Oliver Lubrich (Hrsg.): "Berichte aus der Abwurfzone"

Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939 bis 1945


Noch gut im Gedächtnis ist die 2004 erschienene Anthologie von Oliver Lubrich, "Reisen ins Reich 1933 bis 1945 - Ausländische Autoren berichten aus Deutschland", die ebenfalls im Eichborn Verlag Frankfurt am Main erschienen war. Wieder bemühte sich Lubrich mit erstaunlichem Erfolg, ein facettenreiches Bild ausländischer Beobachtungen unter dem Eindruck des Bombenkrieges über Deutschland ans Licht zu bringen und in Auszügen zu präsentieren. Und wenn schon von der Präsentation die Rede sein soll, dann ist der Eichborn Verlag ein weiteres Mal zu loben, der auch diesen Band, wie so viele davor, aufs Feinste aufbereitet hat, wobei besonders eine variierende Farbgebung es dem Leser erleichtert, zwischen biografischen Kurznotizen und Originaltexten hin- und herzuspringen. Einmal ganz vom Augenschmaus abgesehen!
In seinem überaus lesenswerten Vorwort nimmt der Herausgeber die verschiedenen Aspekte unter die Lupe, die gerade der "fremde Blick" auf dieses lange ignorierte, besonders dramatische Kapitel in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges verlangt. Eine entscheidende Einsicht trug W. G. Sebald zur literarischen Adaption des Schreckens im Kriege bei, als er, selbst von den Auswirkungen in seiner Familie betroffen, wohl zum ersten Mal erkannte, weshalb gerade deutsche Autoren durch Jahrzehnte hin nicht in der Lage waren, ohne Betretenheit oder Kitsch über das Leiden des eigenen Volkes zu schreiben. Lubrich führt Sebalds wohltuende Analyse vor, ohne die apodiktischen Schreib- und Verarbeitungsverbote zu vergessen, die es Deutschen unmöglich machen sollten, nach Auschwitz auch nur noch ein Gedicht zu schreiben; vom Rezensenten schon damals als unerträglicher pseudointellektueller Manierismus empfunden, der nicht gar so weit vom Kitsch entfernt war wie seine gläubigen Anhänger meinten. Hier bringt Lubrich eine wirkliche Überraschung in die Diskussion, die als genial gewählt gelten kann: den kubanischen Romancier Alejo Carpentier und seine Theorie des "Wundbar-Wirklichen", die vom Autoren nicht mehr verlangt als sich an die Realität zu halten, während das Wunderbare, das Magische der Ereignisse in ganz alltäglichen Situationen auf ihn treffe; er müsse nur die Augen haben, es zu erkennen.

Für die kurze Spanne des sogenannten Sitzkrieges nach dem Sieg über Polen bis zum Beginn des Frankreich-Feldzuges hätte man gar nicht an Bombardements gedacht, doch der us-amerikanische "CBS"-Korrespondent William Shirer macht die noch seltenen Angriffe der britischen Bomber zum Thema, Angriffe, die sich bis zur Abreise Shirers im Dezember 1940 nicht sehr gesteigert haben. Lesenswert ist Shirers Ironie, die er sogar in seinen Rundfunkreportagen unter den Augen des Zensors unterbringt. Seine Abneigung gegen die Deutschen im Allgemeinen ist zu registrieren, doch zuweilen derart widersprüchlich, dass sie zu langweilen beginnt. Dass Shirer am Anfang wenig verstand, so als er schon die Moral der Berliner Bevölkerung bei Angriffen von sechs Flugzeugen wanken sah - darin dem britischen Bomber-Command in seiner Fehleinschätzung der Waffe ähnlich - und selbst nach dem Kriege wenig differenziert erschien, als der noch nach dem Mauerfall vor der Wiedervereinigung warnte, weil er Deutschland als unausrottbare Kriegsgefahr sah, befremdet, doch ist sein Zeugnis des Berliner Alltags trotzdem wertvoll. Allerdings gab er gerade in dieser Generation von US-Amerikanern eine große Anzahl gebildeter und weltläufiger Menschen, die auch als Militärs oder Korrespondenten ihren Dienst versahen. Seine beiden Nachfolger Harry Flannery und Howard Smith konnten zwar im Gegensatz zu Shirer keine Tagebuchaufzeichnungen herausschmuggeln, doch zeugen ihre Niederschriften von einer wesentlich klareren Sicht der Ereignisse und Hintergründe.
Eine kleine Stimme zu Beginn, die neben Shirer aus Berlin berichtet, ist die der weißrussischen Prinzessin Marie Wassiltschikow, die, dreiundzwanzigjährig und wohlbehütet, 1940 noch recht kindlich von den vielen bunten "Christbäumen" berichtet, die die Abwurfzone erhellen sollten. Sie gleicht doch anfangs noch recht der Stimme ihrer Schwester Tatjana, nachmaliger Fürstin Metternich-Winneburg, deren Russland-Buch "Keime der Hoffnung", allerdings im Alter geschrieben, man zumindest als "merkwürdig" bezeichnen könnte. Doch das ist eine andere Geschichte.

