Esmahan Aykol: "Scheidung auf Türkisch"

Ein Fall für Kati Hirschel


Leben und Tod in Istanbul

Die deutschstämmige Kati Hirschel lebt seit vielen Jahren in Istanbul und betreibt dort eine Krimi-Buchhandlung. In der Vergangenheit hat sie bereits mehrere Kriminalfälle selbst gelöst, doch eigentlich möchte sie vor allem ihre Finanzen in den schwarzen Bereich bringen und unnötigen Stress vermeiden. Deshalb ist sie zunächst gar nicht angetan, als ihr Mitarbeiter und Mitbewohner Fofo ihr einen neuen Fall geradezu auf dem Tablett serviert:
Sani Ankaralıgil, Ehefrau eines reichen Industriellensohnes, wurde tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Da die Polizei Ermittlungen aufgenommen hat, scheint es sich um einen Mord zu handeln.

Kati und Fofo kannten die junge Frau vom Sehen; sie waren ihr mehrmals in einem Restaurant begegnet. Rasch finden sie heraus, dass Sani, hochintelligente Tochter aus einer armen Bauernfamilie, von ihren Schwiegereltern massiv abgelehnt worden war. Eine Scheidung dürfte der reichen, traditionsverbundenen Familie erst recht nicht gepasst haben. Kati fängt Feuer.

Mit Fofo besucht sie Sanis Familie und findet heraus, dass es durchaus Leute geben mochte, die dieser Frau nach dem Leben trachteten. Sani war maßgeblich an einer Umweltinitiative beteiligt, die daran arbeitete, den Industriellen einer ganzen Region den Geldhahn abzudrehen, sie hatte Liebhaber, es gab sogar Beziehungen zu einer offensichtlich terroristischen Organisation.

Die Obduktion bringt nichts Ungewöhnliches zutage, außer, dass Sani an den Folgen eines Sturzes in ihrer Wohnung starb. Es muss zum Todeszeitpunkt allerdings, dies zeigen forensische Beweise, eine weitere Person in der Wohnung gewesen sein, die Sanis Sturz und Tod miterlebte und nichts unternahm, um Sani zu retten. Und was bedeutet die rätselhafte Einstichstelle an Sanis Arm? Nahm Sani Drogen?

Kati lässt sich von Sanis Tod, vor allem jedoch auch vom Leben dieser Frau fesseln und findet schließlich die gar nicht einmal spektakuläre, jedoch ziemlich "türkische" Lösung.

Die Polizei, mit der Kati Hand in Hand arbeitet, hat ihre eigenen Methoden der Wahrheitsfindung. Kati hingegen packt den Stier bei den Hörnern: Sie spricht einfühlsam mit allen Menschen, die etwas über Sani wissen könnten, mit dem Vater, der Schwester, der Co-Leiterin der Umweltschutzorganisation, die Sani gegründet hatte, mit früheren Liebhabern und schließlich auch mit einer Halbschwester, die der Familie Ankaralıgil durch Hassliebe verbunden ist.

Ich-Erzählerin Kati, zupackend, neugierig, für alles offen und mit einer ordentlichen Portion Schnoddrigkeit ausgestattet, wirkt sympathisch und authentisch und spricht den Leser immer wieder persönlich an. Durch ihre Augen und Ohren und ihre von gesundem Menschverstand geprägte Interpretation erschließen sich ihm die anderen wichtigen Figuren des Buchs, insbesondere jene, die dazu beitragen können, Sanis rätselhaften Tod aufzuklären.

Zu atemberaubenden, lebensgefährlichen Szenen wie in einem Thriller kommt es nicht; "Scheidung auf Türkisch" ist trotz des lässigen Tones ein klassischer Kriminalroman, in dem es um die Aufklärung eines Todesfalls durch mehr oder weniger Unbeteiligte geht. An Spannung fehlt es indes ebenso wenig wie an emotionalen und tendenziell erotischen Irrungen und Wirrungen.

Der Leser lernt die Gesellschaft in Istanbul und die Stadt selbst auf recht unmittelbare Weise kennen, denn Kati hat dort lange genug gelebt und dennoch ausreichend Distanz gewahrt, um mit dem nötigen Galgenhumor und Scharfsinn zu beobachten und zu berichten. Schon aus diesem Grunde lohnt es sich, "Scheidung auf Türkisch" zu lesen, umso mehr, weil es sich dabei um einen gelungenen Kriminalroman handelt, dessen Auflösung nun freilich eine ausgeprägte Schwäche der türkischen Gesellschaft und Kultur anprangert.

(Regina Károlyi; 08/2008)


Esmahan Aykol: "Scheidung auf Türkisch. Ein Fall für Kati Hirschel"
(Originaltitel "Süpheli bir ölüm")
Aus dem Türkischen von Antje Bauer.
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2008. 325 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Diogenes, 2010.
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