Alban Nikolai Herbst

Ich, Osama bin Laden, erklär´ Euch den Krieg

Und das Tier ward gegriffen und mit
ihm der falsche Prophet, der die Zei-
chen tat vor ihm, durch welche er
verführte, die das Malzeichen des
Tiers nahmen, und die das Bild des
Tiers anbeteten; lebendig wurden
diese beide in den feurigen Pfuhl ge-
worfen, der mit Schwefel brannte.

Und die andern wurden erwürget mit
dem Schwert des, der auf dem Pfer-
de saß, das aus seinem Munde ging;
und alle Vögel wurden satt von sei-
nem Fleisch.
Offenbarung des Johannes, 19.20.

Jene aber, die ungehorsam sind - ih-
re Wohnstatt wird das Feuer sein.
Sooft sie daraus entfliehen möchten,
werden sie wieder dahin zurückge-
trieben werden, und es wird zu ihnen
gesprochen werden: "Kostet nun die
Strafe des Feuers, die ihr zu leugnen
pflegtet!"
32. Sure Al-Sadschdah

 

Im Namen des Einzigen und Höchsten, Allah sei gepriesen, erkläre ich auch Euch, den Alliierten der USA, die des Ramadans nicht achteten, den Krieg und erkläre, was er ist und sein wird für euch in den nächsten zehn Jahrzehnten. Daß euch unsere Kinder nicht erbarmten, wird uns der euren nicht erbarmen lassen. Und insofern ihr immer noch denkt, der Krieg, das sei ein Etwas anderswo, er verwüste, ob ihr nun siegt oder nicht, nur ein Ausland, seid nunmehr eines Schlechteren, seid des Schlimmsten belehrt und schaut der Wahrheit in ihr furchtbares Antlitz. Oder ist es wirklich so, daß ihr blind seid und darum so sicher? Der Krieg, ihr Ungläubigen, wird bei euch sein! In euch und um euch, in euren Gärten, in euren Straßen. Allah ist mächtig. Und Allah, der sie gemacht hat, hat Zeit. Seine Kinder rechnen nicht, wie eure Väter tun, in Tagen und Wochen, sondern geben das Vermächtnis weiter Generation um Generation. Solltet ihr morgen Bagdad zerstören, wird euch in 35 Jahren London vernichtet oder in fünfzig Jahren Berlin. Es kann auch in bloß fünf Monaten sein. Welcher Gerechte muß, wie ihr tut, nach Tagen oder Wochen zählen? Und vor wem sich verantworten außer vor IHm?

Doch ist er voller Erbarmen, sogar euch, durch mich, will er einbeziehen in seine Gnade. Und läßt euch durch mich diesen Krieg erklären, indem er euch sagt, was er ist. Und ER setzt euch hiermit eine Frist der Besinnung.

Weil nämlich ihr des Ramadans nicht achtetet, wird ER nicht eures Christfestes achten. Legt drum die Waffen nieder und betet um Frieden. Sonst wird der HErr euch ein Lichterfest bereiten, von dem noch eure Kindeskinder sprechen sollen. Eure Städte werden leuchten, es wird eine himmlische Hitze sein in den Straßen, und der Geruch gekochten Blutes wird den Duft eurer Weihnachtsbraten schwängern. Ihr werdet die Glieder der Zerrissenen von den Bürgersteigen klauben können, es soll euch des losen Fleisches nirgends mangeln. Habt Obacht von heut an, wenn ihr ein Kaufhaus betretet, seht euch in jeder Heiligen Messe vor: Ihre Glocken rufen euch vors Angesicht eines HErrn, der Gericht hält. Viel werden der Tränen sein, Flüsse aus Tränen werden eure Städte durchfließen, Ströme verwesender Körper, organische Gewässer der Verzweiflung. Und ihr werdet eure Kleider zerreißen und euch zur Buße die Asche eurer Verbrannten auf die Häupter streuen. So wird euch zu diesem Christfest ein großes Klagen geschickt.

