarsprechstunden zu verarbeiten. Denn:
"Der Spiegel, den unser Partner abgibt, liefert uns - ob es uns nun gefällt oder nicht - ein wahrheitsgetreueres Bild von uns selbst, als wir allein es jemals gewinnen könnten; mag dieses Bild im einzelnen richtig oder falsch, zuträglich und verwirrend, klar oder konfliktbeladen sein - es zeigt uns immer ein liebenswertes Wesen. Und zwar deshalb, weil wir in der Liebe unsere innere Welt überschreiten, um den unerlässlichen Begriff des Du in uns aufzunehmen. Dieses Du wird, sofern es das will und ich es zulasse, mir dabei behilflich sein, zu erfahren, wer ich tatsächlich bin."

Die Rahmengeschichte, in der Jorge Bucay seine paartherapeutischen Erkenntnisse und Weisheiten an seine Leser weitergibt, ist kurz erzählt:
Der in einer recht unbefriedigenden Beziehung lebende Roberto erhält eines Tages eine E-Mail, die eigentlich für Fredy, einen Therapeuten und Kollegen Lauras, die die E-Mail abgeschickt hat, bestimmt ist. Zunächst löscht Roberto den Text, doch als immer weitere Mails kommen, liest er sie und ist zunehmend betroffen von ihrem Inhalt.
Laura ist nämlich eine Gestalttherapeutin, die ihrem Kollegen Fredy, den sie bei einem Kongress getroffen und mit dem sie sofort eine enge kollegiale Beziehung hat, die in einem gemeinsamem Buchprojekt mündet, E-Mails schreibt mit langen Texten für das geplante Buch. Fredy antwortet nicht (wie könnte er - er hat ja die Mails durch eine Verwechslung der Adressen nicht erhalten), doch Laura lässt sich nicht beirren. Nicht nur Roberto, der sich fast in die unbekannte Absenderin verliebt, profitiert vom Inhalt der E-Mails und sieht seine komplizierte Paarbeziehung plötzlich in einem anderen Licht, sondern auch der zunehmend begeisterte Leser sieht sich konfrontiert mit der Dynamik und den Besonderheiten seiner eigenen Liebes- und Lebensbeziehung. Der Rezensent hat in seiner eigenen Beziehung in den beiden Wochen nach der Lektüre des Buches versucht, genauer hinzuschauen, genauer zuzuhören und das Bild vom Spiegel unseres Selbst, der der Andere für mich ist, ernst zu nehmen. Ich war positiv überrascht angesichts der Auswirkungen selbst kleinster Veränderungen im eigenen Verhalten und in den eingefahrenen Denk- und auf die Beziehung zur Partnerin, aber auch zum Kind.

Laura, die Therapeutin, die ungezählte E-Mails schreibt, formuliert , sozusagen als Alter Ego Jorge Bucays, einige wichtige Beispiele für das im Hier und Jetzt Sein, im "Kontinuum des Sich-bewusst-Werdens" , wie Fritz Perls das ausgedrückt hat.
"Also müssen wir die Fähigkeit erlangen, standzuhalten. Es scheint uns unvorstellbar, Schmerzhaftes auszuhalten, und entsprechend glauben wir, dass wir einzig darauf reagieren können, indem wir uns verschließen, andere angreifen, beschuldigen oder eben fliehen ... Wir müssen aber lernen, dort gegenwärtig zu sein, denn dort nimmt der Heilungsweg seinen Ausgang. Wenn wir uns diesem Schmerz stellen, statt wie sonst vor ihm zu fliehen, werden wir unsere Kraft entdecken. Und aus dieser Begegnung mit uns selbst kann sich die Begegnung mit dem anderen ergeben. Seien wir also präsent und zwar beide ... Die Liebe, wie wir sie uns vorstellen, entsteht zwischen zwei vollständigen Wesen, die einander begegnen, nicht zwischen zwei Hälften, die sich brauchen um sich vollständig zu fühlen."

Ein in einen unterhaltsamen Roman verpackter Ratgeber über Paarbeziehungen und ihre Dynamik und den schweren, leichten Weg, sie mit wirklichem Leben und echter Liebe zu füllen.

(Winfried Stanzick; 02/2008)

Jorge Bucay: "Liebe mit offenen Augen"
(Originaltitel "Amarse Con Los Ojos Abiertos")
Aus dem Spanischen von Petra Willim.
Ammann, 2008. 269 Seiten.
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Hörbuch:
Sprecher: Gert Andresen, Herbert Schäfer, Doris Wolters.
Steinbach Sprechende Bücher, 2008. 4 CDs; Laufzeit ca. 432 Minuten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Zähl auf mich"
Fast zwanzig Jahre sind vergangen. Demian, der sympathische Protagonist aus "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", wird demnächst vierzig.
Schon seit langem hat er den Kontakt zum Dicken verloren, dem Therapeuten, der ihn gelehrt hat, das Leben anhand von Geschichten zu verstehen. Doch inzwischen steckt er wieder einmal in der Krise: Seine Ehe ist gescheitert, in seiner Familie geht es drunter und drüber, und auch beruflich sieht er sich neuen Herausforderungen gegenüber.
Da tritt eine wichtige Frau in sein Leben, und diesmal will er es nicht vermasseln. Der Einzige, der ihn auf den richtigen Weg bringen kann, ist der Dicke ... (Ammann).
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