Petra Öllinger, Georg Schober (Hrsg.): "Rote Lilo trifft Wolfsmann"


Vom Duft der Arbeitswelt

Die vorliegende Anthologie präsentiert Texte aus dem Literaturwettbewerb 'Der Duft des Doppelpunktes' zum Thema Arbeitswelt. Versammelt sind darin 33 Kurzgeschichten bzw. Gedichte der Gewinner und Gewinnerinnen und ihrer sogenannten Tutoren/Tutorinnen. Im Vorwort beschreiben die beiden Herausgeber, wie sich aus einem Literaturblog (https://literaturblog-duftender-doppelpunkt.at/) dieser Literaturpreis entwickelte, bei dem zwei Jahre an den Texten "gehobelt, gehämmert und gefeilt" wurde. Aus der Fülle der ca. 400 Einsendungen wurden in einem ersten Durchgang Autoren ausgewählt, die mit einem Tutor weiterarbeiteten. Man wollte durchaus auch bisher "literaturferne" Menschen animieren zu schreiben, sowie Anfänger "durch die Zusammenarbeit mit einer im Literaturbetrieb erfahrenen Person unterstützen und fördern." Insgesamt umfasst die Anthologie 18 Texte der Preisträger und Preisträgerinnen, fünf Texte der sogenannten "WürdigungspreisträgerInnen" und zehn Texte der Tutoren. Besonders zu erwähnen gilt es wohl die drei Erstplatzierten: Tom Mokkahoff (Wien), Esther Schmidt (Frankfurt/Main) und Barbara Finke-Heinrich (Witten).

Michael Tonfeld, 1. Sprecher des 'Werkreises der Literatur der Arbeitswelt Deutschland' weist in seinen Vorbemerkungen darauf hin, dass der Begriff "Arbeiterliteratur" heute wohl wie ein Anachronismus klingen muss - "zumal sich Kunst und Arbeitswelt im deutschsprachigen Raum geradezu ausschließen." Erinnert wird an die bürgerlichen Vorkämpfer Freiligrath, Herwegh und Weerth im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, an die sogenannte Arbeiterkorrespondenzbewegung und den 'Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller' in der Weimarer Republik, später dann an die 'Gruppe 61' und schließlich die Gründung des 'Werkkreises der Literatur der Arbeitswelt' im Jahr 1970. Der Grundgedanke, Laien zum Schreiben zu qualifizieren, griff auf die Volkshochschulen über (vermengt mit Schreibwerkstatt- bzw. Kursen für kreatives Schreiben), erweiterte sich über Frauen- und Gastarbeiterliteratur und eskalierte quasi zu einer Welle von "Betroffenheitsliteratur" in der BRD und einer in den real existierenden Sozialismus gezwängten Proletenkultliteratur in der DDR. Grundsätzlich bewegte man sich irgendwie zwischen Engagement und Dokumentation. Tonfeld beklagt, dass die heutige "Literatur der Lohnabhängigen" von den Gewerkschaften und der Linken vernachlässigt werde - die Gegenöffentlichkeit "lebt auf Sparflamme".

Nun, die in dieser Anthologie präsentierten Geschichten sind teils rührend (Andreas Montalvo, Die Abrechnung), aufmunternd (Hildegard Kaluza, Be-Hinderung), sentimental (Silke Rath, Leise), tragisch (Armin Schmidt, Menschenopfer), absurd (Esther Schmidt, Enge) oder sogar ein bisschen albern (Christoph Aistleitner, Der Wolfsmann). Die Texte der drei Erstplatzierten erzählen von einer Entlassung (Tom Mokkahoff), von einem Mord (Esther Schmidt) bzw. schildern in Gedichtform Stadien der Erschöpfung (Barbara Finke-Heinrich). Die Texte der übrigen Bewerber sind nicht erkennbar schlechter - im Grunde handeln sie von der großen Melancholie des Arbeitslebens verbunden mit Erniedrigungen und Überforderungen. Teilweise reichen die Inhalte aber auch an Klatsch- und Tratsch-Niveau, Illustriertenprosa für die Trinkhalle: was geht es uns heute wieder schlecht. Und anders als schlimm kann es offensichtlich nicht sein im Arbeitsleben - das ist so eine Art Axiom. Alle Arbeitnehmer sind unterbezahlt, und alle Chefs sind Unmenschen - Klischee reiht sich an Klischee. Und die Rache des kleinen Mannes: wenn der Abteilungsleiter einen Herzinfarkt erleidet - hätte er sich eben nicht so aufgeregt über die Renitenz und Inkompetenz seiner Untergebenen.

Mit Abstand den stärksten Text hat eigentlich ein sogenannter "Tutor" geliefert: Armin Baumgartner, Der Lohn. Eine Parabel auf die tägliche Bedrohung am Arbeitsplatz, ein Fleischerhaken an der Decke als Metapher für die vielen Befürchtungen und Verdächtigungen: "Da wurde er für mich zu einem Fragezeichen, das da unspektakulär im Raum hing." Als Gegenpol passt gewissermaßen die Aussage des "Tutors" Gerald Grassl, der als seine Motivation, an diesem Projekt mitzuarbeiten, angibt: "Ich finde es (...) enorm wichtig, dass sich Menschen zunehmend mit der eigenen Lage und wie sie zu verändern ist schreibend auseinandersetzen. Das ist eine gar nicht so kleine Form des Widerstands." Nach Peter Kühne, Arbeiterklasse und Literatur (1972) und Martin H. Ludwig, Arbeiterliteratur in Deutschland (1976) fehlen ausführlichere konsequente literaturgeschichtliche Darstellungen einer Literatur der Arbeitswelt. In Erinnerung an Max von der Grüns Erfahrungen mit seinem ersten Roman 'Männer in zweifacher Nacht' (1962), als die Betriebsleitung ihn unter Druck setzte - "Sie werden der Literatur keinen Dienst erweisen und der deutschen Wirtschaft einen schlechten" - muss noch einmal ganz deutlich auf die emanzipatorische Funktion von "Arbeiterliteratur" hingewiesen werden. Diesbezüglich ist das vorliegende Buch sicherlich zu harmlos. Auch wenn die Zeiten des 'Brüder-zur-Sonne-zur-Freiheit'-Pathos längst vorüber sind, gilt es sich doch würdig zu erweisen dem Erbe von Bernt Engelmann und Günter Wallraff. Hier liegt eine große Verantwortung bei den immer noch aktiven Werkkreisen.

(KS; 11/2008)


Petra Öllinger, Georg Schober (Hrsg.): "Rote Lilo trifft Wolfsmann"
Edition Art & Science, 2008. 154 Seiten.
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