Ihr wähnt euch immer noch sicher. Und ihr wähnt euch im Recht. Die Symbole eurer innersten Werte seien getroffen von uns? Was sind diese Werte? Haben wir Kindergarten zerbombt wie ihr? Wurden eure heiligen Orte beschädigt? Haben Gottes Gesandte die Stätten eurer Kultur angegriffen? Kein Opern-, kein Verlagshaus hat gebrannt, kein Theater, keine Schule ist vernichtet worden. Es standen nirgends Büchereien in Flammen, Frauenhäuser nicht, nicht Hospitale. Was also sind eure innersten Werte? Was haben euch die beiden Türme gegolten, die der Allmächtige in seiner Weisheit zerschmettert hat wie vor Jahrhunderten Babylons? Gehört nicht das immer noch zu den gelobten Taten eures eigenen Gottes, predigen nicht immer noch eure Priester dies als Gottes berechtigten Ratschluß? Und meßt ihr also mit zweierlei Maß?

Ich spreche hier nicht von den Toten, obwohl auch die gegen die unsren ohne Gerechtigkeit gerechnet sind. Das war nicht in Ferne Auge um Zahn. 500000 Kinder starben bei uns. Ich spreche nicht von den Müttern, deren Säuglinge an ihren Brüsten vertrockneten. Euch gingen 7000 Angestellte von Firmen zugrunde, die an den Kriegen verdienten, die das Pentagon führte. Und nun rechnet ihr selbst, rechnet die gegen die, deren Hütten und Zelte und Häuser ihr zerbombt. Die Wahrheit nämlich ist: Euch gilt als innerster Wert das Geschäft. Sagt nicht, ihr wisset nicht darum, denn ihr gebt es in einem fort zu, ihr schreit es noch in die Welt hinaus. Höre, wer denn hören kann! Ihr nennt euch die euren Kulturnationen, so muß das Geschäft euch Kultur sein. Für welche Kultur steht das Pentagon? Fur die Freiheit des Wortes, die ihr vorgebt, mit Waffengewalt verteidigen zu müssen? Für die Freiheit des Menschen, auf die ihr Brandbomben werft? Für eurer Kinder Zukunft, die ihr mit Feuerschneisen ausräuchern laßt? Was ist mit der Zukunft der unsren? Wahrlich, nichts hat sie so sehr bedroht, sie so sehr in Banden gehalten, am Hunger gehalten, in die Notdurft gedrückt, hat sie verrotten lassen und ihnen Krankheiten in die Hütten geschickt, die euer Volk seit hundert Jahren vergessen hat, wie dieses euer Pentagon. Seid ihr nicht Franzosen, Engländer, Deutsche? Und dennoch ist das Pentagon "euer"? Ihr nennt euch Rechtsstaat. Wo ist dann euer Gericht gewesen, über das Pentagon zu wachen und, wo sich ein Kläger fand, Gericht zu halten? Haben nicht viele Völker geklagt? Und ihr bliebt stumm? Wo waren die Anwälte des Völkerrechts, die Sache der Libaneser, Iraker, Palästinenser, Somali, Haitianer, Chilenen, Nikaraguaner und all der anderen zu vertreten, denen das Pentagon sein Napalm und sein Feuer schickte? Nun schickt der Allmächtige Seines. Der Fall der zwei Türme war nichts als das Echo des Trommelwirbels, war bloß das leise Echo der Stimme Allahs, mit welcher von den Minaretten der Tag des Zorns ausgerufen werden wird. Einst überschwemmte der Höchste die verderbte Welt, nun entzündet er sie, da es doch niemanden gibt, an den die Geschändeten appellieren könnten. Zeigt mir die neutrale Instanz, vor dem ich meine Sache vertreten kann, und ich werde sie vertreten. Ihr habt es nicht, ein Gericht, dem sich auch Babylon unterstellte. So ist denn Eure Freiheit Hohn, und ihr fürchtet eure eigenen Lügen.