Für das Jahr 1941 finden sich einige wenige Stimmen, wenige, weil Bombenangriffe auf die Hauptstadt immer noch eher Nadelstichen gleichen und nicht im Entferntesten dem entsprechen, was die britische Radiopropaganda daraus macht. Gerade von us-amerikanischer Seite wird dies sehr negativ bewertet, auch wenn die Sympathien eindeutig bei den Vettern von der Insel liegen. Die Korrespondenten sehen diese Lügen als kontraproduktiv an, weil jeder nachvollziehen könne, dass die Wirklichkeit anders aussehe. Und über alles legen sich die Nichtigkeiten der Wassiltschikowa.

Auch 1942 ändert sich wenig, weil die Hauptlast des Luftkrieges die westlichen Großstädte und besonders das Ruhrgebiet zu tragen haben. Eine hochinteressante Verbindung hat Lubrich zutage gefördert: Der als Sohn eines deutschen Vaters und einer italienischen Mutter geborene Kurt Erich Suckert, der sich Curzio Malaparte nannte und schon im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger im französischen Militär diente, hatte ein kompliziertes Verhältnis zum Faschismus und zu Mussolini. In seinem wohl berühmtesten Roman "Kaputt" schildert er Szenen, die Roberto Benigni seinem mit dem "Oscar" preisgekrönten Film "Das Leben ist schön" zugrunde legte.

Dann, 1943, ändert sich das Bild schlagartig. Der anfangs für den Nationalsozialismus begeisterte Schwede Arvid Fredborg sieht das Erscheinungsbild seit dem Großangriff vom 1. März grundlegend verändert. Er habe "Berlin von einem Tag zum anderen in einen Kriegsschauplatz" verwandelt. Mit wenigen Ausnahmen war kaum einer der ausländischen Schwärmer nach 1943 mehr für den Nationalsozialismus oder Faschismus begeistert. Ihr Salonnazismus blätterte ebenso ab wie der besonders in den romanischen Ländern beheimatete Salonkommunismus der Nachkriegszeit und der Salonmaoismus, besonders in Deutschland und Frankreich. Es scheint hier eine Konstante zu geben, die sich bis in unsere Tage zieht. In abgelegenen Regionen Nordeuropas halten manche Mao Tse-tung immer noch für einen Heilsbringer. Wenn dies ungebildete Kokabauern oder nepalesische Bergbewohner tun, ist das eine Sache, bei französischen Intellektuellen und frustrierten deutschen Bürgerkindern, die die Futterkrippen der Nation zu verpassen drohten, etwas anderes. Fredborg beobachtet auch sehr genau, wie eng Mut und Feigheit nebeneinander liegen und spricht allen das Recht zu urteilen ab, die nicht selbst einen Luftangriff durchgemacht hätten. Auch sieht er frühzeitig das, was inzwischen außer den Angehörigen des Royal Bomber Command niemand mehr bestreitet, dass die Angriffe gerade auf Berlin keinerlei militärischen Nutzen hatten und einen solchen auch gar nicht erst großartig postulierten. Die routinierte Beschwörung der einsatzbereiten Crewmitglieder, wie sie der us-amerikanische Reporter Edward Murrow schildert, der im Gegensatz zu Kollegen mehrere Frontflüge überlebte, dass sie damit kriegsentscheidende Ziele zerstörten, wird emotionslos hingenommen, und Murrows Fazit ist ohne Illusionen, wenn er schreibt, in einem Zeitraum von 35 Minuten hätten über Berlin mehr Bomben eingeschlagen als während einer ganzen Nacht bei einem Angriff der Luftwaffe auf London. Ebenso eindrucksvoll wie Murrows Schilderungen sind die des us-amerikanischen Co-Piloten Beirne Lay, der am Großangriff auf Regensburg teilnahm, bei dem die Messerschmitt-Flugzeugwerke zerstört wurden. Aus einer völlig anderen Perspektive kommt die Schilderung des Schweizers Paul Stämpfli, der in Plötzensee auf seine Hinrichtung wartete und in letzter Minute durch einen Austausch von Spionen mit dem Leben davon kam. Die Schilderung seiner Erlebnisse, gefesselt und ohne echte Schutzmöglichkeit dem Inferno ausgesetzt, ist tief beeindruckend. Und sein Gedenken an die Mithäftlinge, die ausnahmslos in den Tagen und Wochen nach dem Angriff von Anfang September von Himmlers Maschinerie im Minutentakt ermordet wurden, lässt das Blut gefrieren. Auch berichtet er nüchtern, dass die schlimmsten Folterer in den Stunden der Gefahr die Feigsten gewesen seien, hierin ihrem großen Vorbild, dem Reichsführer SS, gleichend, während die wenigen Beamten, die das Los der Gefangenen zu erleichtern suchten, auch jetzt persönlichen Mut zeigten. Der Schweizer Helmuth Grossmann alias Konrad Warner, der Sympathie mit den Herrschenden im Reich nicht verdächtig, liefert entsetzliche Szenen aus den Kellern und U-Bahnschächten, in denen er mit seiner Familie, die bei ihm geblieben war, Zuflucht suchen muss. Letztere nennt er die Katakomben des 20. Jahrhunderts. - Missie Wassiltschikowa und ihre Freundin sorgen sich derweilen darum, dass ihre Verehrer durch Kreidegraffiti an den Mauern der ausgebombten Häuser um so leichter den Weg zu der Damen neuer Unterkunft finden werden. Der Ton Ihrer Durchlaucht ist darin dem eines Zehnjährigen nicht unähnlich, der mit seinem kleineren Bruder durch den Funkenregen ging und Konrad Warner die Rettung seiner Familie schilderte. Nur, dass es sich hier um einen traumatisierten Zehnjährigen handelte. Währenddessen sucht die junge Frau ihre Putzmacherin auf.

