"Harry Potter und der Gefangene von Askaban"

R: Alfonso Cuarón
D: Daniel Radcliffe, Emma Watson, Rupert Grint, Gary Oldman, David Thewlis
England/Schottland 2003


Endlich! - Das Warten hat ein Ende. Aus dem bisher besten Band der Harry-Potter-Reihe entstand die bislang beste Leinwandadaption des Zauberepos.

Dabei gab es schlechte Omina am Set. Der Zeitplan war durcheinander gekommen. Dem ursprünglichen Konzept zufolge sollten die Harry-Potter-Bücher chronologisch, Jahr für Jahr, mit denselben Jungschauspielern verfilmt werden. So wollte Harrys schriftstellerische Mutter, Joanne K. Rowling, die Entwicklung ihres Zauberlehrlings samt seiner Gefährten möglichst realistisch - fast in Echtzeit - in den Kinosälen umgesetzt sehen. Leider ging diese cineastische Pionierleistung nicht ganz auf. Das lag in erster Linie daran, dass Chris Columbus, Regisseur der beiden ersten Potter-Filme, für Teil III nicht mehr zur Verfügung stand. Alles verschob sich terminlich etwas, was dazu führte, dass Harry, Hermione und Ron im zauberhaften Hogwarts erst 13 Jahre alt sind, während ihre Alter Egos Daniel, Emma und Rupert im realen England schon gegen 15 gehen.

Doch wen stören solche kleinen Verwerfungen im Raumzeitkontinuum, wenn der neue Regisseur Alfonso Cuarón heißt? Der Mexikaner, dessen bisher bekanntester Streifen "Great Expectations" (1998, Gwyneth Paltrow, Ethan Hawke) war, erfüllt die in ihn gesetzten hohen Erwartungen famos und bringt mit "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" frischen Wind in das Magierepos. Spürte man bei Chris Columbus ("Kevin allein zu Haus") die durchaus netten Einfälle eines ewig jung gebliebenen Amerikaners, der mit Disney aufwuchs, gibt es jetzt einen Stimmungswechsel. Korrelierend zur Pubertät der Hauptakteure wird alles reifer und abgründiger, ohne aber Urmutter Rowlings feinen britischen Humor einzubüßen. "Der Gefangene von Askaban" schafft die Grätsche zwischen Erwachsenen- und Kinderfilm mit der Akrobatik des wahren Quidditch-Profis.

Die Handlung: Harry Potter (Daniel Radcliffe) steht kurz vor seinem dritten Schuljahr an der Hogwarts School of Witchcraft and Wizardry. Die großen Ferien verbringt er - wie gehabt - unfreiwillig bei seinen ebenso unfreiwilligen Adoptiveltern, den Dursleys, im typisch spießigen Reihenhausort Little Whinging, Surrey. Natürlich gibt es wieder Ärger mit Tante Petunia, Onkel Vernon und dem fetten Cousin Dudley. Harry verlässt die Dursleys wutentbrannt und wandert ins Ungewisse die regennasse Straße entlang; Hauptsache weg von all der Familientyrannei. Für unterstandslose Zauberer scheint aber gesorgt: Ein lila farbiger Dreifachdecker, der Knights Bus, rast daher und nimmt den Zauberlehrling zu einer rasanten Fahrt nach London mit, in die für Muggle-Augen unsichtbare Knockturn Alley. Dort angekommen trifft Harry seine besten Kumpels Hermione Granger (Emma Watson) bzw. Ron Weasley (Rupert Grint) wieder. Von Rons Vater, der im Ministerium für Zauberei arbeitet, erfährt Potter, dass Sirius Black (Gary Oldman) aus dem Hochsicherheitsgefängnis Askaban ausgebrochen ist. Black soll Potters Eltern zwölf Jahre zuvor an den Erzbösewicht Voldemort verraten und so indirekt getötet haben. Nun wäre der Entflohene hinter Harrys Leben her, heißt es.