Oh, ihr fürchtet sie zu Recht! Denn sie werden über euch kommen durch uns, die Gesandten des Herrn. Sie werden über euch kommen nicht hier, wo wir leben, sondern in euren eigenen Wohnungen. Eure Lügen werden eure eigenen Straßen in ein Flammenmeer verwandeln. Ihr werdet nie wieder wissen, welchen Nachbarn ihr habt. Wir werden das Mißtrauen unter euch säen, ihr werdet gefressen werden vom Argwohn, und freiwillig werdet ihr alles anheim geben, was euch angeblich wichtig ist. Denn nichts ist euch wichtiger als das Geschäft. Wir werden eure Kultur aushöhlen, bis nur ihr wirklich innerster Wert herausgeschält ist, den wir, wie ihr es zugebt, angegriffen haben: das Geld und die militärische Macht. Freiwillig werdet ihr euch überwachen lassen, freiwillig werdet ihr eure Freunde verraten, freiwillig werdet ihr nicht mehr schreiben, was ihr denkt, werdet euch nicht mehr versammeln, wo nicht wenigstens ein Spitzel sitzt, dem ihr freiwillig über euch Rede und Antwort steht. So will es der Unnennbare. Furcht wird von diesem Christfest an euer Abendmahl sein und Mißtrauen euer Meßwein. Unsere Schläfer nämlich sind unter euch. Und ihr werdet sie nicht erkennen. Vergeßt nie, daß auch europäische Söldner feil sind auf dem Markt.

Fünf von den unsren habt ihr enttarnt und könnt sie nicht einmal richten, weil Allah sie zu sich genommen hat, wo sie am Ufer der vier paradiesischen Flüsse ihre wunden Füße baden. Was bleibt, anders als den Unseren, euren Toten für eine Aussicht? Wir sterben für die Ewigkeit, ihr hingegen sterbt für das Geld. So wenig seid ihr euch wert. Ist das denn kein Tod? Sich für das Geschäft zu opfern, sei weniger irrsinnig, als es für ein Paradies zu tun? Der Allmächtige hat euch wahrlich mit Blindheit geschlagen! Jeder Bombe, die auf eine unsere Siedlungen fiel, wird nun eine in euren Wohnungen folgen. Ja, fünf Gerechte habt ihr enttarnt. Aber laßt euch sagen: Unter euch leben hundert, leben tausend Rächer mehr. Vielleicht fünfzig in Deutschland, vielleicht achtzig in England. Vielleicht zweihundertneunzig verdeckte Kämpfer in den USA. Einhundertzehn in Frankreich, siebzig in Italien. Wie muß ich lachen, wenn ihr meint, die gebändigt zu haben, weil ihr glaubt, uns die Gelder gesperrt zu haben. Was braucht ein Gotteskrieger Geld? Er braucht kaum einen Schraubenzieher, um einen Zug entgleisen zu lassen. Es braucht ein paar Steine, um eure Autobahnen im Chaos versinken zu lassen. Kaum ein paar chemische Bastelkäsen und etwas Draht genügen, damit das Lebensmittelgeschäft um eure nächste Ecke in Metall- und Knochensplitter zerspringt. Eure Straßen werden das Blut eurer Frauen saufen. Es reichen die billigsten Küchenmesser, und UBahnen entgleisen. Ihr werdet unter den Rädern Amok fahrender Busse verenden. So wird euch die furchtbarste Panik in die Gesichter geschnitzt. Wahrlich, ihr wißt nicht, was Krieg ist. Nicht, was er werden wird. Ihr kennt unsere Verzweiflung nicht. Sonst hättet ihr diesen Krieg nicht gewollt. Ihr hättet euch sonst die Hand abhacken lassen, bevor sie wieder eine Waffe ergreift. Ihr hättet NEIN gerufen.