Das Jahr 1944 beginnt mit einem Paukenschlag: Im Auswärtigen Amt, in dem Maria Wassiltschikowa arbeitet, hat es eine Auseinandersetzung zwischen zwei Sekretärinnen gegeben, die sogar mit Fäusten aufeinander losgingen! Und: Frau trägt nicht mehr Hut, weil sehr unpraktisch in Qualm, Dreck und Rauchschwaden. Gleichzeitig führt Lubrich eine neue Stimme ins Konzert der ausländischen Beobachter ein, eine Stimme, die eindrücklicher nicht sein könnte, die der niederländischen Jüdin Mirjam Levie, nachmalig verheiratete Bolle, die mit ihren Eltern im KZ Bergen-Belsen gestrandet ist und zu den wenigen Glücklichen gehören wird, die in einem Austausch mit deutschen Templern noch vor der Vernichtung ins britische Palästina ausreisen darf. Ihre Tagebuchnotizen konnte sie aus dem Lager schmuggeln. Die klare Kürze und Eindrücklichkeit ihrer Aussagen, die Klarheit ihrer Analyse gerade unter den Umständen, denen sie täglich ausgesetzt ist, beeindrucken, so wenn sie einen Tieffliegerangriff auf das Lager schildert. Als sie und ihre Leidensgenossen nach drei Monaten einmal eine Kartoffelsuppe mit Rübchen bekommen und man täglichen Luftalarm ertragen muss, leitet sie dies ein mit den Worten "Ich habe nichts Wichtiges zu erzählen". Währenddessen feiern im Hotel "Adlon", das bisher nur geringe Zerstörungen hinnehmen musste, Nazi-Bonzen, Diplomaten und ausländische Journalisten mit allem, was Küche und Keller noch Erstaunliches vorzuweisen haben. Draußen geht der Tod um, und der Norweger Theo Findahl schildert einen unwirklichen Gang durch den zerstörten Tiergarten, und der Schwede Oscar Jacobi, der als letzter Korrespondent seines Landes Deutschland verließ, erzählt vom "Schutthaufen bei Potsdam", wie die Berliner ihre Stadt inzwischen nennen und vom Verschwinden Hunderter seiner sozialdemokratischen Bekannten, auf die die Gestapo besonders Jagd macht, um dem blühenden Defätismus den Garaus zu machen. Prinzessin Wassiltschikowa erklärt sich zur Mitwisserin an Adam von Trott zu Solz’ Putschplänen und ärgert sich über ihre Freundin Loremarie von Schönburg, die Informationen zum bevorstehenden Umsturz herumposaune. Nach dem 20. Juli aber kein Wort dazu, nur die taube Köchin verhält sich bei den Angriffen so ungemein ulkig, und Herbert von Karajan eilt im "Adlon" barfuß und mit wirrem Haar in den Bunker. Hätte nicht Goerdeler die Namenslisten der Verschwörer, die untereinander absichtlich kaum Kontakt pflegten, im heimischen Tresor der Gestapo geradezu präsentiert, wären wohl weniger Opfer unter den Aufständischen zu beklagen gewesen. Eine Loremarie hingegen hat die deutsche Geschichte kaum belastet. Am Umschlag des Katastrophenjahres 1944 in den endgültigen Untergang des Reiches bringt Lubrich einen Zeitzeugen ganz eigener Art: den französischen Arzt, Schriftsteller und Kollaborateur Louis-Ferdinand Céline, der entweder auch jetzt noch nicht erkannt hatte, dass jeder anständige Kollaborateur spätestens nach Stalingrad zur Résistance gehören musste, oder dies nicht sehen wollte! So bewegt er sich unter Chimären, die sich auf Schloss Sigmaringen eindicken wie ihre italienischen Glaubensgenossen im Gardaseestädtchen Salò. Auch wenn Sigmaringen keinen Filmregisseur animiert hat, ein Requiem aus Sex und Gewalt zu erfinden, wie dies Pier Paolo Pasolini in seinen "120 Tage von Sodom" tat, so gibt es wohl niemanden, der in seiner Realfiktion Sexualität und Gewalt so ausgedrückt hätte wie Céline. Seine Zugfahrt aus "Rigodon" gerät zur schwülen Fantasie, einer Fantasie, über die besonders seit dem Erscheinen von Jonanthan Littells "Die Wohlgesinnten" heftiger noch diskutiert wurde als über dessen wissenschaftliche Basis, die "Männerfantasien" des Freiburger Soziologen und Germanisten Klaus Theweleit.