Die Fahrt zur Schule mit dem Hogwarts Express wird für Harry Potter zum Albtraum. Dementoren sind im Zug, jene schattenhaften, schwebenden Verdichtungen des Bösen, die den Gefangenen von Askaban zur Strafe ihre Gefühle und letztendlich ihre Seelen rauben. (Sie beschwören beim Kinogänger dunkle Erinnerungen an die Nazgul aus "Der Herr der Ringe" herauf). Ihre Suche gilt Sirius Black. Als Harry mit einem Dementor zusammentrifft, gefrieren ihm die Sinne, er verliert das Bewusstsein. Nur das entschlossene Eingreifen von Remus Lupin (David Thewlis, bekannt aus "Dragonheart"), der im selben Abteil sitzt, verhindert Schlimmeres. Wie sich herausstellt, ist Lupin der neue Professor im Fach "Verteidigung gegen die Dunklen Künste". Nomen est omen: Der Professor hat ganz nebenbei ein kleines Geheimnis, was den Vollmond betrifft.

In Hogwarts ist Rubeus Hagrid, der altbekannte tierliebe Riese, mittlerweile ebenfalls zum Professor befördert worden. Bei ihm lernt Harry Potter Buckbeak kennen und lieben. Seidenschnabel, wie er in der deutschen Übersetzung genannt wird, ist ein gar seltener und stolzer Vogel. Genau genommen hat er nur Kopf und Schwingen eines Vogels, der Körper ist der eines Pferdes. Buckbeak ist ein Hippogriff. Auf seinem Rücken setzt Harry zum Höhenflug über den See von Hogwarts an - vielleicht die schönste Szene im Film. Die Computeranimation ist perfekt, die schottische Hügellandschaft wunderschön. Fiesling Draco Malfoy hingegen, Potters faschistischer Gegenspieler, will den behuften Greif töten lassen, was ihm eine unerwartet heftige Gerade von Hermiones zarter Hand einbringt - mitten ins reinblütige Zauberergesicht. Angestaute Energien der Pubertät verschaffen sich eben auch bei Magierinnen Luft.

Schließlich taucht der gesuchte Sirius Black auf. Und er ist gar nicht der Schurke, für den er offiziell gehalten wird. Gerade das Gegenteil trifft zu. Sirius war der loyalste Freund von Harrys ermordeten Eltern. Dennoch wird er in einem Turmverlies gefangengesetzt und soll den Dementoren übergeben werden. Sowohl Blacks Leben hängt am seidenen Faden wie auch das von Buckbeak. Da haben Schuldirektor Albus Dumbledore und Hermione eine geniale Idee. Warum nicht einen Time-Turner verwenden? ... Der in "Harry Potter und der Stein des Weisen" bzw. "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" obligate Endkampf Harrys gegen Lord Voldemort fehlt in J. K. Rowlings drittem Band. An Dramatik geht dadurch nichts verloren. Kurioserweise kommt sogar mehr Spannung auf. Filmisches Ende nach gewöhnlichem Strickmuster hat "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" keines. Viele Handlungsfäden werden gesponnen, die erst in den nächsten Teilen ein klar erkennbares Muster ergeben können.

Alfonso Cuaróns Regie lebt von vielen detailverliebten Einfällen, wie z. B. Professor Lupins Faible für swingende Töne aus dem Grammophon oder der witzigen grafischen Umsetzung der Marauder's Map (ein verhexter Pergamentbogen, welcher genau anzeigt, wer sich in Hogwarts gerade wo befindet). Einige Abschnitte der Buchvorlage (wie z. B. das Quidditch-Match) hat Cuarón dem Erzählrhythmus zum Tribut kurzgehalten - schade, aber verständlich. In der Nebenrolle als kauzige Hellseh-Professorin Sybil Trelawney schauspielert Oscar-Preisträgerin Emma Thompson - optisch kaum wiederzuerkennen - brillant. Michael Gambon sieht Richard Harris, seinem verstorbenen Vorgänger in der Rolle des Direktors Albus Dumbledore, zwar stark ähnlich, kommt aber nicht ganz an dessen Talent heran. Über Gary Oldmans Verkörperung des Sirius Black Lob auszustreuen, hieße Eulen nach Hogwarts tragen.

(lostlobo; 06/2004)

Tipp des Rezensenten: Auf uns Muggles kann Hogwarts seine Magie noch weit intensiver entfalten, wenn wir den "Gefangenen von Askaban" im 400-Quadratmeter-Format des IMAX einwirken lassen, wo der Film aber nur bis 1. Juli 2004 läuft.


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