Aber ihr habt JA gesagt. Beklagt euch darum nicht. Von heute an wird es jeden von euch treffen können, keiner wird mehr zurückstehen können, nicht Arbeiter, nicht Angestellter, keine Sekretärin, kein Dienstbote, weder Unternehmer noch Künstler. Schüler, Lehrlinge, Studenten wird sie treffen, Allahs Faust, es wird der Mütter und Väter nicht geschont werden, nicht der Säuglinge und Rentner. Jammert nicht, denn ihr habt WIR WOLLEN gerufen. Nehmt es hin, euer Schicksal. Eure Zukunft ist unser Fluch und wird sein der Fluch eurer Kinder. Betet um das Mitleid des Gerechten. Eure Condoleezza Rice hat gesagt: "Wir werden die Bevölkerung so lange Not leiden lassen, bis sie sich gegen ihre Regierung erhebt." Das war weise. Was aber weise ist, gilt auch für uns. Also werden wir euch mit einem solchen Schrecken erfüllen, daß ihr eure Oberen richten werdet mit eigener Hand, daß ihr euch niederwefen werdet und rufen: "Herr! Halt ein mit diesem Krieg! Halt ein um unserer Hoffnungen willen, halt ein, um unserer Eltern willen, halt ein, um unserer Kinder willen!"

Noch habt ihr Zeit. Bis zu eurem Heiligsten Fest sind es drei Wochen. Noch könnt ihr rufen: "Nein! Wir weigern uns! Wir wollen diesen Krieg nicht mehr! Bitte laßt uns verhandeln, schickt Unterhändler! Wir hissen die weiße Fahne! Wie wollen die Sache vor einem höchsten Gericht vertreten sehen, gleichermaßen die Sache unseres Pentagons wie die Sache des Islams! Sämtliche Nationen der Welt sollen je einen Geschworenen schicken, und die neutrale Staaten stellen Richter, Ankläger und Verteidiger. Dann soll abgestimmt, so soll gerichtet werden." Aber ihr wißt, es ist euer Pentagon, daß eben das nicht will. Und also laßt ihr den Ankläger richten. Und das Urteil gleich selber vollstrecken. Und ihr, ihr selber, vollstreckt auch noch mit. Und nennt uns dann feige. Nein, wir werden nicht mit euren Waffen kämpfen, wir haben nicht eure Bomber, der Ausgang eines solchen Krieges wäre der Selbstmord unserer Völker. Statt dessen werdet ihr unsere Waffen schmecken, dann werden wir sehen, wessen die mächtigeren sind.

Dennoch. Noch könnt ihr einsichtig sein. Seht, Allah reicht euch durch mich seine Hand. Seht, ich führe euch auf den Weg der Erkenntnis. Schaut euch an und fragt euch, was sind eure innersten Werte? Die Liebe, wie euer Christentum sagt? Der Frieden, wie euer Staat sagt? Die Kunst, auf die ihr euch so viel zugute tut? Oder doch das Geschäft? Oder doch bloß die Macht? Laßt eure Seelen zur Wahrheit leiten, genießt ein letztes Mal das Licht und laßt es über euch leuchten, bevor der Allmächtige die Dunkelheit über euch schickt und euch und die euren in ein schwarzes Feuer taucht. Wißt ihr, wie verbranntes Fleisch riecht? Wollt ihr euch vorstellen, über zerfetzte Knochen zu steigen, täglich, die Wege zu euren Kindergärten mit verwitternden Schädeln bepflanzt, Augen, von Ratten aus den Höhlen genagt? Nichts ist grauenvoller, als der Geruch des Todes: Er riecht nach versengtem Haar, Erbrochenem, nach Scheiße und verwestem Blut.

Nun hab ich euch den Krieg erklärt, nun wißt ihr, was er ist und was eurer harrt.

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ANH, November/Dezember 2001

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