Die Schilderungen über die letzten Zuckungen eines geschlagenen Reiches münden in den grandiosen Irrsinn von Kurt Vonneguts "Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug", der seine Erlebnisse bei der Bombardierung Dresdens vom 13. auf den 14. Februar 1945 nur über einen vermeintlichen Zynismus und die Flucht in Science-Fiction-Motive verarbeiten konnte. Im April 2007 ist der Autor gestorben, Paul Ingendaay nannte ihn einen "Botschafter des Absurden" und seinen Roman eine "Hybridform zwischen Autobiografie, Science-Fiction und Traum", treffender wird man es wohl kaum ausdrücken können. Die Sonne war wie ein zorniger Stecknadelkopf. Dresden war jetzt wie der Mond, nichts als Mineralien. Die Steine waren heiß. Alle anderen im weiteren Umkreis waren tot. So war es. Doch auch andere Stimmen waren noch zu vernehmen. Auf die neue Ernsthaftigkeit der Prinzessin Maria Wassiltschikow, wie von Lubrich angemerkt, ist weiter zu warten; ihre Szenen aus einem Wiener Lazarett sind farblos und wirken unbeteiligt. Als "Wer ist Wer" der feineren Gesellschaft sind ihre Tagebuchnotizen aber auch unter fallenden Bomben interessant. Als "alles in Scherben fällt" sind aber auch diejenigen nicht weit, die sich teilweise mit erstaunlichem persönlichem Mut mit den kämpfenden Truppen ins eroberte Gebiet gewagt haben. So die us-amerikanische Journalistin Janet Flanner, deren "Brief aus Köln", an ihre frühere Kolumne "Brief aus Paris" anschließend, detailreich ist, aber von einer Oberflächlichkeit zeugt, die verwundern mag. So schildert sie Elend, Gefolterte oder Täter, als höre sie zum ersten Mal im Leben, dass es so etwas überhaupt gebe und mokiert sich über kleine Jungs, die sie und ihre Begleiter angeblich täuschen wollten, indem sie von ihren HJ-Mützen die Hoheitszeichen abmontiert hätten. Dass die Kinder ganz einfach keine andere Kopfbedeckung mehr hatten, kommt ihr nicht in den Sinn; ob sie sie dafür zur Hutmacherin der Wassiltschikowa hätte schicken können, scheint ein wenig weit hergeholt. Dass sie Kinder nicht mag, ist keine moralische Verfehlung, dass sie aber keinerlei "Antenne" für sie gehabt haben dürfte, erklärt sich vielleicht aus ihrer exzentrischen Biografie. Ungeheuer viel gesehen zu haben, wird ihr im Nachruhm bestätigt, doch scheint es, als habe sie eher weniger verstanden. Wie Kinder mit Katastrophen umgehen, ahnte man schon lange und weiß es spätestens seit dem Bosnienkrieg genauer: Sie verarbeiten sie "spielend" und zerbrechen nicht so oft daran wie Erwachsene. So war es auch für den um ein Jahr "nachgeborenen" Rezensenten eine Sensation, mit dem am Tag der Kapitulation geborenen Vetter in Bombentrichtern auf dem Ballonrad Motodrom zu spielen, noch Bilder der zerbombten Hauptstätterstraße in Stuttgart im Kopf, links und rechts gesäumt von niedrigen Trümmerverschlägen, davor Nutten auf Kundenfang.
