Leseprobe aus "Die
Spur des
Bienenfressers"
von Nii Parkes
Es
war an einem Sonntag, nur eine
Woche vor Kru-kwasi, dem Sonntag, an dem es tabu ist, über
Tote und
Beerdigungen zu sprechen. Sieben Tage, bevor wir für die auf
der anderen Seite
Getränke ausschenken. Ich bin mir ganz sicher, was diesen Tag
betrifft, aber
wenn ihr mir nicht glaubt, braucht ihr nur bei den Bono nachfragen, die
seit
Jahrhunderten für die Ashanti-Könige die Tage
festgehalten haben.
Wir waren, wo immer wir waren,
als sie kam. Die mit den Augen, die nie zur Ruhe kamen. Ich selbst trat
aus der
Hütte des Palmweinzapfers. (Die Frau, die Palmwein verkauft,
macht sonntags
nicht auf. Sie hat sechs Jahre lang in der Großstadt, in
Accra, gelebt, und als
sie wieder zurückkam, wollte sie sonntags nicht arbeiten.
Bevor sie in die
Stadt zog, hat sie am Straßenrand
Tomaten verkauft, aber das
ist eine andere
Geschichte.) Der Palmweinzapfer gab mir eine große Kalebasse
von seinem
Spezialwein, und ich war auf dem Weg zu meiner Hütte, als ich
diese Frau
kreischen hörte wie eine Rohrratte in der Falle. Ich spiel mit
meinem Palmwein
nicht herum, nie, also stellte ich die Kalebasse in meiner
Hütte ab und ging
zum Tweneboa-Baum auf dem Dorfplatz hinüber.
Sie hatte einen von diesen ganz
kurzen Röcken an. Man konnte die Schenkel sehen, aber ihre
Beine waren wie die
Vorderbeine einer Babyantilope - spindeldürr (später
hab ich dann erfahren,
dass sie die Freundin von einem Minister war. Hmmm. Die Welt ist voller
Wunder).
Ihr Fahrer war wie so ein Kolonialheini von Kopf bis Fuß in
Khaki eingekleidet.
Er wollte sie festhalten, damit sie aufhörte, aber die Frau
schüttelte den
Kopf und schrie weiter. Dann kriegte sie sich doch wieder ein und
rannte zu
einem hellen Auto
am Straßenrand hinüber, und der
Fahrer hinterher wie ein
Staubwolke.
Als ich die Kinder fragte,
Oforiwaa, Kusi und die Zwillinge Panyin und Kakra, die auf dem
Dorfplatz
spielten, was los sei, sagten sie, der cremefarbene Benz hätte
angehalten, und
die Frau wäre einem
Vogel
mit einem blauen Kopf gefolgt (es stimmt, in unserem Dorf gibt es viele
herrliche Dinge) und hätte sich dann die Nase zugehalten. Sie
hätte ihren
Fahrer gerufen, und beide wären wie Hunde einer
Fährte gefolgt, bis sie zu
Kofi Attas Hütte kamen. Sie hätten "Agoo!" gerufen,
aber niemand hätte
geantwortet. Dann hätte der Fahrer die Matte am Eingang
hochgehoben, und die
Frau wäre hineingegangen. Und gleich darauf hätte sie
angefangen zu schreien.
Es war immer noch Vormittag, und ihr Schrei ließ den Wald
verstummen. Aber was
passierte, als sie wieder weg waren, ist noch seltsamer. Es ist wahr,
selbst der
Adler hat nicht alles gesehen. (...)
Nii
Parkes: "Die Spur des Bienenfressers"
(Originaltitel "Tail of the Blue Bird")
Übersetzt von Uta Goridis.
Unionsverlag, 2010. 224 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Sonokrom,
ein Dorf im Hinterland
Ghanas, hat sich seit Jahrhunderten kaum verändert. Hier
spricht man noch die
Sprache des Waldes, trinkt aphrodisierenden Palmwein und wandelt mit
den
Geistern der Vorfahren. Doch eine verstörende Entdeckung und
das gleichzeitige
Verschwinden eines Dorfbewohners stören die ländliche
Ruhe.
Wäre nicht die Geliebte des Ministers in den Fall verwickelt,
wäre er schon längst
ad acta gelegt worden. Der Städter Kayo, Gerichtsmediziner und
Anhänger
wissenschaftlicher Vernunft, wird mit der Aufklärung
beauftragt - schwierig für
jemanden, der nicht unbedingt an
Übersinnliches
glaubt und
zugleich von seinem
Vorgesetzten an der kurzen Leine gehalten wird. Als die Situation immer
unfassbarer wird, müssen Kayo und seine Ermittler einsehen,
dass westliche
Logik und politische Bürokratie ihre Grenzen haben.
Nii Parkes wurde 1974 in Großbritannien geboren und wuchs in
Ghana auf.
"Die Spur des Bienenfressers" ist sein erster Roman.