Flanners Freund Ernest Hemingway hat aus seinen Erlebnissen, und seien sie auch noch so aufgebauscht und bereits vom Alkohol vernebelt gewesen, Weltliteratur gemacht. In Hemingway trifft sie sich auch mit der Kriegsberichterstatterin Martha Gellhorn, die bis Kriegsende mit dem Schriftsteller verheiratet war und der er einen Platz in seinem Bürgerkriegsdrama "Wem die Stunde schlägt" gesichert hatte, auch wenn sie es sich später verbat, dass sein Name in ihrer Gegenwart erwähnt werde. Doch auch ihre Schilderungen bleiben blass, Kolportagen über den geheimnisvollen "Wehrwolf" unergründet, und als sie in der Trümmerlandschaft einen Blumenverkäufer beobachtet, versagt ihr Verständnis vor dem Wesen des Menschen - Objektivität hielt sie für "Shit". Während sie die Szene nur als absurd abtun kann, begegnet dem Angehörigen der dänischen Minderheit in Schleswig, Jacob Kronika, der den Endkampf um Berlin miterlebt, ein ähnliches Bild: Frauen, die mitten im sterbenden Berlin noch Anfang April Forsythienzweige schneiden, um der Tristesse zu entfliehen. Wenn Gellhorn einmal im Frieden ein Land ohne Farben, ohne Blumen aufmerksam beachtet hätte - dazu hätte sie noch nicht einmal in den Ostblock fahren müssen, der Mittlere Westen ihres eigenen Landes hätte genügt - dann hätte sie vielleicht eine Ahnung vom Bedürfnis des Menschen nach Schönheit auch in den Abgründen der Katastrophen gehabt.
Das furiose Ende dieses lesenswerten Bandes bestreiten der spätere schwedische UN-Sondergesandte Graf Folke Bernadotte, der drei Jahre später von einer von der israelischen Untergrundorganisation Irgun abgespaltenen Verbrecher-Gang ermordet wurde, der immerhin ein späterer Ministerpräsident entstammte, und wieder Kurt Vonnegut aus dem Schlachthaus. Und Edward Murrow, dem wagemutigen Journalisten, der mit den Bomberbesatzungen flog und der mit den us-amerikanischen Truppen kreuz und quer durch Deutschland zog, bleibt es überlassen, das Fazit des chaotischen Kriegsendes in die Worte gerinnen zu lassen: "Es ist unmöglich, mit diesem Krieg Schritt zu halten". Doch dann versagen selbst dem abgebrühten Kriegsreporter die Worte, wenn er auf die Leichenhaufen, teilweise wie Brennholz gestapelt, und die lebenden Toten von Buchenwald trifft. Er verabschiedet sich von seinen Hörern und uns mit dem Satz: "Wenn ich Ihnen mit meinem eher verharmlosenden Bericht über Buchenwald zu nahe getreten bin, dann tut mir das nicht im mindesten leid".

(Horst Boxler; 07/2008)


Oliver Lubrich (Hrsg.): "Berichte aus der Abwurfzone. Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939 bis 1945"
Eichborn Verlag, 2007. 475 Seiten.
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